Bundesheer holt sich mehr junge Männer
Offiziell ist inzwischen von "Tauglichkeit neu" die Rede, eine Einstufung der "Teiltauglichkeit" gibt es nicht, auch wenn Tanner in der Pressekonferenz das Wort noch verwendete. Tatsächlich bleiben die neun Tauglichkeitsstufen bestehen, es werden aber die Kriterien erweitert bzw. die Ausbildungsvoraussetzungen geändert. Dies soll etwa dazu führen, dass ein schulterverletzter Sportler künftig als tauglich eingestuft würde, führte Tanner aus. Statt am Sturmgewehr könnte er aufgrund seiner Verletzung aber am Pfefferspray ausgebildet werden.
Es werde für jeden einzelnen entschieden, was er tun könne und was nicht, so Tanner. Nicht tauglich sollen in Hinkunft nur jene sein, für die der Grundwehrdienst physisch und psychisch tatsächlich nicht möglich sei. Starten will man mit dem Geburtsjahr 2003. Diejenigen, die heuer aufgrund der Coronakrise von der Stellungskommission noch nicht getestet wurden, werden noch nach dem alten Regime beurteilt. Mit den neuen Kriterien soll es dann im März 2021 losgehen.
Köstinger erwartete sich damit eine um fünf bis sechs Prozent gesteigerte Bedarfsdeckung im Zivildienst. Auch bei ihr sei die Umsetzung per interner Verwaltungsvorschriften möglich. Ein entsprechendes verfassungsrechtliches Gutachten liege vor.
Aktuell sind nur 66,5 Prozent der wehrpflichtigen Männer tauglich. Während es 2015 noch 17.000 Grundwehrdiener waren, betrug die Zahl im Vorjahr nur noch nur 16.000. Bei den Zivildienern gab es 2015 noch 16.200, 2019 nur 13.400. Geburtenschwache Jahrgänge stellen eine zusätzliche Herausforderung dar, heißt es beim Bundesheer.
Tanner betonte, dass die Änderungen bei der Tauglichkeit im gemeinsamen Regierungsprogramm mit den Grünen vereinbart worden seien. Außerdem gebe es dazu einen aufrechten Ministerratsbeschluss aus dem Frühjahr. Bei den Grünen sah man das zuletzt anders. Wehrsprecher David Stögmüller meinte vor wenigen Tagen im "Standard": Die Gespräche über die Teiltauglichkeit sind keineswegs am Laufen - und daher wird es mit uns auch keinen verfassungsrechtlichen Husch-Pfusch bis zum 1. Jänner geben." Am Dienstag wollte sich im grünen Klub auf APA-Anfrage niemand mehr dazu äußern.
Kritik übten aber SPÖ und NEOS. "Wir sind mehr als skeptisch, ob die Einführung der Teiltauglichkeit überhaupt verfassungsrechtlich erlaubt ist", so Verteidigungssprecher Douglas Hoyos in einer Aussendung: "Bisher galt der Spruch des Verwaltungsgerichtshofs aus den 1980er-Jahren für den Wehrdienst und damit auch für den Wehrersatzdienst. Demnach sollen nur Stellungspflichtige infrage kommen, die einem Mindestmaß physischer Kraftanstrengung unterzogen werden können. Wie soll das gehen, wenn es jetzt kein Mindestmaß mehr gibt, sondern eben mit 'leichteren' Diensten dieses Prinzip umgangen wird?"
Für SPÖ-Wehrsprecher Robert Laimer ist der Plan "ganz und gar untauglich und gesetzwidrig". Auch er verwies auf die VwGH-Entscheidung. Die Fürsorgepflicht des Staates verbiete es, dass junge Männer, die physisch oder psychisch diese Anforderung nicht erfüllen, zum Grundwehr- und Wehrersatzdienst verpflichtet werden: "Eine Regierung, die das trotzdem macht, setzt die Gesundheit der jungen Männer aufs Spiel und riskiert in der Folge hohe Schadenersatzzahlungen durch die Republik."
Reinhard Bösch, FPÖ-Wehrsprecher und Vorsitzender des Landesverteidigungsausschusses, wertete das präsentierte Konzept als "reines Ablenkungsmanöver vom Mangelbudget des Bundesheeres". "Die Beurteilung, ob ein junger Stellungspflichtiger für gewisse Bereiche tauglich ist und für andere nicht, entspricht nicht unserem Verständnis einer Tauglichkeit für die Erfüllung der Wehrpflicht", so Bösch in einer Aussendung.
Zusammenfassung
- Das Bundesheer senkt seine Tauglichkeitskriterien, los geht es im kommenden Jahr.
- Bis zu 2.000 junge Männer mehr sollen damit pro Jahr zur Verfügung stehen, 1.200 fürs Bundesherr, 800 für den Zivildienst, gaben die ÖVP-Ministerinnen Klaudia Tanner und Elisabeth Köstinger am Dienstag bekannt.
- Aktuell sind nur 66,5 Prozent der wehrpflichtigen Männer tauglich.
- Am Dienstag wollte sich im grünen Klub auf APA-Anfrage niemand mehr dazu äußern.