Erster Prozesstag
Fall Kellermayr: "Volkstribunal"-Forderer selbst vor Gericht
Ein 61-jähriger Deutscher wollte die oberösterreichische Ärztin Lisa-Maria Kellermayr, die er in Nachrichten an sie als "Kreatur" bezeichnete, vor ein noch einzurichtendes "Volkstribunal", ein "Strafgericht" bringen.
Nachrichten wie diese – niedergeschrieben in zahlreichen Mails und Tweets – brachten den Bayern nun aber selbst vor Gericht.
Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, mit seinen Nachrichten eine gefährliche Drohung getätigt zu haben, die die Ärztin Lisa-Maria Kellermayr mit 36 Jahren zum Suizid bewegt haben soll. Das soll ein psychiatrisches Gutachten nahelegen. Auch werde das "Volkstribunal" in ihrem Abschiedsbrief erwähnt.
"Nicht der, den ihr gesucht habt"
Beim Betreten des Gerichtssaals versteckte sich der Angeklagte hinter einer grauen Haube, einer schwarzen Sonnenbrille und einem langen Mantel.
Er bekannte sich nicht schuldig, weitere Fragen der Richterin wollte der Mann nicht beantworten. Seine Anwältin, Sonja Fasthuber, las stattdessen eine Erklärung vor, die ihr Mandant verfasst haben soll.
- Mehr lesen: Dr. Lisa-Maria Kellermayr: Eine Würdigung
"Ich bin nicht der, den ihr gesucht habt, ich bin der, den ihr gefunden habt", hieß es darin. Und: "Vielleicht gibt es in diesem Fall auch gar keinen Schuldigen". Er gibt zwar zu, die Nachrichten verfasst zu haben. Er bestreitet aber, damit den Suizid der Ärztin (mit-)verursacht zu haben.
Anwältin Sonja Fasthuber im Interview
Der Mann aus Starnberg, der heute bei München lebt und mehrfach vorbestraft ist, habe damals wirklich geglaubt, dass sich Impfbefürworter:innen strafbar machen würden. Er habe deswegen auch dem bayrischen Ministerpräsident Markus Söder, dem deutschen Gesundheitsminister Karl Lauterbach, Wissenschaftler:innen und Ärzt:innen geschrieben.
Kellermayr war "eine von vielen", denen er schrieb, weil sie ihm in einem Onlineartikel untergekommen sei. Kellermayr sei aber eine der wenigen gewesen, die auch geantwortet hätten. Die Mail-Korrespondenz, die vor Gericht vorgelesen wurde, bezeichnet der Angeklagte als "Streitgespräch".
- Mehr lesen: Die entscheidende Frage vor Gericht
Er schrieb darin davon, dass die Ärztin mit ihrer Impfbefürwortung Leben gefährden, wenn nicht sogar nehmen würde. "Wir sehen uns, versprochen. Beste Grüße", hieß es am Ende einer Mail. Und immer wieder betonte der Angeklagte, dass er Kellermayr vor ein Gericht, ein "Volkstribunal", bringen werde. "Ich werde Sie verfolgen, bis Sie dahin kommen", schrieb er. Und: Es werde der Tag kommen, an dem es "vorbei ist mit Ihrer Freiheit".
Die Ärztin schrieb in Antworten unter anderem, dass sie schon mehrere "Covidioten" vor Gericht gebracht habe – und auch den Mann aus Bayern angezeigt habe. Sie bezeichnete ihn als psychisch abnormen Rechtsbrecher.
Video: Angeklagter "fassungslos" über Tod von Kellermayr
Der Angeklagte kam in Begleitung von drei Anwält:innen – eine davon aus Deutschland.
Ihre Verteidigungsstrategie:
Mit Hilfe einer Präsentation mit Screenshots und einer Timeline versuchte Anwalt Martin Feigl etwa darzulegen, dass die Stimmung in Postings damals generell aufgeladen gewesen sei. Kellermayr habe sich in Antworten nicht eingeschüchtert gezeigt, in die Sicherheit ihrer Ordination habe sie schon vor den ersten Nachrichten des Angeklagten investiert. Außerdem habe es noch ganz andere Hassnachrichten gegen die Ärztin gegeben.
Sonja Fasthuber und Martin Feigl
Zudem wurden immer wieder frühere familiäre Streitigkeiten sowie (psychische) Erkrankungen und Suizidversuche von Dr. Kellermayr thematisiert. Als Videos, die die Ärztin in diesen Phasen zeigen, vorgespielt wurden, hatte sogar der Angeklagte, der die Verhandlung sonst ohne große Emotionen verfolgte, Tränen in den Augen. Die Vorgeschichte der Ärztin kannte er offenbar nicht, als er ihr schrieb.
Von der Verteidigung wurde immer wieder betont, dass sich Kellermayr nicht aus der Öffentlichkeit zurückgezogen habe, obwohl ihr das von mehreren Seiten geraten worden sei.
Bei den Zeugenbefragungen wollten Feigl und Fasthuber immer wieder wissen, ob sich die Ärztin nicht viel mehr wegen ihrer finanziellen Situation oder anderer Postings gefürchtet habe.
Der unbekannte "Claas"
Die meisten Zeugen bestätigten das auch. Befragt wurden unter anderem der Vater von Lisa-Maria Kellermayr und Medizinier-Kollegen und Freunde. Sie sprachen von noch schärferen Drohungen durch einen "Claas", der nie ausgeforscht wurde, und anderer Poster. Sie sprachen von finanziellen Sorgen bzw. der Angst die Ordination in Seewalchen schließen zu müssen.
Einige von ihnen erwähnten aber auch das "Volkstribunal"-Schreiben, das Kellermayr erwähnt hätte. Ihr Vater sagte aus, dass seine Tochter sechs Monate lang die Angst hatte, ermordet zu werden. Ein Zeuge sagte, Kellermayr hatte tatsächlich Angst, getötet zu werden. Das Wissen, dass ein Poster aus Starnberg, nicht weit von Seewalchen komme, habe es noch schlimmer gemacht.
Umfrage: Wie Seewalchen über den Fall Kellermayr denkt
Kellermayr habe sich laut Zeugenaussagen von der Exekutive und der Ärztekammer im Stich gelassen gefühlt. Aus der Öffentlichkeit wollte sich die engagierte Ärztin nicht zurückziehen. Das hätte sie als Niederlage gesehen.
Bis zu 10 Jahre Haft
Das psychiatrische Gutachten wird erst in den kommenden Verhandlungstagen genauer thematisiert werden. Vier Tage sind für den Prozess in Wels insgesamt geplant. Am Donnerstag sollen unter anderem Verfassungsschützer, Polizisten und die deutsche Hackerin "Nella" als Zeug:innen aussagen.
Dem Angeklagten drohen bis zu zehn Jahre Haft, sollte die Kausalität der Drohungen zum Suizid nachweisbar sein. Auf eine gefährliche Drohung ohne diese Kausalität, stehen weit niedrigere Strafen.
Ob in diesem Fall Österreich oder doch wieder Deutschland zuständig ist, da gehen die Ansichten von Verteidigung und Staatsanwaltschaft offenbar auseinander. Eine Sprecherin der Anklagebehörde sagte zu PULS 24, dass dann in Deutschland weiterverhandelt werden müsse. Die Verteidigung sieht das anders.
Für den Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung.
Video: Prozess im Fall Kellermayr: Hassposter vor Gericht
Der Liveblog zum Nachlesen:
Hilfe in Krisensituationen
Sind Sie in einer Krisensituation? Hier finden Sie Hilfe:
- Telefonseelsorge: 142 (Notruf), täglich 0–24 Uhr, online unter www.telefonseelsorge.at
- Sozialpsychiatrischer Notdienst/PSD: 01/31330, täglich 0–24 Uhr, online unter www.psd-wien.at
- Rat auf Draht: 147. Beratung für Kinder und Jugendliche. Anonym, täglich 0–24 Uhr, online unter www.rataufdraht.at
- Kindernotruf: 0800 567 567, Beratung bei persönlichen Krisen. Anonym, täglich 0-24 Uhr www.bittelebe.at
- Suizidprävention auf www.gesundheit.gv.at/leben/suizidpraevention
Fall Kellermayr - Erster Prozesstag
Zusammenfassung
- Unter großem Medieninteresse hat am Mittwoch in Wels der Prozess gegen einen 61-jährigen Deutschen, der die oberösterreichische Ärztin Lisa-Maria Kellermayr im Internet massiv bedroht haben soll, begonnen.
- Gemäß forensisch-psychiatrischem Gutachten seien die Angriffe mitursächlich für den Suizid der Medizinerin im Juli 2022 gewesen.
- Der Angeklagte, der sich nicht selbst äußerte, gibt laut den Verteidigern zwar einen Disput mit Kellermayr zu, bekannte sich aber nicht schuldig.