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Estnischer Außenminister: NATO einzige Sicherheitsgarantie

Estlands Außenminister Margus Tsahkna erachtet die NATO in Europa derzeit als "einzige Sicherheitsgarantie". Zumindest bei Nachbarländern Russlands würde es keine Neutralität oder grauen Zonen mehr geben, erklärte er am Montag in einem Interview mit der APA in Tallinn. Die von Deutschland zum Schutz des Luftraums lancierte "European Sky Shield Initiative", der nun auch Österreich beitreten möchte, begrüßte Tsahkna. Flugabwehr gehöre zu den teuersten Verteidigungssystemen.

Ein NATO-Beitritt sei freilich eine freie Entscheidung jeder Nation, betonte der Außenminister von der liberalen Partei E200, der seit April 2023 dem nunmehrigen Kabinett von Ministerpräsidentin Kaja Kallas angehört. "Wenn das österreichische Volk der NATO beitreten wollen würde, würde es ein herzliches Willkommen von estnischer Seite geben", sagte Tsahkna. Er erinnerte an historische Entscheidungen in Finnland und in Schweden, die 2022 mit ihren NATO-Beitrittsbemühungen eine jahrzehntelange sowie eine jahrhundertelange Politik revidiert hätten. Dabei habe Schweden anders als Estland oder Finnland nicht einmal eine gemeinsame Grenze mit Russland.

"Jeder versteht, dass die NATO die einzige Sicherheitsgarantie ist. Es gibt in unserer Region keine bilateralen Abkommen mehr", erklärte Tsahkna und begründete damit auch die explizite estnische Unterstützung für einen NATO-Beitritt der Ukraine. Beim Gipfeltreffen des Militärbündnisses in Vilnius nächste Woche müsse es daher eine "sehr klare Botschaft" und einen "Beitrittspfad" für eine ukrainische Mitgliedschaft geben, sagte er. Dazu liefen derzeit noch Verhandlungen, erzählte er. Auch weil dieser Krieg wahrscheinlich nicht mit einem einzigen Gegenangriff zu Ende gehen werde, werde eine konstante militärische Unterstützung der Ukraine jedenfalls weiterlaufen, bekräftigte der Vertreter eines Landes, das selbst 1940 von der Sowjetunion annektiert worden war und seine Unabhängigkeit für fünf Jahrzehnte verloren hatte.

Lobende Worte fand der Außenminister über die im Herbst 2022 auf Anregung Deutschlands gegründete "European Sky Shield Initiative", der Österreich nun als erster Staat ohne NATO-Ambitionen oder NATO-Mitgliedschaft betreten will. Estland selbst war im Oktober 2022 eines der Gründungsmitglieder gewesen. Er sei sehr glücklich, dass es diese deutsche Initiative gebe und dabei die Rolle von Randstaaten beim Schutz Europas verstanden werde, sagte er. "Wenn die Österreicher da investieren wollen, dann investieren sie in die eigene Sicherheit. Wie wir in der Ukraine gesehen haben, spielt Flugabwehr eine Schlüsselrolle", erläuterte er. Flugabwehrsysteme gehörten zu den teuersten Verteidigungssystemen und obwohl Estland 3,2 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts im nächsten Jahr für Verteidigungsausgaben verwenden wolle, wäre das Land alleine nicht in der Lage, ein derartiges System selbst zu kaufen und aufzubauen, erläuterte er.

Die hohen Ausgaben für Verteidigung, für die Steuern erhöht werden mussten, seien von der estnischen Bevölkerung unterstützt worden. "Als Vater von vier Kindern würde ich dieses Geld zwar lieber in die Ausbildung meiner Kinder und in die Zukunft Estlands investieren. Aber ohne Sicherheit und ohne eine Positionierung gegen die russische Aggression ist das nicht möglich", erklärte er. Auch die massive Unterstützung der Ukraine, die laut Tsahkna seit Beginn der russischen Invasion "mehr als ein Prozent" des estnischen Bruttoinlandsproduktes ausgemacht habe, sei eine "Investition in unsere Freiheit".

Abgesehen von strafrechtlicher Verfolgung der Verantwortlichen dieses Kriegs trete Estland zudem dafür ein, in der EU beschlagnahmte russische Vermögenswerte zur Bezahlung von Kriegsschäden zu verwenden. "Die Hauptziele sind, Russland auf sein eigenes Staatsgebiet zurückzudrängen sowie zu bewirken, dass weder die russische Bevölkerung noch Russlands Führung darüber nachdenkt, erneut einen Akt der Aggression zu setzen", erläuterte er.

Keinen Zweifel ließ der Außenminister indes am Montag, dass sein Land weiterhin anstrebt, 2024 den rotierenden Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) übernehmen zu wollen. Russland und Belarus hatten sich seit Dezember 2021 gegen einen estnischen Vorsitz ausgesprochen, Entscheidungen in der OSZE fallen nach dem Konsensprinzip.

"Wir kandidieren für den OSZE-Vorsitz und sagen dies nicht wegen russischen Drucks ab", sagte Tsahkna. Russland agiere schließlich gegen die Werte der Organisation und blockiere etwa ihr Budget. Deshalb sei diese Frage auch kein Problem Estlands. Auf die Frage, ob OSZE-Staaten Estland ersucht hätten, die Kandidatur angesichts des russischen Widerstands zurückzuziehen, sagte er: "Nein, wir haben eine starke Unterstützung." Derzeit suche man nach Lösungen, wie man im nächsten Jahr die OSZE leiten könne. "Es gibt in dieser Organisation keinen Platz für eine russische Diktatur", erklärte der Außenminister.

(Das Gespräch führte Herwig G. Höller/APA)

ribbon Zusammenfassung
  • Estlands Außenminister Margus Tsahkna erachtet die NATO in Europa derzeit als "einzige Sicherheitsgarantie".
  • Zumindest bei Nachbarländern Russlands würde es keine Neutralität oder grauen Zonen mehr geben, erklärte er am Montag in einem Interview mit der APA in Tallinn.
  • Die von Deutschland zum Schutz des Luftraums lancierte "European Sky Shield Initiative", der nun auch Österreich beitreten möchte, begrüßte Tsahkna.