Vasily Astrov

Astrov: Russland besser gegen Sanktionen gewappnet als 2014

Die Zuspitzung des Russland-Ukraine-Konflikts ruft nach einer diplomatischen Antwort aus dem Westen. Als Instrument schnell auf dem Tapet sind Wirtschaftssanktionen. Doch diesmal ist Russland besser gewappnet als während der Ukraine-Krise 2014.

"Damals gab es eine Rezession der russischen Wirtschaft, aber es war ein doppelter Schock - der Verfall der Ölpreise und die Sanktionen, jetzt gehen die Ölpreise aber nach oben", sagte der Osteuropa-Experte Vasily Astrov zur APA.

Solange die Ölpreise so hoch blieben, werde es in Russland voraussichtlich nicht zu einer Rezession kommen. "Es wird wahrscheinlich zu einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums kommen - je nachdem, wie stark die Sanktionen sind", erwartet der stellvertretende Leiter des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). "Höchstwahrscheinlich wird der Rubel doch etwas abwerten, was zu einem weitern Anstieg der Inflation und zu Kaufkraftverlusten führen würde", umriss Astrov das von ihm erwartete Szenario für Russland.

Gas-Sanktionen schaden beiden Seiten

Der russischen Wirtschaft wirklich schaden würden nur Maßnahmen, die für die EU "nicht akzeptabel" seien. Denn dadurch würden die EU-Länder aufgrund der engen wirtschaftlichen Verflechtung mit Russland selbst arg in Mitleidenschaft gezogen. Dazu gehörten etwa Einschränkungen für Energielieferungen aus Russland. Die wechselseitige Abhängigkeit sei zu groß. "Russisches Gas kann man nicht so leicht ersetzen", hielt Astrov fest. "Im Schnitt stammen 40 Prozent der europäischen Gasimporte aus Russland, in Österreich sind es etwa 60 bis 70 Prozent", verdeutlichte er.

Österreichische Banken bei Swift-Abschaltung betroffen

"Das absolute Worst-Case-Szenario, die härteste Sanktion, die möglich wäre, wäre eine Abschaltung Russlands vom internationalen Zahlungsverkehrssystem Swift", so der Ökonom. Dann könnte man mit Russland keine Finanztransaktionen mehr machen. "Es würde dann aber zum Beispiel auch problematisch für den Westen sein, Energie-Importe aus Russland zu bezahlen", räumte der stellvertretende wiiw-Chef ein. Einige westliche Banken haben infolge ihres starken Exposures laut wiiw ein besonders hohes Russland-Risiko - dazu zählen die österreichische Raiffeisen, die Société Générale, die italienische Bank-Austria-Mutter Unicredit und die Citibank.

Eine etwas weniger harte Gangart bei den Sanktionen wären Lieferbeschränkungen für Hightech-Güter wie iPhones und Halbleiterchips oder für Elektrogeräte wie Fernseher und Kühlschränke. "Ein Großteil davon wird in Russland importiert." Auch eine Reihe von Finanzsanktionen wären möglich - etwa ein Verbot für westliche Investoren, russische Staatsanleihen zu kaufen, ein Verbot für russische Großbanken, ihre Auslandsschulden außerhalb Russlands zu refinanzieren, oder das Einfrieren von Aktiva russischer Unternehmen im Westen. "Das sind so die denkbaren Sanktionen - die wären wirtschaftlich spürbar für Russland, aber sie würden nicht zu einem politischen Kurswechsel führen, weil sie verkraftbar sind, aus russischer Sicht", so die Einschätzung Astrovs. "Damit kann Russland leben."

Westen noch uneins

"Der Westen", also die USA und die EU, müssen sich erst auf ein einheitliches Vorgehen bei den Sanktionen einigen - bei sehr unterschiedlichen Interessenlagen. Ein großer Reibepunkt ist etwa die Gaspipeline Nord Stream 2, mit der russisches Gas nach Deutschland transportiert werden soll. Als Reaktion auf die russische Anerkennung der Separatistengebiete in der Ostukraine hat Deutschland die Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline auf Eis gelegt.

"Das war schon immer ein Konflikt zwischen den USA und - manchen - EU-Ländern, nicht der gesamten EU, sondern etwa Deutschland und Österreich", sagte Astrov. Schon der ehemalige US-Präsident Donald Trump habe amerikanisches Flüssiggas nach Europa verkaufen wollen, und dessen Amtsvorgänger Barack Obama habe gemeint, Nord Stream 2 verstärke die politische Abhängigkeit Europas von Putin. Der derzeitige US-Präsident Joe Biden hat die möglichen aktuellen Sanktionen gegen Russland bis zur Stunde noch nicht präzisiert. Das erste Paket, das mit der EU abgestimmt wird, will Biden jedenfalls demnächst verhängen.

Krieg bei weiterer Expansion Russlands

Die derzeitige Situation im Russland-Ukraine-Konflikt, zu der es bisher gekommen sei - die Anerkennung der Unabhängigkeit der selbsternannten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk in der Ostukraine durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin und die formelle Entsendung von russischen Truppen dorthin - ist laut Astrovs Meinung "noch kein ausreichender Grund, dass die Ukraine militärische Gegenmaßnahmen ergreift". Wenn Russland versuchte, die Separatistengebiete zu vergrößern, "das wäre ein hartes Szenario", so der wiiw-Experte. "Wenn es passiert, dass Russland weiter expandiert, würde das, glaube ich, schon einen Krieg bedeuten."

50:50-Chance

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Lage weiter eskaliere, betrage "50 : 50". "Es ist alles möglich, ich würde nichts ausschließen", sagte Astrov. "Derzeit haben wir keine großangelegte Invasion in der Ukraine - dazu ist es noch nicht gekommen."

ribbon Zusammenfassung
  • Die Zuspitzung des Russland-Ukraine-Konflikts ruft nach einer diplomatischen Antwort aus dem Westen. Als Instrument schnell auf dem Tapet sind Wirtschaftssanktionen. Doch diesmal ist Russland besser gewappnet als während der Ukraine-Krise 2014.