Für's Lieben bestraft: Als der Staat "mich an den Pranger stellte"
Als Michael Woditschka als 19-Jähriger eine Liebesbeziehung mit einem 17-Jährigen einging, war ihm klar, dass es nichts Ernstes sein werde. "Man probierte sich aus und wie das Leben so spielt, trennten sich die Wege", erinnert sich Woditschka im Gespräch mit PULS 24.
Doch mit den Folgen seines "G'spusis", wie man landläufig sagen würde, musste er über Jahre kämpfen. Woditschka verstieß mit seiner Liebesbeziehung gegen den Paragrafen 209 StGB, welcher gleichgeschlechtlichen Sex mit Unter-18-Jährigen mit bis zu fünf Jahren Gefängnis ahndete.
"Überrumpelt, paralysiert und panisch"
Der 17-Jährige wurde später bei Geschlechtsverkehr im Auto erwischt und musste auf der Polizeiwache seine bisherigen Liebschaften bekannt geben. Auch Woditschkas Name fiel dabei. Kurz darauf flatterte ein Brief von der Polizei mit einer Vorladung ins Postfach.
"Das war surreal, ich hatte bis dato noch nie Kontakt mit der Polizei", erzählt er. Anfangs hielt er den Brief für einen Betrug, wurde aber schnell eines Besseren belehrt. Auf der Polizeiwache war er sich keiner Schuld bewusst, fühlte sich überrumpelt, paralysiert und panisch.
Er wandte sich an seinen Rechtsanwalt Helmut Graupner, der sich seit Jahren mit der ungerechten Behandlung Homosexueller in der Justiz beschäftigte. Damals hatte die schwarz-blaue Regierung mehrmals verneint, dass gleichgeschlechtliche Handlungen mit Minderjährigen tatsächlich geahndet werden. Graupner war entschlossen: Woditschkas Fall sollte jener sein, der die Bestimmung stürzen kann.
Sie gingen damit an die Öffentlichkeit, zum Gerichtsverfahren strömte die gesamte Medienlandschaft.
Man wurde buchstäblich an den Pranger gestellt.
Plötzlich Sexualstraftäter
Im gefüllten Gerichtsaal wurde das detaillierte Protokoll zum Vorfall verlesen. "Das war so beschämend", sagt Woditschka heute. "Man wurde buchstäblich an den Pranger gestellt". Sein Urteil fiel aufgrund des großen Medieninteresses zwar mild aus, trotzdem ging er als "verurteilter Sexualstraftäter" aus dem Gericht. "An diesem Tag wurde ich vom Staat diskriminiert", sagt er.
Sozial oder beruflich beeinträchtigte ihn sein Urteil nicht. Viele Männer verloren damals aber ihren Job, wurden gesellschaftlich ausgegrenzt oder mussten ins Gefängnis und haben bis heute Probleme mit ihren Pensionen.
Entschädigungszahlungen "können Momente nicht wettmachen"
Woditschkas Fall war einer der zehn Fälle, die zu einer Verurteilung Österreichs durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg führten. 2002 wurde der Paragraph 209 vom Verfassungsgerichtshof gekippt. Erst 20 Jahre später kam die offizielle Entschuldigung durch Justizministerin Alma Zadić (Grüne). Seit Montag werden Verurteilte offiziell mit bis 3.000 Euro entschädigt.
Für Woditschka spät, aber doch. Über die Höhe der Entschädigung lasse sich streiten, manche hätten mehr gefordert, aber "wir haben zu einem Ende gefunden und das ist besser als gar kein Ende", sagt er. Die Höhe sei ihm prinzipiell "gleichgültig", das könne seine Vergangenheit ohnehin nicht wiedergutmachen.
"Das Land Österreich hat mir diese Geschichte umgehängt und die Momente kann das Geld nicht wettmachen", so Woditschka. Bedauerlich sei, dass sehr viele Betroffene die Entschädigung nicht mehr miterleben.
Im Rahmen der Strafrechtsreform 1971 fiel bereits das Totalverbot von Homosexualität. Österreich war damit bei der Entkriminalisierung von Homosexualität europaweit eines der letzten Länder. Bis Anfang der 2000er Jahre galten aber noch eine Reihe von Sondergesetzen.
Kampf gegen Homophobie im Justizsystem
Bereits 2022 gab Michael Woditschka PULS 24 ein Interview zu den Diskriminierungen des Justizsystems gegenüber der LGBTQI+ Community.
Zusammenfassung
- Wenn ein Mann vor gut 20 Jahren einen jüngeren Mann liebte, macht er sich vor der Justiz strafbar oder musste teils hinter Gitter.
- Eine Tatsache, die für Betroffene unsagbar viele Folgen hatte und bis heute nachwirkt.
- Ein Verurteilter erzählt PULS 24 von seinen Erlebnissen als verurteilter Sexualstraftäter.