Koalitionsverhandlungen
Geheime Protokolle: Was bei Blau-Türkis auf "Rot" steht
Erst Anfang kommender Woche sollen die Regierungsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP fortgesetzt werden. Die Verhandler waren am Freitag nach überraschend kurzen Gesprächen in die Pause gegangen. Unterdes sickerten nun Protokolle aus den Untergruppen durch, die auch PULS 24 vorliegen. Sie offenbaren, dass es eigentlich noch viel Gesprächsbedarf gibt.
Die Protokolle, über die zuerst der ORF und die APA berichteten, sind zwar bereits ein paar Tage alt, zeigen indes, wo sich FPÖ und ÖVP noch uneins sind. Einige Punkte könnten in der Zwischenzeit aber bereits geklärt sein.
Fakt ist demnach, dass es vor allem an den Themen EU und Außenpolitik, aber auch bei Migration, Inneres und Wirtschaft spießt. Am Sonntag sickerte durch, dass man sich zumindest geeinigt habe, dass die EU-Agenden in einem ÖVP-Außenministerium landen könnten.
NATO, Pandemie, Pushbacks
Außenpolitische Uneinigkeit gibt es dennoch: So will die FPÖ etwa den WHO-Pandemievertrag nicht akzeptieren und aus dem NATO-Abkommen für Frieden und Sky-Shield aussteigen. Zusätzlich sollen laut Freiheitlichen keine EU-Fahnen mehr auf Amtsgebäuden gehisst werden. Die ÖVP ist zwecks ihrer proeuropäischen Haltung naturgemäß dagegen.
Ein Knackpunkt dürften auch die Russland-Sanktionen angesichts des Angriffskriegs gegen die Ukraine sein: Die FPÖ möchte sie "auf ihre Auswirkungen auf den österreichischen Wirtschaftsstandort" prüfen und "bei nächstmöglicher Gelegenheit österreichspezifische Ausnahmen" verhandeln. Unterdessen möchte die ÖVP "wie bisher im Einklang mit allen Mitgliedsstaaten an den Beschlüssen mitwirken".
Dass die FPÖ auf Pushbacks an der EU-Außengrenze bestehen soll, ist wenig verwunderlich, stand jene Forderung auch im Wahlprogramm. Pushbacks sind allerdings menschenrechtlich illegal. Der Punkt ist auf "Rot"
Die Blauen sollen sich laut dem Protokoll auch für ein Abschaffen des Krisensicherheitsgesetzes und der CO2-Bepreisung aussprechen. Den Wehrdienst will man offenbar auf zehn Monate anheben und Zivildiener wieder einer Gewissensfrage unterziehen. Ein "Schmerzensgeld" für die Pandemie sowie eine "Corona-Aufarbeitung" in der Justiz stehen ebenfalls auf "Rot".
Strittig sein dürfte auch der blaue Wunsch nach einer Aufkündigung des UN-Flüchtlingspakts. Auch der bereits bekannte FPÖ-Wunsch, medizinische Leistungen für Asylwerber auf medizinische Grundversorgung ("keine Zahnsanierungen, künstliche Gelenke, etc.") und Geburtenhilfe zu reduzieren, war noch rot markiert.
FPÖ will Rechtsextremismusbericht abschaffen
Gesprächsbedarf dürfte es auch noch in Sachen politischem Islam geben. "Rot" war unter vielen anderen Punkten etwa der FPÖ-Vorschlag, das Islamgesetz zu verschärfen und der Vorschlag, dass das Errichten von "Symbolen, die einen fremden Herrschaftsanspruch über unsere Heimat verkörpern" (wie etwa Minaretten) zu "unterbleiben" sei.
Vorgeschlagen war offenbar auch die Streichung des § 188 StGB (Herabwürdigung religiöser Lehren), hier ist laut den Unterlagen die ÖVP dagegen.
Ebenfalls rot: Der blaue Wunsch nach Abschaffung des eigenen Rechtsextremismusberichtes des Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands und der "sofortigen Beendigung" des Vertrags mit dem DÖW - stattdessen soll dies im Verfassungsschutzbericht behandelt werden.
Viele große Brocken sollen nach wie vor die Parteispitzen selbst ausverhandeln. Vor allem der Wirtschaftsflügel der ÖVP sieht sich mit für ihn unmachbaren FPÖ-Forderungen konfrontiert.
Bankenabgabe, Kirchenbeitrag
Nach Bankenabgabe und einem finanziellen Beitrag der Kammern zur Budgetsanierung verlangen die Freiheitlichen nun auch, dass Kirchenbeitrag und Spenden an gemeinnützige Vereine nicht mehr steuerlich absetzbar sind.
Ein FPÖ-Nein gibt es derzeit offenbar wiederum auch zum Vorschlag von gezielten Maßnahmen zur Stärkung von Unternehmerinnen (im Bereich Frauenförderung).
Ablehnung der ÖVP wiederum gibt es unter anderem zum FPÖ-Wunsch nach einem "echten Opting out" bei Wirtschaftskammer, Arbeiterkammer und Landwirtschaftskammer.
Ebenfalls "rot" markiert war noch der ÖVP-Wunsch nach einer "Klarnamenpflicht" im Internet und der Messengerdienst-Überwachung.
Dissens dürfte es auch in Sachen Justiz geben: So ist die FPÖ laut den Protokollen "entschieden" gegen die Einführung einer bundesweit operierenden Generalstaatsanwaltschaft. Ein türkises Nein gab es offenbar u.a. zur Idee, über die Abschaffung anonym Anzeigen nachzudenken.
Ein weiterer Brocken bleibt der ORF und die Medienförderung. Die FPÖ erteilte einem ÖVP-Vorschlag, die Qualitätsmedienförderung zu erhöhen, eine Absage.
Einigkeit bei "Leitkultur"
Einigkeit gibt es vor allem bei der ÖVP-Linie zur "österreichischen Leitkultur" sein. Da gehe es vor allem um den Nikolaus in Schulen oder das Kreuz im Klassenzimmer. "Grüne" Punkte gibt es auch bei den Themen Familie, Jugend und Frauen.
Blau und Türkis sprechen sich beide für ein verpflichtendes zweites Kindergartenjahr aus, sollten die Deutschkenntnisse nicht ausreichen. Beide wollen offenbar die Klimaziele für 2024 auf 2050 verschieben.
Einig soll man sich auch bei der Strafmündigkeit von Jugendlichen sein. Diese will man auf 12 Jahren herabsenken, was viele Expert:innen kritisch sehen.
FPÖ beharrt weiter auf Innenministerium
Trotz der nun aufgezeigten Differenzen ist es nicht ganz auszuschließen, dass es zu einer Einigung kommen könnte. In freiheitlichen Verhandlerkreisen zeigte man sich zuversichtlich, dass man bei vielen Punkten dennoch Kompromisse finden könnte, zumal die Protokolle doch schon ein paar Tage alt seien.
Auch die ÖVP verwies auf APA-Anfrage darauf, dass es sich dabei um einen bereits älteren Verhandlungsstand handle.
Wovon die FPÖ weiter nicht abrückt, ist der Erhalt des Innenministeriums. Eine kolportierte Lösung, wonach dieses aufgeteilt werden könnte, hält man laut APA-Informationen für unwahrscheinlich - eher würde man in eine Neuwahl gehen.
Video: Analyse - Wie ist die Stimmung zwischen FPÖ und ÖVP?
Zusammenfassung
- Neben dem jüngsten Postenstreit zwischen FPÖ und ÖVP herrscht auch inhaltlich noch viel Gesprächsbedarf, zeigen am Wochenende durchgesickerte Protokolle von den Regierungsverhandlungen.
- Bei einigen FPÖ-Forderungen, etwa Pushbacks, Abschaffung der CO2-Bepreisung und Verlängerung des Wehrdienstes, stellt sich die ÖVP quer.
- Ein Knackpunkt dürften auch die Russland-Sanktionen angesichts des Angriffskriegs gegen die Ukraine sein.
- Größere Schnittmengen hat man etwa bei Familie, Jugend und Frauen.