Scholz schwört SPD auf harten Wahlkampf ein
"Jetzt geht es um das Ganze", sagte Scholz in seiner einstündigen Rede, für die er lange anhaltenden Applaus erntete. Wenn man jetzt falsch abbiege, dann habe das schwerwiegende Folgen. Er werde in den nächsten 85 Tagen alles geben für das Land und die Sozialdemokratie. "Besinnen wir uns auf unsere Kraft: Nicht meckern, machen. Gemeinsam kämpfen", sagte er zum Abschluss seiner Rede. "Wenn wir kämpfen, werden wir siegen. Freundschaft." Der von Scholz verwendete Konditionalsatz war auch zentraler Schlachtruf der glücklosen US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris gewesen ("When we fight, we win.")
Scholz war am Montag vom Parteivorstand einstimmig als Kanzlerkandidat nominiert worden. Vorausgegangen war eine zweiwöchige Debatte darüber, ob der laut Umfragen im Volk deutlich beliebtere Verteidigungsminister Boris Pistorius als Ersatzkandidat für Scholz eingewechselt werden soll, der nach dem Scheitern seiner Ampel-Regierung politisch angeschlagen ist. Mit der "Wahlsiegkonferenz" in Berlin, zu der Kandidatinnen und Kandidaten mit ihren Teams eingeladen wurden, will die Partei den Streit nun hinter sich lassen und nach vorne schauen.
Scholz hat sich zum Ziel gesetzt, die SPD - wie schon vor drei Jahren - wieder zur stärksten Kraft im Bundestag zu machen. Derzeit liegt sie in Umfragen aber 16 bis 22 Prozentpunkte hinter der Union. Für die Aufholjagd bleiben bis zur Wahl am 23. Februar nur noch 85 Tage.
Scholz begann seine Rede mit Angriffen auf FDP-Chef Christian Lindner, den er Anfang November als Finanzminister gefeuert und damit das Ende der Ampel-Koalition besiegelt hatte. In ernsten Zeiten brauche Deutschland ernsthafte Politik und "keine Spieler und keine Zocker". Lindner und seine FDP hätten die Arbeit der Ampel-Regierung über Monate hinweg "systematisch sabotiert". "Sie wollten aktiv verhindern, dass diese Bundesregierung erfolgreich ist", sagte Scholz. "So etwas darf in Deutschland nie wieder passieren."
Scholz nannte vier Punkte, für die er ihm im Wahlkampf werben will, um aus der Wirtschaftskrise zu kommen: Sicherung von Industriearbeitsplätzen, vor allem in der schwer angeschlagenen Autoindustrie; günstige Energie für die Wirtschaft; verstärkte Investitionen in Infrastruktur; Kampf gegen den Fachkräftemangel. Um Investitionen zu ermöglichen, will Scholz die Schuldenbremse reformieren.
Scholz warb für eine weitere Anhebung des Mindestlohns und sagte, dass es stabile Pensionen und bezahlbares Wohnen nur mit der SPD gebe. Er betonte, dass die Ampel-Regierung beim Kampf gegen irreguläre Einwanderung weit vorangekommen sei.
Scholz will im Wahlkampf aber auch mit seiner Doppelstrategie im Ukraine-Krieg punkten. Er sichert der Ukraine einerseits anhaltende Waffenlieferungen zu, will aber gleichzeitig eine Verwicklung der NATO in den Krieg mit Russland verhindern. Deswegen lehnt er die Bereitstellung der von Kiew seit langer Zeit geforderten Marschflugkörper des Typs Taurus ab. "Mit der Sicherheit Deutschlands spielt man nicht Russisch Roulette", betonte Scholz in Richtung des Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz. Dieser wolle nämlich, "dass der Nuklearmacht Russland ein Ultimatum gestellt wird". "Im Bundestag hat er ganz offen gesagt: Wenn Putin nicht tut, was Deutschland will, dann wird ab morgen mit deutschen Marschflugkörpern weit nach Russland hineingeschossen." Er habe als Kanzler einen Eid geschworen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. "Ich bleibe standhaft und besonnen, darauf können sie sich verlassen."
Scholz' Kanzlerkandidatur muss noch auf dem Parteitag am 11. Jänner bestätigt werden. Das gilt als Formsache. Scholz muss sich aber an seinem Ergebnis vom Mai 2021 – gut vier Monate vor der Bundestagswahl – messen lassen. Damals wurde er mit 96,2 Prozent der Stimmen bestätigt. Die SPD lag zu diesem Zeitpunkt wie heute in den Umfragen zwischen 14 und 16 Prozent, konnte dann aber wegen des unionsinternen Streits aufholen. Als amtierender Vizekanzler konnte Scholz den Kanzlerkandidaten der Unionsparteien, Armin Laschet, überholen und die SPD mit 25,7 Prozent zur stärksten Kraft machen.
Parteichef Lars Klingbeil rief die SPD auf, sich nicht von den Umfragen beeinflussen zu lassen. "Hört nicht auf die Umfragen, hört nicht auf die Artikel, die jetzt geschrieben werden", sagte er. "Wenn die SPD etwas kann, dann ist das kämpfen. Wir sind eine Partei für die Aufholjagd."
Einen ersten Hoffnungsschimmer für Scholz und die SPD gab es heute mit einer Insa-Umfrage im Auftrag der "Bild". Danach würden nun 22 Prozent der Menschen in Deutschland Scholz direkt zum Kanzler wählen - plus 7 Prozentpunkte im Vergleich zur Vorwoche vor der Kandidatenkür. Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz liegt mit 30 Prozent (minus 1) aber weiter vorne, Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck rutscht auf 16 Prozent (minus 2) ab und damit auf Platz 3. Bei der Sonntagsfrage zur Bundestagsfrage liegt die SPD aber weiterhin 17 Prozentpunkte hinter der Union (15 Prozent zu 32 Prozent).
Zusammenfassung
- Olaf Scholz schwört die SPD auf einen intensiven Wahlkampf ein, um die Bundestagswahl am 23. Februar zu gewinnen.
- Die SPD liegt in Umfragen 16 bis 22 Prozentpunkte hinter der Union, mit nur 85 Tagen bis zur Wahl.
- Scholz plant, wirtschaftliche Themen wie die Sicherung von Industriearbeitsplätzen und Investitionen in Infrastruktur in den Mittelpunkt zu stellen.
- Er lehnt die Lieferung von Marschflugkörpern an die Ukraine ab, um eine Eskalation mit Russland zu vermeiden.
- Eine aktuelle Umfrage zeigt einen Anstieg der Zustimmung zu Scholz um 7 Prozentpunkte auf 22 Prozent.