Antisemitismus: Heutige Situation mit 1938 "nicht zu vergleichen"

Die gestiegenen Antisemitismus-Zahlen seien mit den Pogromen aus dem Jahr 1938 "überhaupt nicht zu vergleichen", betont Autorin Helene Maimann bei "Milborn". Vergleichbar sei nur, dass die Angst von vielen Leuten eine ähnliche sei wie damals.

Am 9. November jährt sich der 85. Jahrestag der Novemberpogrome. In der Nacht auf den 10. November 1938 wurden Synagogen in Österreich in Brand gesteckt, jüdische Geschäfte geplündert und Jüd:innen misshandelt.

Schon vor den Novemberpogromen 1938 habe man Jüd:innen bereits diskriminiert und zum Teil beschimpft, meint Zeitzeuge Erich Finsches bei "Milborn".

Was sich zwischen 1933 und 1938 in Deutschland abgespielt hat, sei eher eine "langsame Schritt für Schritt-Entrechtung der jüdischen Bevölkerung" gewesen, meint dazu Autorin und Filmemacherin Helene Maimann. Was sich in Österreich abgespielt hat, sei das "Ganze im Zeitraffer". Hierzulande hätten die Pogrome gleich nach dem Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich im März 1938 begonnen, erklärt Maimann, die die Tochter von Zeitzeugen ist, die 1938 nach Großbritannien ausgewandert sind.

Situation nicht vergleichbar, Angst schon

"Hier hat der Mob gewütet" – die österreichische Bevölkerung sei in die Wohnungen jüdischer Mitmenschen gegangen und habe ihre "Möbel einfach rausgetragen". 

Die nun gestiegenen Antisemitismus-Zahlen seien mit der Situation aus dem Jahr 1938 "überhaupt nicht zu vergleichen", betont Maimann jedoch.

Vergleichbar sei nur, dass die Angst von vielen Leuten eine ähnliche sei wie damals. 1938 seien die Menschen für "vogelfrei, für rechtlos erklärt worden" - heute sei das nicht so. Man müsse die Situation schon "mit Augenmaß sehen".

Polarisierung im Nahost-Konflikt "verhängnisvoll"

Im derzeitigen Nahost-Konflikt weigere sich Historiker und Journalist Philipp Blom "für Israel und gegen die Palästinenser" oder "gegen Israel und für die Palästinenser" zu sein.

"Im Gazastreifen leben zwei Millionen Menschen, die im Moment kein Wasser und nichts zu essen haben und die keine Terroristen sind", betont Blom. Diese "werden bombardiert und das ist eine Tragödie" – und auch völkerrechtlich sehr problematisch.

Der Historiker warnt vor Polarisierung. Selbstverständlich sei man für das Existenzrecht Israels, natürlich müsse sich Israel verteidigen können gegen Angriffe. "Aber selbstverständlich müssen wir auch dafür sein, dass Palästinenser in Frieden und Würde leben können – und das passiert im Moment nicht", betont Blom.

Die Polarisierung, dass man sich "immer auf die eine oder andere Seite begeben muss in diesem Diskurs", sei etwas "wirklich verhängnisvolles".

Edtstadler: Gegner ist Hamas, nicht die Palästinenser

Verfassungsministerin Karoline Edtstadler stimmt dem Historiker zu. Sie betont jedoch: Der Gegner seien nicht die Palästinenser, sondern die Terrororganisation Hamas. Die Hamas nütze ihr eigenes Volk als "zivile Schutzschilder" – das sei das Problematische. Israel sei in der Situation, sich verteidigen zu müssen und habe es sich als Ziel gemacht, die Hamas auszulöschen.

Antisemitismus: Neue Maßnahmen der Regierung

"Keine Blauen wählen"

Erich Finsches ist der älteste Zeitzeuge in Österreich, der noch Schulen besucht. Wenn er den Kindern seine Geschichte erzählt, seien diese "sehr aufgeschlossen". "Sie nehmen das auf, wie ich es ihnen erzähle ohne Voreingenommenheit, ohne Hass", so Finsches.

"Passt auf, dass euch sowas nie wieder passiert. Keine Blauen wählen, keine radikalen Gruppen wählen", würde er ihnen sagen. Vor allem eine besondere Message hat er für die Kinder: "Lernt! Ihr müsst lernen, dass ihr im Leben weiterkommen könnt".

Was ihm Hoffnung gibt? "Die Menschheit ist gut. Sie wird nur geistig verführt von Menschen, die es nicht wert sind, dass sie ein Loch im Hintern haben", betont der Ausschwitz-Überlebende.

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Mit 96 Jahren ist Erich Finsches der älteste Zeitzeuge, der noch in Schulen über den Holocaust spricht.

ribbon Zusammenfassung
  • Kurz vor den Novemberpogromen 1938 habe man Jüd:innen bereits diskriminiert und zum Teil beschimpft, meint Zeitzeuge Erich Finsches bei "Milborn".
  • Die gestiegenen Antisemitismus-Zahlen seien mit den Pogromen aus dem Jahr 1938 "überhaupt nicht zu vergleichen", betont Autorin Helene Maimann.
  • Vergleichbar sei nur, dass die Angst von vielen Leuten eine ähnliche sei wie damals.
  • Im derzeitigen Nahost-Konflikt weigere sich Historiker und Journalist Philipp Blom "für Israel und gegen die Palästinenser" und "gegen Israel und für die Palästinenser" zu sein.
  • Die Polarisierung, dass man sich "immer auf die eine oder andere Seite begeben muss in diesem Diskurs", sei etwas "wirklich verhängnisvolles".