Femizide: Nur wenige Frauen suchen Hilfe, Politik will handeln

15 Frauen wurden in diesem Jahr umgebracht, 73 Prozent aller Frauenmorde sind in Österreich Femizide - das Geschlecht ist ausschlaggebend. Die Täter weisen oft eine Jahrelange Gewalt-Geschichte auf, viele sind Verwandte oder Bekannte ihrer Opfer. Nur wenige Frauen suchen Hilfe. Die Regierung will weitere Maßnahmen einleiten.

Erst am Montag kam es in Wien-Ottakring wieder zu einem mutmaßlichen Femizid. Der 35-jährige Ehemann soll eine 28-jährige Syrerin in der Nähe des Brunnenmarktes mit einem Messer getötet haben. 

Einen Tag darauf präsentierte die Regierung eine umfangreiche Studie zum Thema Femizide. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) und Justizministerin Alma Zadić (Grüne) sowie Frauen-, Familien- und Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) kündigen weitere Maßnahmen an. 

Täter bereits aktenkundig

Wie die Studie des Instituts für Konfliktforschung zeigt, haben die Täter bei (versuchten) Femiziden mitunter eine jahrelange Gewaltvorgeschichte. In 30 Prozent der Fälle sei das so. Etwa ein Viertel der Opfer hatte den gewalttätigen (Ex-)Partner bereits angezeigt. Rund zehn Prozent der Täter waren bereits einmal wegen Gewalt gegenüber der (Ex-)Partnerin verurteilt.

Gegenüber in etwa einem Fünftel war ein Betretungs-/Annäherungsverbot ausgesprochen worden. Deren Zahl steigt seit Jahren, heuer gab es bis Ende Juni 7.650, sagte Innenminister Karner, rund 500 mehr als im ersten Halbjahr 2022.

StudienergebnisseAPA

Für die Studie wurde von den Wissenschafterinnen Viktoria Eberhardt und Brigitte Temel unter der Leitung von Birgitt Haller zum einen die Polizeiliche Kriminalstatistik der Jahre 2010 bis 2020 ausgewertet und zum anderen wurden Gerichts- und Staatsanwaltschafts-Akten aus den Jahren 2016 bis 2020 analysiert. Demnach gab es in den untersuchten elf Jahren 793 weibliche Opfer von Morden oder Mordversuchen mit 767 Tatverdächtigen. Die Auswertung der Akten zeigte zudem, dass es sich bei 73 Prozent der Morde um Femizide gehandelt hatte - das heißt, dass hier das Geschlecht ausschlaggebend für die Tat war.

Aufgeschlüsselt nach Nationalitäten hatten 72 Prozent der Täter in den untersuchten Fällen die österreichische Staatsbürgerschaft, fünf Prozent waren EU-Bürger, 19 Prozent Bürger von Drittstaaten, zwei Prozent staatenlos, bei einem Prozent gab es keine Angaben. 

74 Prozent (Ex-)Partner 

In Wien werden überdurchschnittlich viele Frauenmorde und -mordversuche angezeigt. "Die Bundeshauptstadt beheimatet rund ein Fünftel der österreichischen Bevölkerung, verzeichnet jedoch ein Drittel der angezeigten Mordfälle und -versuche", schreiben die Studienautorinnen. In Niederösterreich sei der Anteil geringfügig überproportional, in allen anderen Bundesländern liege er unter dem Bevölkerungsanteil bzw. in Salzburg gleichauf

Zum Beziehungsverhältnis von Opfern und Täter stellen die Forscherinnen fest, dass es sich zu 74 Prozent um (Ex-)Partner handelte, zu 19 Prozent um Verwandte, sechs Prozent Bekannte (ein Prozent unbekannt). Bei Femiziden durch den (Ex-)Partner sei in rund 30 Prozent der Fälle eine Trennung der Anlass zum Femizid gewesen.

Prävention könnte helfen

Viel Raum wurde in der Studie sogenannten Hochrisikoindikatoren gewidmet, die zu erkennen wichtig in der Prävention wäre. Bei 53 Tätern (rund 47 Prozent) lagen demnach psychische Erkrankungen vor. Man sollte genauer untersuchen, "welche Diagnosen mit Gewalt korrelieren", sagte Temel. "Traumatische Erfahrungen", dazu zähle etwa auch Arbeitsplatzverlust, hätten bei rund einem Drittel vorgelegen.

HilfsangebotePULS 24

Ebenso viele hatten bereits körperliche und sexualisierte Gewalt ausgeübt, mehr als ein Viertel psychische Gewalt. Weitere häufige Faktoren seien Waffenbesitz (22 Prozent) und patriarchales Denken (ca. 20 Prozent). Zudem wurden Morddrohung, ökonomische Abhängigkeit, Suiziddrohung und Substanzenmissbrauch genannt.

Jahrelange Vorgeschichte

Viele Täter wiesen eine "jahrelange Gewalt-Vorgeschichte" auf (23 Fälle, 25 Prozent), weitere elf Prozent hätten "Gewalt gegen alle Frauen" in ihrem Leben ausgeübt, 15 Prozent "Gewalt gegen die gesamte Familie bzw. darüber hinaus aus". In 16 Fällen habe es keine Vorgeschichte mit Partnergewalt gegeben, darunter fielen laut den Autoren elf Fälle von Femiziden im hohen Alter, eventuell könnte Pflegebedürftigkeit eine Rolle gespielt haben.

Zunehmend legale Schusswaffen

Eine psychische Krankheit als tatauslösend sei in 22 Fällen (24 Prozent) festgestellt worden, wobei in fast gleich vielen Fällen entweder die Diagnose (paranoide) Schizophrenie oder (kombinierte) Persönlichkeitsstörung vorgelegen habe, sowie ein Fall einer ausgeprägten Demenz. Oft handle es sich um Fälle, in denen die Medikamente abgesetzt wurden oder keine adäquate Behandlung vorhanden gewesen sei, vor allem in ländlichen Gegenden. Auch hier könne mit Hilfsangeboten angesetzt werden, wurde betont. Generell hielten die Forscherinnen fest, dass es sich immer um ein "komplexes Wechselspiel von stereotypen Rollenbildern, (schwerer) psychischer Krankheit und (tödlicher) Gewalt gegen Frauen" handle.

Die meisten tatverdächtigen Personen (33,5 Prozent) verwendeten im Zuge des Angriffs eine Stichwaffe. Beinahe ebenso häufig (31,3 Prozent) wurde die Tat ohne eine Waffe verübt. Im Vergleich der Zeiträume 2010 bis 2016 und 2017 bis 2020 sei deutlich geworden, dass zunehmend mehr legale Schusswaffen zum Einsatz kommen.

Regierung kündigt Maßnahmen an

Frauenministerin Raab kündigte nun an, dass Hilfseinrichtungen bekannter gemacht sowie mehr Schutz- und Übergangswohnungen für gewaltbedrohte Frauen vor allem in den Bundesländern zur Verfügung gestellt werden sollen. Raab betonte, dass man auch bei der Integration ansetzen müsse. Täter mit Migrationshintergrund seien bei Frauenmorden verglichen mit ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung deutlich überrepräsentiert. Konkrete Maßnahmen nannte sie aber in dem Bereich nicht.

Innenminister Karner betonte, dass die Exekutive auf das Problem bereits reagiert habe. So sei die Zahl der Präventionsbediensteten von 500 auf 1.200 erhöht worden, seit eineinhalb Jahren gehe mit einem Betretungsverbot zudem ein automatisches Waffenverbot einher. Er kündigte einen weiteren Ausbau der sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen bei Hochrisikofällen - heuer gab es bis Ende Mai bereits rund 100 - und eine Präventionskampagne an. Eine verbesserte Datenbasis soll durch eine genauere Protokollierung der einzelnen Gewaltfälle durch die Polizei geschaffen werden.

Gewaltambulanzen sollen kommen

Zadić unterstrich, dass "jeder Femizid einer zu viel sei". Ein Hauptproblem sei, dass sich Opfer nur in Ausnahmefällen an die Behörden wenden. "Das ist genau der Punkt, an dem wir ansetzen müssen", sagte die Justizministerin. Ein Konzept für die österreichweit geplanten Gewaltambulanzen sei in Ausarbeitung: Mit besserer Dokumentation von Spuren nach Gewalttaten sollen die Verurteilungsquoten angehoben werden, die nach wie vor sehr niedrig seien.

"In neun von zehn Fällen waren die betroffenen Frauen vorher nicht bei der Polizei oder bei einer Gewaltschutzeinrichtung", bedauerte auch Marina Sorgo, Bundesverbandsvorsitzende der Gewaltschutzzentren. Hier müsse man ansetzen mit breiter Information, aber auch dem Bemühen, das Vertrauen von Betroffenen auch mit Migrationshintergrund in die Polizei zu stärken.

Gosch: Frauen wissen nicht, in welcher Gefahr sie sich befinden

Michaela Gosch, Geschäftsführerin der Frauenhäuser Steiermark, im PULS 24 Interview

ribbon Zusammenfassung
  • 15 Frauen wurden in diesem Jahr umgebracht, 73 Prozent aller Frauenmorde sind in Österreich Femizide - das Geschlecht ist ausschlaggebend.
  • Die Täter weisen oft eine Jahrelange Gewalt-Geschichte auf, viele sind Verwandte oder Bekannte ihrer Opfer.
  • .Nur wenige Frauen suchen Hilfe. Die Regierung will weitere Maßnahmen einleiten.