Kickl-Kritik an Selenskyj-Rede: Widersprüche und verdrehte Fakten
"Es ist vollkommen klar, dass das Parlament keinem Vertreter einer kriegsführenden Partei eine Bühne sein darf", kritisierte FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl die Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Donnerstag. Direkt nach der Rede kündigte er eine Pressekonferenz am frühen Nachmittag an, die er ausgiebig für breite Kritik nutzte. Sein Statement lief unter dem Titel "Pressekonferenz der Neutralitätsversteher".
FPÖ widerspricht sich
Dabei warf der FPÖ-Chef der Regierung vor, dass "NATO-Staaten wie die Türkei" neutraler wären als Österreich. Bei diesem Statement überholte ihn die eigene Partei. Denn der FPÖ-Parlamentsklub schickte fast zeitgleich eine Aussendung aus, in der er der Türkei einen "Angriffskrieg gegen die Kurden" vorwirft, der "völlig völkerrechtswidrig" sei.
Schallenberg: Nur eine Partei weiß nicht, was Neutralität bedeutet
Kickl warf allen anderen Parteien vor, "Neutralitätsbrecher" zu sein. Barbara Neßler von den Grünen kritisierte Kickl ihrerseits, dass vier Parteien "zwischen Tätern und Opfern unterscheiden" können, die FPÖ hingegen hänge "am Gängelband des Kriesverbrechers Putin".
Zu einem ähnlichen Vorwurf kam es davor auch schon im Parlament. Nach der Rückkehr der FPÖ-Abgeordneten ins Plenum sagte die Abgeordnete Petra Steger, dass die Freiheitlichen die einzige Fraktion sei, die Österreichs Neutralität verteidige. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) warf der FPÖ vor, dass es nur eine Partei gebe, die nicht wisse, was Neutralität bedeute. Es handle sich um eine militärische und nicht um eine Gesinnungsneutralität.
https://twitter.com/BarbaraNessler/status/1641350827972362240
Kriegsverbrechen: Ukraine und Russland nicht gleich
Der FPÖ-Parteichef wiederholte auch seinen Vorwurf, dass Wolodymyr Selenskyj Kriegsverbrecher sei. Nicht nur er, auch die UNO werfe dem ukrainischen Präsidenten das vor. Fast wortgleich argumentierte vor knapp einem Monat auch die deutsche Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht. Auch sie bestand darauf, dass beide Seiten - Russen wie Ukrainer - sich Kriegsverbrechen schuldig machen.
Nicht erwähnt haben jedoch beide, dass die UNO angibt, dass Misshandlung ukrainischer Gefangener durch Russen "ziemlich systematisch" erfolge, während das umgekehrt nicht der Fall sei. Laut der ehemaligen UN-Hochkommissarin Michelle Bachelet verstoße die Ukraine "in wesentlich geringerem Umfang" gegen das Völkerrecht als Russland.
Im Fall von sexueller Gewalt, die Kickl erwähnte, seien laut United Nations Human Rights in einem Untersuchungszeitraum von sechs Monaten 2022 über 30 Fälle dokumentiert. In 30 Fällen wurde den russischen Streitkräften Vergewaltigung, Gruppenvergewaltigung, erzwungene Nacktheit oder Schläge und Elektroschocks an den Genitalien vorgeworfen. In zwei Fällen hätten ukrainische Streitkräfte oder Strafverfolgungsbehörden sexuelle Gewalt angedroht oder Nacktheit erzwungen.
Ebenfalls nicht erwähnt hat Kickl, dass gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin ein lebenslang gültiger Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vorliegt. Die Begründung: "Es gibt keine Verjährungsfrist für Kriegsverbrechen."
"Einzelpersonen - wo immer sie sich auf der Welt befinden - müssen erkennen, dass es das Gesetz gibt und dass mit Autorität Verantwortung einhergeht", begründete Chefankläger Karim Khan den Haftbefehl. In die gleiche Kerbe schlug am Donnerstag im Nationalrat auch Außenminister Alexander Schallenberg. "Auch Staatsoberhäupter stehen nicht über dem Recht", hielt er der Argumentation der Blauen entgegen.
Zusammenfassung
- Bei der Rede von Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj im österreichischen Parlament verließ die FPÖ geschlossen den Saal.
- Vier Stunden kritisierte Partei-Chef Kickl rund eine Stunde lang Selenskyj, stellte die Ukraine bei Kriegsverbrechen auf eine Stufe mit Russland und kritisierte scharf alle anderen Parteien im Nationalrat.
- PULS 24 hat sich die Vorwürfe genauer angeschaut.