Forderungen nach Aufklärung im Fall Nawalny werden lauter
Rund eine Woche nach der mutmaßlichen Vergiftung des Kremlkritikers Alexej Nawalny wächst der Druck auf die russischen Behörden, die Umstände aufzuklären. "Was wir jetzt brauchen, ist eine transparente Ermittlung, um herauszufinden, was passiert ist", sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwoch in Berlin.
Der britische Premierminister Boris Johnson forderte: "Die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden." Großbritannien werde die internationalen Bemühungen dabei unterstützen. Der Kreml hofft, dass der Fall Nawalny die ohnehin schon angespannten Beziehungen zum Westen nicht weiter belastet.
"Natürlich wollen wir das nicht", sagte Sprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. "Es gibt auch keinen Grund dafür." Er meinte aber: "Wir sind entschieden dagegen, dass jemand an die aktuelle Situation ein Etikett hängt und etwas als Vergiftung bezeichnet, was noch nicht endgültig als Vergiftung nachgewiesen worden ist." Auch der Kreml habe ein Interesse festzustellen, "was mit dem Patienten passiert ist, aber das können wir noch nicht".
Ärzte der Berliner Universitätsklinik Charité gingen davon aus, dass der Oppositionelle vergiftet worden sei. Darauf wiesen klinische Befunde hin. Nawalny liegt seit fast einer Woche im Koma. Zunächst wurde er in einem Krankenhaus in Sibirien versorgt, wo er sich zu einer politischen Reise aufgehalten hatte. Seit Samstag wird er in Berlin behandelt - bewacht von Beamten des Bundeskriminalamts (BKA).
Am Mittwoch gab es zunächst keine neuen Informationen zu Nawalnys Gesundheitszustand. Er ist einer der schärfsten Kritiker des Präsidenten Wladimir Putin. Auf den 44-Jährigen wurden schon mehrere Anschläge verübt. Er war bereits öfter festgenommen worden.
Noch unklar war bis Mittwoch, welche Substanzen in Nawalnys Körper waren. Die Charité hatte nach ersten Untersuchungen von einer Substanz aus der Wirkstoffgruppe der Cholinesterase-Hemmer gesprochen, die bei Nawalny gefunden wurden.
Es gebe keinen Grund, an den Untersuchungsergebnissen der Ärzte zu zweifeln, sagte NATO-Generalsekretär Stoltenberg. Es müsse sichergestellt werden, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Auch die Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatovic, forderte eine lückenlose Aufklärung. Eine umfassende Untersuchung der Umstände sei nicht nur Nawalny, sondern auch der russischen Zivilgesellschaft geschuldet, teilte sie mit.
Der Kreml hatte erklärt, Ermittlungen werde es erst dann geben, wenn tatsächlich feststehe, dass Nawalny vergiftet wurde. Sein Stab hatte bereits in der vergangenen Woche Anzeige erstattet. Auch die Bundesregierung forderte mehrfach Aufklärung. Die Beziehungen zwischen Berlin und Moskau sind etwa wegen des Hackerangriffs auf den Bundestag und den Mord im Kleinen Tiergarten in der deutschen Hauptstadt belastet.
Das Team des Regierungskritikers hofft indes weiter auf eine erfolgreiche Behandlung in Berlin. "Alexej ist jetzt in Sicherheit, er bekommt die bestmögliche Versorgung", schrieb sein Mitarbeiter und Vertrauter Leonid Wolkow. "Das Schrecklichste ist vorbei, und wir alle hoffen auf einen glücklichen Ausgang der Behandlung."
Nawalny war in der vergangenen Woche in Sibirien unterwegs, um die Wahlen in einigen Regionen Russlands am 13. September vorzubereiten. Mit ihrer Strategie einer so bezeichneten "Klugen Abstimmung" will Nawalnys Team die Dominanz der Kremlpartei Geeintes Russland brechen. Dabei sollen die Wähler immer für den vielversprechendsten Kandidaten abstimmen, der nicht von der Kremlpartei kommt. Mit dieser Taktik war das Team auch schon in der Vergangenheit unerwartet erfolgreich.
"Jetzt, da Alexej vorübergehend aus dem Kampf ausgeschaltet wurde, ist es das Wichtigste, ihm so zu helfen", schrieb Wolkow, der Nawalnys Teams in den russischen Regionen koordiniert. Wenn Nawalny wieder zum Team zurückkehre, werde er froh sein zu erfahren, dass seine Arbeit fortgesetzt wurde, schrieb Wolkow. "Keine Stimme für die Partei der Gauner, Diebe und Giftmischer!"
Zusammenfassung
- Rund eine Woche nach der mutmaßlichen Vergiftung des Kremlkritikers Alexej Nawalny wächst der Druck auf die russischen Behörden, die Umstände aufzuklären.
- "Was wir jetzt brauchen, ist eine transparente Ermittlung, um herauszufinden, was passiert ist", sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwoch in Berlin.
- Der Kreml hofft, dass der Fall Nawalny die ohnehin schon angespannten Beziehungen zum Westen nicht weiter belastet.