15 Monate bedingt für angebliches Polizeigewalt-Opfer
Graupner zeigte sich nach dieser Entscheidung empört. "Man kann niemandem mehr raten, Polizeigewalt anzuzeigen", stellte er in einer Pressemitteilung fest. Das Berufungsgericht habe einen "Freibrief für Polizeifolter" bestätigt.
Der 41-Jährige hatte behauptet, er sei am 13. April 2022 auf einer Polizeiinspektion von einem Beamten misshandelt worden. Verletzungen, die er nach dem Verlassen der Dienststelle aufwies - darunter ein blutunterlaufendes Auge, Prellungen im Gesichtsbereich und eine Rötung der Augenbindehaut - waren auf Fotos und in Form von Spitalsunterlagen dokumentiert. Der Polizist habe ihm vier bis fünf Schläge in die linke Gesichtshälfte, darunter einen knapp über dem Auge versetzt, hatte der Mann in seiner Anzeige dargelegt. Er gab auch an, er sei gewürgt worden, bis er keine Luft mehr bekam.
Der 24-jährige Polizist behauptete dagegen, der 41-Jährige sei während einer Beschuldigteneinvernahme auf seiner Polizeiinspektion - der Mann hatte einer Frau auf einer Internet-Plattform beleidigende Kommentare hinterlassen und sollte zum Vorwurf der fortdauernden Belästigung im Wege der Telekommunikation (§107c StGB) befragt werden - zunehmend aggressiv geworden. Er habe befürchtet, der in Rage geratene Mann würde vom Sessel aufspringen und auf ihn losgehen, daher habe er ihn mit beiden Händen nach unten drücken und am Aufstehen hindern wollen. Durch eine Ausweichbewegung sei der Mann mit dem Kopf heftig gegen den Tisch geprallt.
Das Erstgericht schenkte der Version des 41-Jährigen keinen Glauben. "Sie haben diese Geschichte erfunden", beschied der Richter dem Mann. Das OLG stellte dazu nun fest, es sei "erwiesen", dass der 41-Jährige nicht geschlagen wurde, sondern sich auf der Tischplatte selbst verletzt hatte.
"Ich habe die Wahrheit gesagt. Ich habe nicht gelogen", versicherte der bis dahin unbescholtene Mann im vergangenen Sommer in seiner Hauptverhandlung. Seine ursprüngliche Darstellung, er habe neben dem Schlag ins Auge vier Schläge in den Nacken erhalten, hielt er aber nicht mehr aufrecht. Nun war in dieser Hinsicht nur mehr von einem Schlag mit der flachen Hand die Rede. Das Würgen grenzte er auf ein höchstens zwei Sekunden dauerndes "Packen am Hals" ein: "Es war schwer zu atmen."
Während die Staatsanwaltschaft Wien den 41-Jährigen vor Gericht brachte, wurde das Amtsmissbrauch-Verfahren gegen den Polizeibeamten eingestellt. Der Polizist bestritt die ihm unterstellten Faustschläge. Seine Darstellung des Geschehens, wonach der Mann bei einer Ausweichbewegung gegen einen Tisch geprallt sei und sich selbst verletzt habe, erschien der Staatsanwaltschaft "durchaus glaubwürdig", wie in der Einstellungsbegründung festgehalten wurde.
Für Verteidiger Graupner steht fest, dass diese Aussage insofern an die gutachterlichen Feststellungen angepasst wurde, als der Gerichtsmediziner in der Verhandlung ausgeschlossen habe, dass die Gesichtsverletzungen von einer Tischplatte herrührten. Die Verurteilung seines Mandanten sei ein "Signal, dass Polizeiübergriffe folgenlos bleiben", befürchtete Graupner.
Der Wiener Rechtsanwalt urgierte, in diesem Fall sei in mehrerlei Hinsicht "allen menschenrechtlichen Standards" widersprochen worden. Der 41-Jährige hatte den von ihm behaupteten Polizeiübergriff eine halbe Stunde danach auf einer anderen Polizeiinspektion zur Anzeige gebracht. Daraufhin sei seine Festnahme angeordnet worden - und zwar just vom tatverdächtigen Beamten, in dessen Dienststelle der 41-Jährige dann überstellt wurde. Damit sei zweifellos gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen worden, hielt Graupner fest: "Die MRK gebietet prozessuale Rechte von Opfern."
"Sie haben diese Geschichte erfunden", stellte der Richter in der Urteilsbegründung fest. Helmut Graupner, der Rechtsvertreter des Mannes, war von dieser Entscheidung entsetzt: "Das ist der ultimative Freibrief für Polizeifolter."
Zusammenfassung
- Das Wiener Oberlandesgericht (OLG) gab am Mittwoch dem dagegen eingebrachten Rechtsmittel von Verteidiger Helmut Graupner keine Folge.