Ungarisches NGO-Gesetz verstößt laut EuGH gegen EU-Recht
Im Streit um aus dem Ausland finanzierte Nichtregierungsorganisationen hat die ungarische Regierung eine Niederlage vor dem Europäischen Gerichtshof kassiert. Das sogenannte NGO-Gesetz sei mit EU-Recht nicht vereinbar, urteilten die Luxemburger Richter am Donnerstag (Rechtssache C-78/18).
Die ungarische Regierung will das Urteil studieren und danach ihre Standpunkt bekanntgeben, erklärte Kanzleiminister Gergely Gulyas in Budapest. Der Minister betonte, die Regierung werde auch dieses Urteil des Europäischen Gerichts achten.
Das Gesetz wurde 2017 von der Regierungsmehrheit des rechtsnationalen Ministerpräsidenten Viktor Orban verabschiedet. Es sieht vor, dass sich NGOs, die Spenden aus dem Ausland erhalten, ab einem bestimmten Schwellenwert bei den ungarischen Behörden registrieren lassen müssen. Die Informationen werden online veröffentlicht. Zudem müssen die NGOs auf ihrer Webseite und in anderen Veröffentlichungen angeben, sie seien eine "aus dem Ausland unterstützte Organisation".
Kritiker sagen, das Gesetz sei auf US-Investor und Großspender George Soros zugeschnitten. Orban führt seit Jahren Kampagnen gegen den aus Ungarn stammenden Holocaust-Überlebenden. Dabei hetzt er auch mit antisemitischen Stereotypen.
Um unter das NGO-Gesetz zu fallen, muss eine Organisation mehr als 7,2 Millionen Forint (etwa 20.500 Euro) im Jahr aus dem Ausland erhalten. Zudem muss sie bei der Registrierung die Anzahl der Spender angeben, deren Unterstützung 500.000 Forint (etwa 1.500 Euro) übersteigt.
Die EU-Kommission, die in der Staatengemeinschaft die Einhaltung von EU-Recht überwacht, leitete wegen des Gesetzes ein Verfahren gegen Ungarn ein. Als Budapest nicht einlenkte, klagte die Behörde vor dem EuGH.
Die Luxemburger Richter gaben der EU-Kommission nun Recht. Die Regeln seien diskriminierend und schränkten die betroffenen Organisationen, aber auch die Spender ungerechtfertigt ein. Dies verstoße unter anderem gegen den Grundsatz des freien Kapitalverkehrs. Ebenso verletze es unter anderem das Recht auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten. Außerdem sind die Bestimmungen geeignet, ein Klima des Misstrauens gegenüber Vereinigungen und Stiftungen zu schaffen.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International und die Soros-Stiftung feierten das Urteil als Erfolg. "Dieses Urteil wird durch die gesamte Europäische Union nachhallen als Bekräftigung, dass ziviles Engagement eine lebhafte Stütze unserer demokratischen Werte ist", erklärte Patrick Gaspard, Präsident der Open Society Foundations von Soros. "Die heutige bahnbrechende Entscheidung sendet eine klare Botschaft an die ungarische Regierung: Sie muss jeden Versuch der Stigmatisierung und Diskreditierung kritischer zivilgesellschaftlicher Organisationen, die für Menschenrechte, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung kämpfen, unterbinden", sagte David Vig, der Direktor von Amnesty International in Ungarn.
Beifall für die Verurteilung Ungarns durch die EU-Richter kam auch von mehreren Europaabgeordneten. "Das heutige EuGH-Urteil ist ein Sieg für die ungarische Zivilgesellschaft", sagte Monika Vana, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im Europaparlament. "Wenn nun dieses Urteil von Ungarn nicht fristgerecht umgesetzt wird, darf die EU-Kommission nicht davor zurückschrecken, den EuGH ein zweites Mal anzurufen, damit dieser finanzielle Sanktionen gegen Ungarn verhängt", forderte die SPÖ-Europaabgeordnete Bettina Vollath.
Michel Reimon, Europasprecher des grünen Parlamentsklubs, sieht das Urteil als wichtiges Zeichen für die Rechtsstaatlichkeit innerhalb Europas. Katarina Barley, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments und Mitglied im Innenausschuss, (SPD), betonte: "Der EuGH beweist erneut, dass er im Moment das schärfste Schwert der EU bei Verletzungen europäischer Werte ist."
Die EU-Kommission erwartet sich eine Umsetzung des Richterspruchs seitens der ungarischen Regierung. "Es ist eine wichtige Gerichtsentscheidung, die die Vereinigungsfreiheit und zivilgesellschaftliche Organisationen in der EU schützt und die Binnenmarktregeln bestärkt", sagte ein Sprecher der EU-Behörde in Brüssel am Donnerstag.
Der Konflikt um das NGO-Gesetz ist nicht der einzige Streit zwischen Brüssel und Budapest. Die EU-Kommission klagte in den vergangenen Jahren mehrfach gegen Ungarn vor dem höchsten EU-Gericht. Häufig ging es um die ungarische Asyl- und Migrationspolitik. Zuletzt befand der EuGH Mitte Mai, die ungarischen Transitlager für Asylbewerber verstießen gegen EU-Recht.
Zusammenfassung
- Im Streit um aus dem Ausland finanzierte Nichtregierungsorganisationen hat die ungarische Regierung eine Niederlage vor dem Europäischen Gerichtshof kassiert.
- Das sogenannte NGO-Gesetz sei mit EU-Recht nicht vereinbar, urteilten die Luxemburger Richter am Donnerstag.
- Die ungarische Regierung will das Urteil studieren und danach ihre Standpunkt bekanntgeben, erklärte Kanzleiminister Gergely Gulyas in Budapest.