Regierung brachte Antrag zu Familiennachzug auf den Weg
Konkret ist es zwar weiter möglich, bei der jeweiligen Vertretungsbehörde einen Antrag auf Einreise zwecks Stellung eines Antrags auf Familienzusammenführung zu stellen. Doch wird der weitere Verlauf des Verfahrens bzw. die darin enthaltenen Fristen im Regelfall gehemmt, bis die Verordnung zurückgezogen oder geändert wird.
Allerdings sind Ausnahmen in jenen Fällen vorgesehen, wo dies europarechtlich geboten ist. Dies wäre etwa bei Personen der Fall, deren Deutschkenntnisse so gut sind, dass durch sie keine zusätzliche Belastung der Systeme zu erwarten wäre. Weiters werden in den Erläuterungen zum Gesetzesentwurf beispielsweise Kinder angegeben, die im Herkunftsstaat keine ausreichenden Bezugspersonen haben und so ihren Eltern nachreisen können. Gleiches gilt für vorgereiste Kinder und Jugendliche, deren im Herkunftsland befindlicher Elternteil die einzige in Betracht kommende Bezugsperson ist.
Abgesichert wird, dass in Österreich befindliche Minderjährige nicht durch die Hemmung der Verfahren in die Volljährigkeit rutschen, womit die Eltern auch später nicht nachreisen könnten. Hier gilt das Alter bei Antragsstellung.
Schulsystem als Begründung
"Wir sind hier am Ende der Belastbarkeit und deshalb drücken wir die Stopptaste", begründete Integrationsministerin Claudia Plakolm (ÖVP) nach der Regierungssitzung ein weiteres Mal das Vorhaben der Regierung aus ÖVP, SPÖ und NEOS im Asylwesen. Ziel ist es, die Systeme vor weiterer Überlastung zu schützen, so die offizielle Begründung auch gegenüber der EU-Kommission. Vor allem das Schulsystem stoße aufgrund des Zuzugs von zum Teil nicht alphabetisierten Flüchtlingen an seine Grenzen.
Laut Plakolm darf Österreich mit dem Antrag und einer entsprechenden Verordnung vom EU-Asylrecht abweichen. Die neue Sonderregelung kann durch Verordnung der Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrats bei entsprechender Überlastung der Systeme anwendbar gemacht werden und wird befristet bis Ende September 2026 eingeführt. Begleitend soll ein Kontingente-System erarbeitet werden, mit dem künftig das Ausmaß des Familiennachzugs begrenzt werden soll.
Wenig Aussicht auf Erfolg gibt dem Plan der Regierung Franz Leidenmühler, Vorstand des Instituts für Europarecht der Universität Linz. Für ihn wäre ein durch das Innenministerium verordneter Antragsstopp rechtswidrig, wie er im Ö1-"Mittagsjournal" erklärte. In der Europäischen Menschenrechtskonvention sei ein Grundrecht auf Familienleben festgeschrieben, dazu komme eine EU-Richtlinie, die den Familiennachzug garantiere. Von diesen könne man nur "unter ganz bestimmten Umständen abweichen", egal ob durch einen ursprünglich geplanten Stopp oder im Wege einer Verordnung, durch die Anträge befristet nicht bearbeitet werden. Laut Notstandsklausel können die Mitgliedsstaaten nur im Fall einer Bedrohung der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit vom EU-Asylrecht abweichen. Das werde vom EuGH aber eng definiert. Da gehe es um die Vermeidung von Chaos im Land, "die Überlastung der Bildungseinrichtungen in einzelnen Städten eines Staates erfüllen das auf keinen Fall". Außerdem dürfte die Maßnahme erst als letztes Mittel ergriffen werden. "Das heißt, da gibt es eine ganze Reihe von Kriterien, die alle nicht erfüllt sind." Bisher sei auch noch nie ein Mitgliedsstaat damit beim EuGH erfolgreich gewesen. Es sei auch "definitiv nicht" möglich, die Maßnahme präventiv zu setzen, um einen künftigen Notstand zu verhindern.
Regelung zu (wenig) streng
Für FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz ist mit dem Antrag der Regierung der "Stopp des Familiennachzugs jetzt offiziell abgesagt". Dieser biete nämlich bereits die Anleitung, wie die Regelung durch Berufung auf das Recht auf Privat- und Familienleben ausgehebelt werden könne. Durch die Befristung mit Ende September 2026 sei zudem schon eine neue Einwanderungswelle absehbar. "Das Asylrecht muss generell ausgeschaltet werden für alle Personen, die auf ihrer angeblichen Flucht ein sicheres Drittland durchquert haben." ÖVP-Generalsekretär Nico Marchetti wies das prompt zurück. Die Regierung habe schlicht "seriöse und nachhaltige Lösungen zur Migration" vorgelegt, die mit Verfassung und Menschenrechten konform seien.
Eine Themenverfehlung ortete Grünen-Bildungssprecherin Sigrid Maurer. "Was die Bundesregierung vorgelegt hat, wird keinem einzigen Kind, keiner einzigen Lehrkraft und keinem einzigen Elternteil helfen." Statt bester Bildung bekämen die Kinder Politikerinnen und Politiker, die sich "mit populistischen Überschriften und fest zugedrückten Augen aus der Verantwortung stehlen" würden.
Kritik kam auch von NGOs. Das Rote Kreuz mahnte die Regierung, die Menschlichkeit nicht aus den Augen zu verlieren. Die Familienzusammenführung sei ein Menschenrecht und hinter den diskutierten Zahlen und Statistiken würden sich Schicksale von Menschen verbergen, die wegen Krieg, Leid und Zerstörung ihre Heimat verlassen müssten, erinnerte Präsident Gerald Schöpfer. Erfolgreiche Integration sei nur möglich, wenn die betroffenen Familien in einem sicheren Umfeld leben.
Auch ein Bündnis aus Organisationen von Caritas und Volkshilfe bis zur Asylkoordination und den Pfadfindern forderte von der Regierung eine "menschenrechtskonforme und konstruktive Politik". Familien die Aussicht auf Wiedervereinigung zu nehmen, löse keine Probleme, sondern schaffe nur weitere. Außerdem befinde sich Österreich nicht in einer gesamtstaatlichen Notlage, die den Bruch europarechtlicher Verpflichtungen legitimieren würde. Es sei zwar ein Problem, dass etwa in einem Teil der Volksschulen viele Kinder nicht genug Deutsch sprechen, um dem Unterricht zu folgen. Die Mehrheit dieser Kinder sei allerdings schon in Österreich geboren und habe überhaupt nichts mit dem Familiennachzug zu tun.
Zusammenfassung
- Die österreichische Regierung hat eine Pause beim Familiennachzug für Flüchtlinge beschlossen, die Mitte Mai beginnen soll und bis Ende September 2026 befristet ist.
- Der Antrag wird im Nationalrat eingebracht und könnte bereits im April verabschiedet werden.
- Integrationsministerin Claudia Plakolm begründet die Maßnahme mit der Überlastung des Schulsystems und sieht die Möglichkeit, vom EU-Asylrecht abzuweichen.
- Experten wie Franz Leidenmühler kritisieren den Plan als rechtswidrig, da er gegen EU-Recht verstößt und das Grundrecht auf Familienleben gefährdet.
- NGOs und Oppositionsparteien kritisieren die Regelung als unmenschlich und fordern eine menschenrechtskonforme Politik.