Bericht zu Grenfell-Brandkatastrophe übt Kritik an Behörden
Dabei hatte vor allem die Fassadenverkleidung eine fatale Rolle gespielt, wie sich bei der seit Jahren laufenden Untersuchung herausstellte. Die Fassade war erst kurz vor dem Unglück mit einer Isolierung und Verkleidung versehen worden, um den bereits 1974 fertig gestellten Wohnturm ansehnlicher und energetisch effizienter zu machen. Doch die Fassadenteile aus Aluminium mit Kunststoffkern waren völlig ungeeignet und wirkten wie Brandbeschleuniger.
Dass sie dennoch installiert wurden, lag an einer schier endlosen Kette von Fehlverhalten und Versagen bei Behörden und Unternehmen, wie aus dem aktuellen Bericht hervorgeht. So wurden Brandschutzbestimmungen lax ausgelegt, Testergebnisse manipuliert oder falsch dargestellt und Warnungen in den Wind geschlagen.
"Die simple Wahrheit ist, dass die Todesfälle allesamt vermeidbar waren", sagte der Vorsitzende der Untersuchung, Martin Moore-Bick. Die Katastrophe sei "das Ergebnis jahrzehntelangen Versagens" der Zentralregierung und anderer verantwortlicher Stellen hinsichtlich der Verwendung brennbaren Materials an den Außenmauern von Hochhäusern. Ursache sei in erster Linie Inkompetenz gewesen, in manchen Fällen aber auch Profitgier.
Auch der Feuerwehr wurden schwere Fehler angelastet. So hatte sie den Menschen viel zu lange dazu geraten, in dem brennenden Gebäude zu bleiben und auf Hilfe zu warten. Dabei zeichnete sich schnell ab, dass die Flammen rasch den ganzen Tower erfassen werden. Für viele wurden ihre Wohnungen zur Todesfalle.
Hinzu komme, dass Bewohnerinnen und Bewohner des Grenfell Towers von der Notrufzentrale noch bis fast zwei Stunden nach Ausbruch des Brandes den Ratschlag erhielten, in ihren Wohnungen zu bleiben und auf Rettung zu warten. Dies führte dazu, dass Bewohner in ihren eigenen Wohnungen von den Flammen eingeschlossen wurden und starben.
Der britische Premierminister Keir Starmer reagierte auf den Untersuchungsbericht am Mittwochnachmittag mit einer Entschuldigung an die Hinterbliebenen der Opfer. "Ich möchte mit einer Entschuldigung im Namen des britischen Staats bei jedem Einzelnen von Ihnen und allen Familien der von dieser Tragödie Betroffenen beginnen: Es hätte nie geschehen dürfen", sagte Starmer.
Viele Bewohnerinnen und Bewohner von Gebäuden, deren Fassaden mit ähnlichen Platten verkleidet sind, leben seit dem Unglück in ständiger Angst vor einer ähnlichen Katastrophe. Besitzer von Eigentumswohnungen in solchen Gebäuden stehen vor finanziellen Problemen, weil ihre Wohnungen unverkäuflich geworden sind.
Erst vor rund eineinhalb Wochen war in einem Hochhaus in Dagenham im Osten Londons ein Brand ausgebrochen, mehr als 80 Menschen mussten evakuiert werden. An dem Gebäude liefen gerade Arbeiten zur Entfernung der nicht feuersicheren Fassadenverkleidung. Nach Behördenangaben stehen allein in London rund 1.300 Gebäude, deren Verkleidung dringend ausgetauscht werden müsste.
Unabhängig von dem jetzt vorgelegten Untersuchungsbericht laufen die Ermittlungen der Londoner Polizei zu der Grenfell-Tower-Katastrophe weiter. Sie sollen Ende kommenden Jahres abgeschlossen sein. Anschließend dürfte es nach Angaben der Staatsanwaltschaft mindestens zwei weitere Jahre dauern, bis über mögliche Anklagen gegen Verantwortliche entschieden wird.
Zusammenfassung
- Ein Untersuchungsbericht zur Grenfell-Brandkatastrophe von 2017, bei der 72 Menschen starben, kritisiert Behörden und Unternehmen scharf für Inkompetenz und Profitgier.
- Die Fassadenverkleidung aus Aluminium mit Kunststoffkern wirkte als Brandbeschleuniger und spielte eine fatale Rolle bei der schnellen Ausbreitung des Feuers.
- Rund 1.300 Gebäude in London benötigen dringend einen Austausch ihrer Fassadenverkleidung, um ähnliche Katastrophen zu verhindern.