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Daniel Kehlmanns "Lichtspiel": Ein Roman wie ein Film

Ein Roman wie ein Film. Bei Daniel Kehlmanns neuem Buch, das dieser Tage in die Buchhandlungen kommt und am 15. Oktober im Theater in der Josefstadt präsentiert wird, macht diese abgedroschene Phrase Sinn. Denn "Lichtspiel" erzählt das Lebensdrama des österreichischen Meisterregisseurs Gustav Wilhelm Pabst (1865-1967), der vor den Nazis in die USA emigrierte, in Hollywood nicht Fuß fassen konnte und in die Heimat zurückkehrte. Ein 480-seitiges Melodrama in Schwarz-Weiß.

Auch Kehlmann ist ein Meister seines Faches. Mit großer Lust taucht der Autor, dessen Vater Michael ebenfalls ein bedeutender österreichischer Regisseur war, nicht nur in die Filmgeschichte, sondern auch in die Filmtechniken ein. Wechsel von Zeitebenen und Schauplätzen, Aufbau von Szenen, Dramaturgie, Tempowechsel, die Abfolge von Dialogen und beschreibenden Passagen, Totalen und Close-ups - nahezu alles an diesem Roman wirkt filmisch. Wie Pabst in seinem "Paracelsus", nähert sich Kehlmann im "Lichtspiel" seiner Hauptfigur zunächst über eine Randepisode, den Auftritt eines alten, fast schon senilen ehemaligen Kameraassistenten von Pabst in der beliebten ORF-Fernsehsendung von Heinz Conrads. Die hier angerissene Frage, ob "Der Fall Molander", Pabsts unter abenteuerlichsten Bedingungen kurz vor Kriegsende in Prag gedrehter letzter Film für Nazideutschland, fertiggestellt wurde oder nicht, bildet die Klammer des Romans.

Basis des Buches ist eine wahre Biografie, die wie von einem schlechten Hollywooddrehbuchautor erfunden wirkt. Als Drehbuch wäre dieses Leben als zu unwahrscheinlich und konstruiert wohl von vielen Förderstellen abgelehnt worden. Kehlmann macht aus dem Stoff keine feinsinnige Psychostudie, die dem inneren Drama eines Künstlers folgt, sondern setzt auf große Bilder, packende Szenen und äußerste Zuspitzung. Er setzt grelle Scheinwerfer, die lange Schatten werfen, und inszeniert tiefes Dunkel. Die Episoden aus Pabsts Leben fügen sich zu einer großen Parabel über Macht und Ohnmacht, Politik und Kunst, Verbrecher und Mitläufer, Wegschauen und Mitmachen, die in ihrer expressiven Machart eine Hommage an Pabst-Filme wie "Die freudlose Gasse" oder "Die Büchse der Pandora" bildet.

Kehlmann macht sich ein Vergnügen daraus, Greta Garbo, Leni Riefenstahl oder Joseph Goebbels für prägnante Kurzauftritte in Nebenrollen zu engagieren und gestaltet Pabsts Begegnungen mit Louise Brooks zu Momenten höchster amouröser Anziehung, in denen der Regisseur auf den geringsten Fingerzeig des Filmstars bereit wäre, sein Leben zu ändern. Das ändert sich ohnedies - wie es sich der Filmkünstler in seinen düstersten Stunden nicht träumen hätte lassen.

Der in Europa gefeierte Regisseur bleibt in Hollywood Randfigur, woran auch sein schlechtes Englisch schuld ist, das Kehlmann in köstlichen, nahezu unverständlichen Dialogen bloßstellt. Pabst kehrt nach Europa zurück, doch ein in Frankreich geplanter Film scheitert. Ein letzter Besuch bei der schwer kranken Mutter im heimatlichen Österreich, Pardon: in der Ostmark, wo die Familie ein schlossähnliches altes Anwesen besitzt, und dann rasch wieder zurück in die USA. So der Plan. Die Wirklichkeit wird zum Horrorfilm, in dem Kehlmann Angstvorstellungen und Wirklichkeit verschwimmen lässt. Der Hausmeister entpuppt sich als Nazi der übelsten Sorte, ein Leitersturz von Pabst mit schlimmen Folgen ist von ihm möglicherweise böswillig herbeigeführt, und dann bricht der Krieg aus. Eine Heimkehr der Familie Pabst ist unmöglich. Ein Albtraum beginnt.

Die Begegnungen des "roten Pabst" mit den Repräsentanten des Regimes zählen zu den Höhepunkten des Buches. Exemplarisch arbeitet Kehlmann das Dilemma heraus, die private Ausweglosigkeit, den unstillbaren Drang nach künstlerischer Betätigung, die Skrupellosigkeit des Regimes, das alle Nuancen der Druckausübung kennt, von großzügigen Versprechen über subtile Hinweise bis zur äußersten Brutalität. Im Mittelpunkt steht aber der Irrglaube, sich dem Teufel mit Vorbehalt verkaufen zu können, ohne Haut und Haar und Herz dabei einzubüßen. Dafür zieht Daniel Kehlmann alle Register und wirft mit Fortdauer des Buches jede ästhetische Zurückhaltung über Bord. Dezenz ist Schwäche, wenn man einen Blockbuster im Sinn hat. "Lichtspiel" ist großes Kino.

(S E R V I C E - Daniel Kehlmann: "Lichtspiel", Rowohlt, 480 Seiten, 26,70 Euro, 15. Oktober, 15 Uhr, im Theater in der Josefstadt, Moderation und Gespräch: Renata Schmidtkunz. Karten: 01 / 42 700-300)

ribbon Zusammenfassung
  • Bei Daniel Kehlmanns neuem Buch, das dieser Tage in die Buchhandlungen kommt und am 15. Oktober im Theater in der Josefstadt präsentiert wird, macht diese abgedroschene Phrase Sinn.
  • Denn "Lichtspiel" erzählt das Lebensdrama des österreichischen Meisterregisseurs Gustav Wilhelm Pabst, der vor den Nazis in die USA emigrierte, in Hollywood nicht Fuß fassen konnte und in die Heimat zurückkehrte.
  • Eine Heimkehr der Familie Pabst ist unmöglich.