APA/Barbara Gindl

"Völlig falsch" - Kritik nach Haft für demenzkranke 93-Jährige

Eine 93-jährige Demenzkranke hielt ihre 24-Stunden-Pflegerin für eine Einbrecherin und griff sie an - sie landete trotz ihrer Krankheit mehr als zwei Wochen lang in Haft. Kritik kommt jetzt vom Erwachsenenschutzverein Vertretungsnetz.

Der Erwachsenenschutzverein Vertretungsnetz fordert, Menschen mit Demenz-Erkrankung oder intellektueller Beeinträchtigung von einer Unterbringung im Maßnahmenvollzug auszunehmen. Dieser sei "ein komplett falsches Setting für diese Personengruppe", sagte Martin Marlovits, stv. Fachbereichsleiter Erwachsenenvertretung, im Zusammenhang mit dem Fall einer demenzkranken 93-Jährigen.

Zweck der Unterbringung sei die Behandlung und "Besserung", um die Gefährlichkeit zu verringern. "Diese Menschen aber verstehen oft nicht einmal, warum sie untergebracht sind und können die geforderte Compliance nicht leisten", gab Marlovits zu bedenken. "Damit haben sie keinerlei Perspektive auf Entlassung oder auch nur auf Lockerungen, was wiederum zu extrem langen Unterbringungszeiten führt."

Es sei bedauerlich, dass das erst kürzlich beschlossene Gesetz zur Reform des Maßnahmenvollzugs keine Ausnahme vorsieht. Es stelle "im Gegenteil fest, dass der Kreis der Betroffenen unverändert bleiben soll".

Das Justizministerium betonte am Montag in einer Stellungnahme, die hochbetagte und demente Frau sei nicht in einem herkömmlichen Gefängnis, sondern in einer spezialisierten Haftanstalt untergebracht gewesen.

Die Außenstelle Wilhelmshöhe, die der Justizanstalt Josefstadt angegliedert ist, verfüge über "Kompetenzen in den Bereichen Pflege und Alter" und sei "als Sonderkrankenanstalt definiert, eine entsprechende medizinische Versorgung und der individuelle Pflegebedarf sind daher jedenfalls gegeben", hieß es in dem auf APA-Anfrage übermittelten Statement.

93-Jährige ging krankheitsbedingt auf Pflegerin los

Das Vertretungsnetz vertritt seit vielen Jahren als gerichtlicher Erwachsenenvertreter Personen, die im Maßnahmenvollzug untergebracht sind und aufgrund ihrer psychischen Erkrankung als nicht zurechnungsfähig gelten.

"Ihre Zahl hat sich in den letzten 20 Jahren mehr als verdreifacht. Wir vertreten auch einige Menschen, die eine intellektuelle Beeinträchtigung haben oder demenziell erkrankt sind und die z.B. nach aggressiven Vorfällen in Pflegeeinrichtungen eingewiesen wurden", berichtete der Verein am Montag.

Die demenzkranke 93-Jährige war am 27. März in ihrer Wohnung in Wien-Wieden krankheitsbedingt auf ihre 24-Stunden-Pflegerin losgegangen, weil sie die Frau für eine Einbrecherin gehalten hatte. Die Pflegerin blieb unverletzt, die Seniorin wurde zunächst auf der psychiatrischen Abteilung der Klinik Landstraße stationär aufgenommen.

Dann aber habe ein Haft- und Rechtsschutzrichter "völlig falsch" entschieden, so Michael Dohr, der Rechtsvertreter der Hochbetagten, nämlich auf eine vorläufige Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum.

Mit Panikattacken im Gefängnis

Die Frau kam in die Sonderanstalt Wilhelmshöhe, eine Außenstelle der Justizanstalt Wien-Josefstadt, die auf betagte Häftlinge ausgerichtet ist. Die 93-Jährige, die seit sechs Jahren an schwerer Demenz leide, blieb dort mehr als zwei Wochen, sei völlig desorientiert gewesen und habe Panikattacken erlitten. Das Strafverfahren gegen die Frau wurde laut dem Anwalt inzwischen eingestellt.

ribbon Zusammenfassung
  • Der Erwachsenenschutzverein Vertretungsnetz fordert, Menschen mit demenzieller Erkrankung oder intellektueller Beeinträchtigung von einer Unterbringung im Maßnahmenvollzug auszunehmen.
  • Dieser sei "ein komplett falsches Setting für diese Personengruppe", sagte Martin Marlovits, stv.
  • Die 93-Jährige, die seit sechs Jahren an schwerer Demenz leide, blieb dort mehr als zwei Wochen, sei völlig desorientiert gewesen und habe Panikattacken erlitten.