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Banden-Boss in Wien wegen versuchten Raubmordes vor Gericht

Am Donnerstag hat am Wiener Landesgericht der Prozess gegen den mutmaßlichen Boss einer auf Carjacking - den Diebstahl von Fahrzeugen unter Anwendung von Gewalt - spezialisierten Bande begonnen, dem versuchter Mord und zweifacher schwerer Raub vorgeworfen wird. Der 35-Jährige, in dem die Staatsanwältin einen Schwerstkriminellen mit einem Hang zur Brutalität sieht, gab sich vor Gericht zahm. Gewalttätig seien in erster Linie seine Mittäter gewesen, behauptete er.

"Er ist der Anführer einer Bande. Es geht um drei brutale Gewalttaten. Ich werde Ihnen in den kommenden Minuten einen Krimi erzählen. Nur leider ist das, was ich Ihnen schildern werde, wirklich passiert", meinte die Staatsanwältin zu Beginn der Verhandlung. Beim Akten-Studium habe sie "ein paar Mal schlucken müssen", hielt sie fest: "Ich bin seit elf Jahren Staatsanwältin. Das sind Gewalttaten, die ich so noch nie gelesen habe." Dem Angeklagten sei es "um Wut, um Macht" gegangen.

Der 35-Jährige, der die rumänische und die serbische Staatsbürgerschaft besitzt, hatte am 8. Oktober 2016 gemeinsam mit vier Rumänen in Deutsch-Wagram (Bezirk Gänserndorf) einen 19-jährigen Burschen angehalten, der mit einem alten Mercedes 180 C unterwegs war. Sie fragten den jungen Mann nach dem Weg, indem sie vorgaben, nicht zu einer Hochzeit zu finden, und stiegen schließlich zu ihm in den Wagen.

Für den 19-Jährigen völlig unerwartet begannen die Männer dann während der Fahrt plötzlich auf ihn einzuprügeln. Er wurde schließlich aus dem Wagen gezerrt, misshandelt, gedemütigt und mit seinem Hosengürtel sowie seinen Schuhbändern an Händen und Füßen gefesselt und in den Kofferraum seines Autos bugsiert. Dann fuhren die Kriminellen den Mercedes auf einen Feldweg und ließen den völlig verängstigten Burschen aus dem Kofferraum. "Er war gerade ein Mal 19", legte die Anklägerin dar, "er hatte natürlich wahnsinnige Angst". Der Angeklagte und seine Komplizen hätten ihrem Opfer in weiterer Folge alle Wertsachen abgenommen und die Bekanntgabe des Codes zu seiner Bankomat-Karte verlangt, ehe sie mit dem Mercedes davonfuhren. Der 19-Jährige habe dessen ungeachtet weiterhin Todesangst ausgestanden, berichtete die Staatsanwältin: "Er hat befürchtet, dass sie zurückkommen. Er ist daher stundenlang im Finstern über Felder zu Fuß nach Hause gegangen."

Den Mercedes schaffte die Bande über Ungarn außer Landes, nachdem man mit der Bankomat-Karte noch Geld vom Konto des jungen Mannes behoben hatte. Nur vier Tage später war die Gruppierung wieder in Wien, um einem damals 53-Jährigen, der sich am 12. Oktober 2016 auf dem Weg zur Arbeit befand, dessen Pkw abzunehmen. Diese Tat hatte zunächst als Auseinandersetzung im Straßenverkehr begonnen, denn der 53-Jährige hatte in Wien-Favoriten mit einem riskanten Überholmanöver den 35-Jährigen verärgert, der diesmal mit drei Rumänen in einem Pkw unterwegs war. Er fuhr dem 53-Jährigen hinterher, überholte nun seinerseits diesen, stellte sich quer zur Fahrbahn und zwang den Widersacher damit zum Anhalten. "Das Opfer wurde dann aus dem Auto gezerrt und brutal zusammengeschlagen", schilderte die Staatsanwältin. Danach sei man mit dem 53-Jährigen zu einem abgelegenen Industriegebiet in Simmering gefahren, habe den Mann bis zur Bewusstlosigkeit verdroschen und im Glauben, er sei tot, liegen gelassen. Das Fahrzeug des 53-Jährigen wurde wiederum nach Serbien geschafft.

"Der Mann war lebensgefährlich verletzt", verwies die Staatsanwältin auf multiple Rippenfrakturen, Knochenbrüche im Kopf- und Gesichtsbereich und einen infolge von Schlägen und Tritten beschädigten Lungenflügel. Dem hielt Verteidiger Michael Dohr ein gerichtsmedizinisches Gutachten entgegen, wonach "kein unmittelbar lebensbedrohliches Verletzungsbild zustande gekommen ist", wie der Anwalt sagte. Zugeschlagen und - getreten hätte auch nicht sein Mandant, sondern dessen Begleiter: "Er war im Auto. Er ist nicht ein Mal ausgestiegen. Er hat auch keinen Auftrag gegeben."

Hinsichtlich des Überfalls auf den 19-Jährigen war der Angeklagte formal geständig: "Ich bin schuld, ich war dabei. Ich habe ihn auch geschlagen, ein Mal, zwei Mal." Das vermeintliche Geständnis entpuppte sich dann allerdings als bloßes Lippenbekenntnis. Der 35-Jährige behauptete nämlich, der 19-Jährige habe einen seiner Bekannten zu schlagen begonnen, man habe darauf "nur reagiert". Der junge Mann sei außerdem "ein Brocken" gewesen: "Er war stärker als jeder von uns."

Die insgesamt vier Mittäter sind allesamt längst rechtskräftig zu Haftstrafen zwischen vier und zehn Jahren verurteilt worden. Sie hatten den 35-Jährigen als Chef ihrer Gruppierung bezeichnet, was dieser nun vor Gericht abstritt. Er bezeichnete sich als gelernter Automechaniker, der zuletzt als Hilfsarbeiter am Bau gearbeitet habe. Kriminell sei er nicht. Der Mann war für die heimische Justiz jahrelang nicht greifbar, da er sich in Serbien aufhielt und ein Europäischer Haftbefehl nicht vollzogen werden konnte. Er wurde im vergangenen April bei der Einreise nach Österreich festgenommen - er wollte seine hier lebende Frau besuchen, mit der er fünf Kinder hat. Seither sitzt der 35-Jährige in U-Haft. Bei einem Schuldspruch - der Prozess wird im Oktober fortgesetzt - drohen ihm zehn bis 20 Jahre der lebenslange Haft.

Von der Anklage mitumfasst sind auch Gewalttätigkeiten zulasten der Ex-Frau des 35-Jährigen und ihres neuen Mannes. Der Banden-Boss soll das Paar im November 2016 zu einer Aussprache in ein Lokal in Wien-Favoriten bestellt haben, um dort die Vaterschaft eines Sohnes der Frau zu klären. Der neue Mann der Ex wurde in dem Lokal zunächst derart heftig zusammengeschlagen, dass er durch eine Wand vom einen Raum in den anderen krachte. Anschließend wurde der damals 20-Jährige von Mittätern in eine Lagerhalle gebracht und stundenlang gefangen gehalten, ehe ihm mit einer List die Flucht gelang. Während dessen fuhr der 35-Jährige mit seiner Ex-Frau ziellos durch Niederösterreich und soll sie auf der Toilette einer Raststation vergewaltigt haben.

"Das hat so nicht stattgefunden", meinte dazu Verteidiger Dohr. Der Anwalt verwies darauf, dass sein Mandant damals "eine sehr, sehr schlechte Phase, die von Aggressionen geprägt war" durchlebt habe. Speziell das, was der im Tatzeitpunkt 19-Jährige erlebt habe, sei "sehr traurig", sagte Dohr: "Es gibt Dinge in dem Akt, die nicht zu beschönigen sind, die furchtbar sind."

ribbon Zusammenfassung
  • Der 35-Jährige, in dem die Staatsanwältin einen Schwerstkriminellen mit einem Hang zur Brutalität sieht, gab sich vor Gericht zahm.
  • Seither sitzt der 35-Jährige in U-Haft.