Tunesiens Präsident verlängert Aussetzung des Parlaments
Während einige tunesische Politiker und die USA auf die Wiederherstellung des Parlaments drängen, befürworten die meisten Tunesier Saieds Maßnahmen. Der Präsident hatte vor fast einem Monat Regierungschef Hichem Mechichi abgesetzt und die Arbeit des Parlaments für zunächst 30 Tage eingefroren. Er hob zudem die Immunität aller Abgeordneten auf. Seitdem befindet sich Tunesien in Aufruhr. Saieds Gegner verurteilten sein Vorgehen als Staatsstreich. Der frühere Jus-Professor sagte dagegen, seine Maßnahmen stünden im Einklang mit der Verfassung.
Saied entließ zudem Dutzende ranghohe Regierungsbeamte. Mehrere Kritiker des Präsidenten wurden festgenommen oder unter Hausarrest gestellt - darunter Politiker und Richter. Saied betont, dass sie der Korruption, Steuerhinterziehung oder des Terrorismus verdächtigt würden. Parteien und betroffene Politiker kritisierten die Maßnahmen dagegen als Willkür. Der Oberste Richterrat des Landes befürchtet Verleumdungskampagnen gegen Richter.
Der Präsident hat inzwischen zwar mehrere Ministerposten neu besetzt. Die Ernennung eines neuen Regierungschefs steht aber noch aus. Bis auf Weiteres hat somit Saied die Exekutivgewalt inne. Beobachter gehen davon aus, dass er sich langfristig mehr Macht sichern will. Saied hat trotz anderslautender Versprechungen bisher auch noch keinen Fahrplan zur Wiederherstellung des demokratischen Prozesses in dem nordafrikanischen Land vorgelegt.
Drei Viertel der Tunesier sehen ihr Land laut jüngsten Umfragen aber auf dem richtigen Weg - so viele wie schon seit Jahren nicht mehr. Fast 95 Prozent unterstützen demnach die Beschlüsse des Präsidenten. Viele Menschen werfen den Abgeordneten des Parlaments Machtgier vor. Sie betrachten Saieds Maßnahmen als Korruptionsbekämpfung.
Viele Politiker fordern unterdessen die Bildung einer neuen Regierung. Die moderat-islamistische Ennahda, mit der sich Saied schon seit langem einen Machtkampf liefert, drängt auf die Ernennung eines technokratischen Regierungschefs. Die Partei sieht die fortdauernde Suspendierung des Parlaments als Verstoß gegen die Gewaltenteilung.
Auch US-Präsident Biden fordert eine schnelle Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie und die Ernennung eines neuen Regierungschefs. In Tunesien verbittet man sich jedoch jegliche Einmischung von außen. Einige befürchten, dass das nordafrikanische Land der nächste Spielball ausländischer Mächte werden könnte.
Tunesien hat seit den arabischen Aufständen von 2011 als einziges Land der Region den Übergang in die Demokratie geschafft. Es kämpft aber weiterhin mit einer Wirtschaftskrise, hoher Arbeitslosigkeit und weit verbreiteter Korruption. Das Land ist zudem schwer von der Corona-Pandemie getroffen und war jüngst durch eine politische Blockade gelähmt. Während Politiker um die Machtverteilung zwischen Präsident, Regierung und Parlament rangen, blieben Reformen und eine wirksame Corona-Strategie liegen. Saied begründet die aktuellen Ausnahmemaßnahmen auch damit, die Blockade überwinden zu wollen. Wie es nun weitergeht, bleibt ungewiss. Vertreter der Zivilgesellschaft bemühen sich derzeit vergeblich um ein Treffen mit dem Präsidenten.
Saied will in den kommenden Tagen eine Ansprache an das tunesische Volk halten. Es wurde zunächst nicht bekannt, wie lange die Arbeit des Parlaments nun ausgesetzt bleiben soll.
Zusammenfassung
- Trotz internationalen Drucks hat Tunesiens Präsident Kais Saied in einem wenig überraschenden Schritt die Suspendierung des Parlaments "bis auf Weiteres" verlängert.
- Auch die Immunität aller Abgeordneten bleibe aufgehoben, teilte die tunesische Präsidentschaft am frühen Dienstagmorgen via Twitter mit.
- Während einige tunesische Politiker und die USA auf die Wiederherstellung des Parlaments drängen, befürworten die meisten Tunesier Saieds Maßnahmen.