US-Anwältin schrieb Romandebüt "Whisper Network"
Sexuelle Belästigung in einer großen Firma: US-Romandebütantin Chandler Baker hat eigene juristische Kenntnisse und Erfahrungen von Frauen, die Übergriffen ausgesetzt waren, zu einem Thriller verarbeitet. Dabei gelang es der Firmenanwältin, das Thema #metoo nicht zu trivialisieren - was vor allem an ihrer Erzählweise und den starken Charakteren und weniger am Plot liegt.
Das "Whisper Network" verbreitet sich in Dallas: Frauen warnen in einem Online-Verzeichnis vor übergriffigen Männern. Sloane, die in der Rechtsabteilung eines Sportbekleidungskonzerns arbeitet, setzt ihren Chef Amis auf die Liste. Mehr noch: Gemeinsam mit ihren Kolleginnen Grace und Ardie verklagt sie den Vorgesetzen, der kurz vor der Ernennung zum Geschäftsführer der Firma steht, wegen sexueller Belästigung. Wenig später ist Amis tot. War es Mord oder Suizid? Nicht nur, dass die drei Frauen der falschen Anschuldigungen bezichtigt werden, sehen sie sich mit dem Vorwurf konfrontiert, den Erfolgsmanager in den Tod getrieben zu haben.
Baker hat ihren Roman gefinkelt angelegt. Erzählt wird die Geschichte aus wechselnder Sicht mehrerer charakterlich unterschiedlicher Karrierefrauen. Dabei benutzt Baker jeweils einen anderen Tonfall. Die Autorin gibt aber als Art Gegengewicht auch einer Putzkraft im Büro eine Stimme: Rosalita sieht sich als Einwanderin und Alleinerzieherin mit ganz anderen existenziellen Problemen konfrontiert als die gut verdienenden Juristinnen. Baker gelingt es, nicht allzu sehr in Rollenklischees abzudriften, denn ihre Protagonistinnen sind solide ausgearbeitet, in einem konfliktgeladenen Umfeld angesiedelt und in der Realität verankert, somit glaubhaft. Zwischen den Kapiteln machen Auszüge aus Gerichtsprotokollen und Polizeibefragungen neugierig, in welche Richtung sich die Story dreht, da diese Einschübe Suspense verbreiten.
"Whisper Network" hat mehrere packende Stimmen, manchmal sind diese zynisch oder sarkastisch, mitunter humorvoll, bisweilen nüchtern und manchmal schlicht verzweifelt. Diese Mischung verhindert eine Banalisierung eines wichtigen Themas, vor allem weil Baker auf Schwarz-Weiß-Malerei verzichtet und ihren "Heldinnen" auch dunkle Seiten und Fehler zubilligt. Vielleicht hat die Autorin neben dem Hauptmotiv Missbrauch ein wenig zu viel in ihren Roman verpackt - von postnatalen Depressionen bis zum Mobbing in der Schule. Aber wie Baker im Nachwort schreibt, wurden Gespräche, die sie führte, "zum 'Wir'-Erzähler des Buchs, einem Mittel, um über die Erfahrungen als berufstätige Frauen zu sprechen, zu denen sexuelle Belästigung mit Sicherheit dazugehört, aber natürlich nicht das einzige Element darstellt".
Die Auflösung des Falls ist allerdings etwas zu plump konstruiert. Vor allem, was die Aufklärung des Todes von Amis betrifft, driftet der Roman dann doch zu einem Mainstream-Thriller ab. Hier wäre weniger vermutlich mehr gewesen, den "Krimiaspekt" hätte "Whisper Network" gar nicht nötig. Aber vielleicht bringt gerade dieser eine breitere Masse zum Lesen und zur Auseinandersetzung mit dem wichtigen Thema.
(S E R V I C E - Chandler Baker: "Whisper Network", aus dem Amerikanischen von Astrid Finke, Heyne Verlag, 480 Seiten, 20,60 Euro)
Zusammenfassung
- Sexuelle Belästigung in einer großen Firma: US-Romandebütantin Chandler Baker hat eigene juristische Kenntnisse und Erfahrungen von Frauen, die Übergriffen ausgesetzt waren, zu einem Thriller verarbeitet.
- Dabei gelang es der Firmenanwältin, das Thema #metoo nicht zu trivialisieren - was vor allem an ihrer Erzählweise und den starken Charakteren und weniger am Plot liegt.
- Baker hat ihren Roman gefinkelt angelegt.