"Schwabgasse 94" zeigt Theater als herrlichen Schrottplatz
Als Werner Schwab in der Silvesternacht 1994 starb, waren ihm nur wenige Jahre der Anerkennung seiner literarischen Arbeiten gegönnt gewesen, mit seinen Dramen hinterließ er dennoch einen bleibenden Eindruck in der Literaturlandschaft. Aus verschiedenen Werken wurde nun "Schwabgasse 94" geformt, ein Kaleidoskop aus Szenen und Schwab-Figuren, die immer wieder aufeinandertreffen, obwohl sie zum Teil aus ganz unterschiedlichen Stücken stammen.
"Theater ist ein herrlicher Schrottplatz", heißt es in dem Stück, und auf diesem tummeln sich die Figuren lustvoll und exzessiv, angeekelt von der Welt und dann doch wieder hoffnungsvoll. Eine Drehbühne (Bühne: Patrick Bannwart) zeigt immer wieder neue Schauplätze: Eine trostlose Küche, ein Wohnzimmer mit einer Familie in rosa Nicki-Samtanzügen (Kostüme: Patrick Bannwart und Vibeke Andersen) oder eine Szenerie mit Kloschüssel und beleuchteten Marienfiguren, darüber in Über-Über-Lebensgröße ein Bild von Papst Johannes Paul II. mit beweglichem Arm zum Winken. Der Künstler Herrmann Wurm lebt hier mit seiner dominanten Mutter, die Familie Kovacic zeigt mäßig idyllisches Familienleben mit totem Hamster, die unverwüstliche Mariedl aus den "Präsidentinnen" putzt wieder Klos und ihre Kolleginnen Grete und Erna tauchen zuletzt noch aus Mülltonnen auf.
Es sind immer wieder dieselben Themen, die Schwab aufgriff und mit seiner scharfsinnig-spielerische Sprache durchleuchtete. Kirche, Nazis, Kindesmissbrauch, Familie - alles ist Thema und alles wird mit der verrotteten Gesellschaft in Verbindung gebracht. Dabei setzte der Dichter Fäkalausdrücke mit einer Freude ein, die an kleine Kinder erinnert, die unschuldig mit ihrem Gacksi spielen, weil's einfach so schön ist. Aus der Entfernung von drei Jahrzehnten hat das Ganze fast etwas Rührendes, trotzdem fasziniert die zwischen Kraftausdrücken und zarter Poesie changierende Sprache immer noch. Regisseur David Bösch lässt den Figuren Raum und hält die Balance zwischen Klamauk und berührenden Momenten.
Gespielt wird mit Hingabe und mehr oder weniger sprachlicher Präzision. Mervan Ürkmez überzeugte als Herrmann, der einen vorsichtigen Ausbruch aus dem häuslichen Gefängnis in Richtung Mariedl wagt, die von Annette Holzman mit lakonischem Realitätssinn gezeichnet wird. Olivia Grigolli (Frau Wurm, Grete) und Karola Niederhuber (Frau Kovacic, Erna) wirken wie lustvoll aus der Zeit gefallene Schwab-Figuren in ihrer sprachlichen und darstellerischen Überdrehtheit, Franz Solar (Herr Kovacic, Ehemann) stellt seine Figuren mit der gewohnten Prägnanz auf die Bühne. Rudi Widerhofer, Luisa Schwab und Chen Emilie Yan ergänzen das ambitionierte Ensemble.
"Die Menschen haben mich nicht haben wollen. Keiner hat mich gekannt", beklagt sich Herrmann am Ende und umreißt damit nicht nur die Tragik seiner Bühnenfigur, sondern vielleicht auch die von Schwabs eigenem Leben.
(Von Karin Zehetleitner/APA)
(S E R V I C E - "Schwabgasse 94". Eine Hommage an Werner Schwab. Regie: David Bösch, Bühne und Kostüme: Patrick Bannwart, Kostümmitarbeit: Vibeke Andersen. Besetzung: Grete: Olivia Grigolli, Mariedl: Annette Holzmann, Frau Kovacic / Erna: Karola Niederhuber, Desiree / Sekretärin / Schauspielerin: Luisa Schwab, Herr Kovacic: Franz Solar, Herrmann: Mervan Ürkmez, Hundsmaulsepp / Dichter: Rudi Widerhofer, Bianca: Chen Emilie Yan, Hamsterstatistin: Franziska Hirschberger. https://schauspielhaus-graz.buehnen-graz.com)
Zusammenfassung
- Zum 30. Todestag des Grazer Dramatikers Werner Schwab hätte man eines seiner Erfolgsstücke aufführen können oder auch etwas selten Gespieltes ausgraben.
- Das Schauspielhaus entschied sich dafür, unter dem Titel "Schwabgasse 94" Figuren und Szenen seiner Stücke mit Fragmenten und Texten aus Notizen zu verweben.
- Regie: David Bösch, Bühne und Kostüme: Patrick Bannwart, Kostümmitarbeit: Vibeke Andersen.