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Iran: Sittenpolizei kehrt zurück - doch war sie je weg?

Die Sittenpolizei im Iran kehrt zurück. Verstöße gegen die strikte islamische Kleidungsverordnung sollen wieder strenger geahndet werden. Doch wirklich abgeschafft war die Moralpolizei eigentlich nie: Sie rückte nur in den Hintergrund. Das Regime ging aber weiterhin hart gegen Kritiker:innen vor.

Die Sittenpolizei drückt eine Frau brutal gegen eine Wand und zerrt sie in Richtung eines Autos. Ihr Verbrechen? Sie trägt kein Kopftuch. Eine Straftat im Iran.

Es sind aktuelle Videos aus der islamischen Republik. Seit Monaten demonstrieren die Menschen u.a. gegen die islamischen Vorschriften. Seit Monaten kämpft die Regierung gegen ihr Volk an. Nun patrouillieren wieder verstärkt vermummte Frauen und Männer in Irans Straßen. Die gefürchtete Sittenpolizei ist offiziell wieder im Einsatz -  wirklich weg war sie nie. 

Dabei gab es Ende Dezember noch Berichte, dass die Moralpolizei abgeschafft wurde. Kritiker:innen des Regimes reagierten bereits damals eher verhalten auf die Ankündigung. Am Wochenende verkündete der Polizeisprecher Said Montaserolmahdi nun die offizielle Rückkehr der Sittenpolizei. 

Für die Diplomatin Shoura Hashemi, die täglich auf Twitter täglich zur Lage im Iran informiert, ist die Ankündigung aber nur eine Formalität: "Die Sittenpolizei war die ganze Zeit da, sie war nur eben im Hintergrund tätig."

Bestrafungen gingen weiter

Behörden installierten etwa im April Kameras an öffentlichen Plätzen, um so Frauen zu identifizieren, die keinen Hidschab trugen. Cafés, in denen Frauen und Männer gemeinsam tanzten, wurden zugesperrt. Eine Ärztin, die sich der Kopftuchregel widersetzte, muss jetzt als Reinigungskraft arbeiten und darf nicht mehr in staatlichen Krankenhäusern tätig sein. Teils gingen sogar selbsternannte Sittenwächter gegen Menschen vor, die Kleidungsvorschriften missachteten.

"Es war allen klar, dass die Sittenpolizei weder aufgelöst wurde, noch nie wieder zurückkehrt", so Hashemi. Dem Regime sei es nur darum gegangen, dass sich die Lage augenscheinlich beruhigt.

Hinrichtungen nach Protestwelle

Dass die Sittenpolizei gerade jetzt wieder in den Vordergrund rücken soll, ist für Hashemi keine Überraschung. Denn am 16. September jährt sich der Tod der jungen Kurdin Jîna Mahsa AminiSie starb im Polizeigewahrsam. Zuvor war sie von der Sittenpolizei festgenommen worden: Sie soll ihr Kopftuch nicht richtig getragen haben. 

Ihr Tod löste eine Protestwelle aus. Wochenlang demonstrierten vor allem Frauen unter dem Slogan "Frau, Leben, Freiheit". Mit der "Wiederkehr" der Sittenpolizei wolle man etwaigen Protesten im September vorgreifen, so Hashemi.

Schon im Vorjahr ging das Mullah-Regime hart gegen die Demonstrationen vor: Anfang Dezember wurden die ersten Demonstranten hingerichtet. Insgesamt wurden im ersten Halbjahr 2023 bereits mehr als 300 Menschen im Iran hingerichtet. Allein im Mai waren es 142. Im vergangenen Jahr verzeichnete die Menschenrechtsorganisation Amnesty International mindestens 576 Exekutionen in dem Land.

Ziviler Widerstand statt Straßenprotesten

Nach den ersten Hinrichtungen flauten die großflächigen Straßenproteste ab, doch demonstriert wurde weiter - diesmal aber anders: In den sozialen Medien zeigten Frauen sich, wie sie ohne Kopftuch durch die Straßen gingen oder öffentlich tanzten. Und das ungeachtet der Strafen. "Der zivile Widerstand hat nie aufgehört, der geht bis heute weiter", erklärte Hashemi.

Auch Prominente stellen sich gegen das Regime: Am Samstag verhaftete die Polizei den iranischen Schauspieler Mohammed Sadeghi. Er teilte seine Verhaftung live in sozialen Medien. Zuvor verbreitete Sadeghi ein Video, das eine Frau zeigte, die von der Moralpolizei festgenommen wurde. "Warum muss man seinen Tag mit einem Video beginnen, auf dem man sieht, dass eine Frau eine andere Frau mit Gewalt in einen Van zerrt?" sagte er darin. 

"Iran ist ein Druckkochtopf"

Die Verhaftung des Schauspielers sorgte für große Empörung, so Hashemi. Solche Handlungen würden dazu beitragen, dass die Lage im Iran immer angespannter wird.

Sie hält es für wahrscheinlich, dass es wieder zu größeren Protesten kommen werde: "Ich halte den Iran insgesamt für eine Art Druckkochtopf. Das heißt, es fehlt nicht mehr viel und das Ganze explodiert und dann gehen auch wieder die Massen auf die Straßen."

Kopftuchgesetz soll verschärft werden

Beim iranischen Parlament liegt einstweilen ein verschärftes Kopftuchgesetz vor. Für das Missachten der Kopftuchpflicht soll es künftig strengere Strafen geben. Ob und wann das Gesetz angenommen wird, ist noch unklar. Hashemi bezweifelt aber, dass die neue Regelung überhaupt exekutiert werden könnte: Die Zahl der Frauen, die dagegen verstoßen, könnte dafür womöglich zu groß sein.

"Es hat sich in den Köpfen der Menschen seit letztem Jahr im September sehr viel verändert und das kann man nicht mehr zurückdrehen", so Hashemi.

ribbon Zusammenfassung
  • Die Sittenpolizei im Iran kehrt zurück.
  • Verstoße gegen die strikte islamische Kleidungsverordnung sollen wieder strenger geahndet werden.
  • Doch wirklich abgeschafft war die Moralpolizei eigentlich nie: Sie rückte nur in den Hintergrund.
  • Das Regime ging aber weiterhin hart gegen Kritiker:innen vor.