Früherer ÖVP-Chef Mitterlehner kritisiert Kurz scharf
Bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Kurz geht es um angebliche Falschaussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss rund um die Bestellung von Thomas Schmid zum ÖBAG-Chef. Für Mitterlehner, der bereits vor zwei Jahren in einem Buch verbittert Bilanz über seine Ablöse als Parteichef durch Kurz gezogen hatte, sind die nunmehrigen Ermittlungen "der Höhepunkt einer Entwicklung", die sich schon länger abzeichne: "Es fehlt an Respekt gegenüber demokratischen und rechtlichen Institutionen."
Kritik übt Mitterlehner daran, dass Kurz nicht an Rücktritt denkt: Es sei "neu, aber nicht überraschend", dass sich Kurz mit der Bewertung, er habe ein reines Gewissen, "gleichermaßen selbst die Absolution erteilt, also jedenfalls im Amt bleiben will", meint Mitterlehner. "Das finde ich schon im Hinblick auf den Ethik-Kodex der Partei nicht sonderlich stimmig." Eine Rücktrittsaufforderung kommt von Mitterlehner dennoch nicht. Im Fall einer Anklage würde er Kurz raten, sein Amt ruhen zu lassen. Es gelte die Unschuldsvermutung und "es wäre ja möglich, dass er freigesprochen wird".
Das Argument, es handle sich bei dem Verfahren um eine Kampagne der Opposition, lässt der frühere ÖVP-Chef nicht gelten: Die Staatsanwaltschaft sei nicht die Opposition. Kurz habe "den Spieß in bewährter Form umgekehrt, sieht sich in der Opferrolle und behauptet, alle wollten ihn weghaben", befand Mitterlehner. "Die Wahrheit ist eine andere: Noch ist die Justiz unabhängig, und sie ermittelt."
Den Vorschlag von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), die Wahrheitspflicht im U-Ausschuss abzuschaffen, sieht Mitterlehner mit Sorge. "Auch dass der Bundespräsident vom Verfassungsgericht um Unterstützung gegenüber dem Finanzminister angerufen werden muss, ist mehr als irritierend." Die aktuelle Regierung "hat ein problematisches Verhältnis zum Rechtsstaat", findet der Ex-Vizekanzler.
Mitterlehner sei "immer noch tief gekränkt" von seiner Ablöse, daher hätten "sein Urteil und seine Ratschläge doch eine gewisse Schlagseite", entgegnete der frühere ÖVP-Nationalratspräsident Khol gegenüber der APA. Als Kanzler könne man sein Amt nicht ruhend stellen, "entweder man ist Kanzler, oder man ist nicht Kanzler". Die Maßstäbe hätten sich mittlerweile völlig verschoben, meinte Khol auf die Frage, ob Kurz bei einer etwaigen Anklage denn im Amt bleiben könne. Man werde heutzutage schnell zum Beschuldigten, Verurteilungen gebe es aber kaum, hier greife die Unschuldsvermutung. "Gerade in einer politischen Auseinandersetzung mit juristischen Mitteln würde man ja fast das Spiel der anderen machen, wenn man aufgrund einer Anklage das Amt zurücklegen würde", sagte Khol. "Das wäre zu einfach."
Überhaupt sieht Khol im Verfahren gegen Kurz schlicht eine politische Auseinandersetzung. "Ich glaube, dass dies das Endkapitel einläutet in einem Kampf, der unter dem Motto 'Kurz muss weg' steht." Auf die Frage, ob er mit einer Einstellung rechne, wollte sich Khol aber nicht festlegen: "Vor Gericht und auf Hoher See ist man in Gottes Hand - es ist immer alles möglich." Er habe aber Vertrauen in die österreichische Justiz.
Nach einer gemeinsamen Stellungnahme der Landesobleute vom Donnerstag meldeten sich am Freitag außerdem die ÖVP-Bünde zu Wort. "Wir lehnen die destruktive Anzeigenkultur der Opposition ab und bekräftigen unsere vollste Unterstützung für Bundeskanzler und Bundesparteiobmann Sebastian Kurz", hieß es in einer vom Wirtschaftsbund verbreiteten gemeinsamen Stellungnahme der ÖVP-Bünde. Während sich die Regierung für die Anliegen der Österreicherinnen und Österreicher starkmache, gehe es SPÖ, FPÖ und NEOS einzig und allein um Parteiinteressen.
Karlheinz Kopf (ÖVP), Generalsekretär der Wirtschaftskammer, erklärte gegenüber VOL Live, generell schade eine Diskussion, in der Regierungsmitglieder sich verteidigen müssten gegen Vorwürfe der Opposition gepaart mit Vorwürfen der Staatsanwaltschaft. Das sei "besonders unangenehm", gerade in einer Pandemie-Situation, in der man alle Kraft brauche. Aber auch in dieser Situation poche der Rechtsstaat auf sein Recht, "das ist auch gut so". Er könne bisher keine vorsätzliche Falschaussage des Bundeskanzlers erkennen, "aber unangenehm ist es allemal, denn mir wäre viel lieber, er hätte den Rücken frei für die politische Arbeit". Kopf rechnete nicht mit einer Anklage, käme es dazu, gehe er dennoch davon aus, dass Kurz in der Lage wäre, das Amt zu führen.
Zusammenfassung
- Ex-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner übt Kritik an seinem Nachfolger als ÖVP-Chef Sebastian Kurz.
- Sollte Kurz wegen Falschaussage angeklagt werden, rät er ihm, "sein Amt ruhen zu lassen, bis die Angelegenheit entschieden ist".
- Auch ÖVP-Urgestein Andreas Khol verteidigte Kurz.
- Das Argument, es handle sich bei dem Verfahren um eine Kampagne der Opposition, lässt der frühere ÖVP-Chef nicht gelten: Die Staatsanwaltschaft sei nicht die Opposition.