Leopold Museum emotionalisiert mit der Sachlichkeit
Die Neue Sachlichkeit setzte sich nach der Überwindung des Expressionismus zu Beginn der 1920er als die dominante Malerei der Weimarer Republik durch. Man wandte sich ab von der egozentrischen Bauchnabelschau mit der manischen Fokussierung auf das Individuum und richtete die Aufmerksamkeit auf die Realitäten der Gesellschaft. "Nicht mehr der Blick in Seelenlandschaften stand im Fokus, sondern das Äußerliche", umriss es Direktor Hans-Peter Wipplinger am Mittwoch bei der Präsentation der Schau.
Themen wie Umbruchseuphorie und Zukunftsangst, Veränderung von Geschlechterrollen, Klassenunterschiede oder die Flucht vor Umbrüchen ins Private setzen ein vielgesichtiges Mosaik der Moderne zusammen, das in so manchen Aspekten nahe an uns ist. Kein Wunder, dass praktisch alle der gezeigten Kunstschaffenden nach der Machtübernahme der Nazis als entartet diffamiert wurden.
Äußerst schlüssig scheint entsprechend die Entscheidung, die rund 150 gezeigten Arbeiten nicht nach Künstlern oder Chronologie, sondern in 13 Themencluster zu gliedern. "Das Gesicht des Krieges" etwa zeigt die Reflexionen der Traumata des Ersten Weltkrieges, die von Käthe Kollwitz, Otto Dix oder Karl Hubbuch in Bilder des Leids übersetzt werden. "Tanz auf dem Vulkan" hingegen macht deutlich, welch anderer Umgang mit den Brüchen im Nachtleben Berlins möglich war, was Max Beckmann oder Rudolf Schlichter mit ihren Werken aus den Zwischenwelten und Nachtlokalen als Symbole für die Ekstase in Zeiten großer Armut deutlich machen.
"Die emanzipierte Frau" zeigt indes das neue Frauenbild einer sporttreibenden Generation an Frauen mit Bubikopf, die den Betrachter korsettfrei und selbstbewusst von den Leinwänden Lotte Lasersteins oder Schlichters herab anblicken. Die Veristen unter den Sachlichen wie Dix und Grosz betrachteten die Kunst eher als Klassenkampf und zeigen die Verarmung breiter Schichten nach dem von den Siegermächten aufgezwungenen Versailler Friedensvertrag, während Proponenten wie Georg Schrimpf oder Heinrich Maria Davringhausen im Rückgriff auf historische Vorbilder eher die Idylle und das Glück im privaten Heim feiern - oder auch den Kaktus als neue Lieblingspflanze im Stillleben. Und der 1944 in Auschwitz ermordete Felix Nussbaum gibt in seinem Œuvre eine klare Vorahnung auf das Kommende.
Allen Vertretern dieser im Detail stilpluralistischen Strömung gemein ist, dass der Malprozess nicht wie beim Expressionismus oder dem Impressionismus ausgestellt, sondern auf beinahe altmeisterliche Kunstfertigkeiten zurückgegriffen wird. Unter diesem Parameter versammeln sich aber so unterschiedliche Arbeiten wie der luftig-aquarellartige Stil eines Manfred Hirzels, die stets etwas karikaturenhaften Arbeiten Beckmanns oder Dix' und die fast fotorealistischen Maschinenporträts Carl Grossbergs, dessen industrielle Anlagen die Ambivalenz aus Aufbruchseuphorie und Angst vor einer entmenschlichten Zukunft spiegeln.
So hebt in "Glanz und Elend" ein vielstimmiger Chor an, der neue Geschlechterbilder, Antisemitismus, Zukunftsangst und den Rausch in einer ungeschönten Rohheit besingt, und damit unserer Wirklichkeit nicht allzu fern scheint. "Wir sind noch nicht soweit, aber es gibt gewisse Parallelen, derer wir uns bewusst sein müssen", mahnte Wipplinger.
(S E R V I C E - "Glanz und Elend. Neue Sachlichkeit in Deutschland" bis 29. September im Leopold Museum, Museumsplatz 1, 1070 Wien. www.leopoldmuseum.org/de/ausstellungen/142/glanz-und-elend)
Zusammenfassung
- Die Ausstellung 'Glanz und Elend. Neue Sachlichkeit in Deutschland' ist bis zum 29. September im Wiener Leopold Museum zu sehen und präsentiert erstmals umfassend diese deutsche Kunstbewegung in Österreich.
- Die Werke sind in 13 Themencluster gegliedert, die gesellschaftliche Themen wie Geschlechterrollen und Klassenunterschiede behandeln und die Realitäten der Weimarer Republik widerspiegeln.
- Künstler wie Otto Dix und Käthe Kollwitz zeigen in ihren Arbeiten das Leid des Ersten Weltkrieges und die gesellschaftlichen Veränderungen der Zeit.