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"Girl Math" oder "Roman Empire": Was steckt hinter den TikTok-Trends?

Denken Männer nur ans römische Reich und können Frauen kaum rechnen? Die TikTok-Trends rund um diese Darstellungen lassen das vermuten. Sie spielen mit traditionellen Geschlechterrollen, was nicht nur lustig sein, sondern auch Stereotype befeuern kann. Woher diese Trends kommen, ist aber auch für Forscher:innen schwer zu erklären.

Seit einiger Zeit wird auf TikTok die Frage gestellt, wie häufig Männer eigentlich ans römische Reich denken. Die Antwort: Überraschend oft. Frauen hingegen, das wird in dem Trend nahegelegt, denken weitaus weniger an die Geschichtsepoche.

Gleichzeitig gibt es seit Wochen den "Girl Dinner"-Trend, bei dem Frauen ihre hastig zusammengestellten Mahlzeiten, seien es Nudeln ohne Sauce oder auch nur Cracker und der letzte Käse, der sich noch im Kühlschrank befindet, zeigen.

Ein ähnliches Phänomen ist "Girl Math", dabei geht es um die vereinfachten Rechnungen, die Frauen verwenden würden, um so immer im Plus zu sein. Gibt man etwa 50 Euro für eine neue Hose aus, die man dann aber retourniert, hat man ultimativ einen Gewinn von 50 Euro gemacht.

Clevere Männer, dumme Frauen?

Auffällig bei den Trends ist, dass scheinbar jene Stereotype trenden, "die Männer als clever und intellektuell und Frauen als quasi doof darstellen", wie Susanne Reichl, Anglistik-Professorin und Leiterin der Forschungsplattform #YouthMediaLife der Universität Wien, im PULS 24 Gespräch sagt.

Solche Trends könnten ein traditionelles Rollenbild verstärken, auch da Frauen bei ihren "Girl Dinners" oftmals nicht viel essen. Diese sehr kleinen Mahlzeiten könnten somit auch eine "Normalisierung von Schlanksein und Dünnsein für Frauen" in den Vordergrund rücken, erklärt Kathrin Karsay, Assistenzprofessorin für Unterhaltungsforschung am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, gegenüber PULS 24.

So könnten "unbeabsichtigt ungesunde Essgewohnheiten befördert werden". 

"Lustig machen" über Stereotype

Gleichzeitig können TikTok-Trends aber auch deutlich positiver verstanden werden. Mit den Videos von formlosen Mahlzeiten könnten "traditionelle und stereotype Darstellungen von Frauen aufgebrochen werden", meint Karsay. Schließlich hätten "nicht alle Frauen ein Interesse an ausgewogenen, kuratierten, instagramable Bowls". 

Auch Reichl betont, es handle sich etwa bei den Macherinnen der "Girl Math"-Videos um "clevere Frauen", die sich "über das Stereotyp lustig machen". Mittlerweile gibt es auch "Boy Math". Bei diesem Trend - vorrangig hauptsächlich auf X (vormals Twitter) vertreten - sind aber nicht nur lustige Rechnungen zu finden. Dort heißt es etwa auch: "Boy Math sagt, dass Frauen zu emotional sind, während Männer beim kleinsten Anzeichen gewalttätig werden. Und sie erkennen nicht, was die Wurzel all dieser aufgestauten Wut ist - unverarbeitete Emotionen".

Wer darf "Girl" sagen?

Problematisch würden Trends erst, wenn man auf Social Media nur noch eine einzige Lebensrealität zu sehen bekomme. "Die Gefahr von Stereotypen ist, dass sie den eigenen Ausdruck einschränken können", weswegen es notwendig sei, die Ironie hinter den Trends zu verstehen, betont Karsay.

Auch sei wichtig, wer erwachsene Frauen als "girl" - also als Mädchen – bezeichne und in welchem Kontext, stellt Reichl klar. Wenn das Frauen selbst täten, könne es positiv gewertet werden. "Wenn jetzt die Männer beginnen, alle Frauen als girls zu bezeichnen, vor allem in Situationen, in denen sie wenig vorteilhaft da stehen, dann haben wir sicher ein Sexismus-Problem", so Reichl.

"Algorithmus von TikTok ist ein Hund"

Die Einordnung der vielen Trends ist jedoch schwierig, da TikTok "auch für die Forschung ziemlich unzugänglich" sei, erklärt Reichl. "Der Algorithmus von TikTok ist ein Hund."

Was Trends befördere, sei nicht einsichtig, und würde durch viele Dinge beeinflusst, etwa durch das eigene Nutzungsverhalten sowie den Standort, sagt auch Karsay. Das Geschlecht der Nutzer:innen dürfte dabei ebenfalls eine Rolle spielen.

Stoff für Diskussion

"TikTok knallt dir einfach was hin und du kannst dann sagen, das finde ich jetzt super, nicht super, das finde ich jetzt sexistisch oder ich find’s lustig", fasst Reichl die Trends zusammen. Wie Karsay plädiert sie deswegen für eine Kontextualisierung der Videos.

Zudem sei es wichtig, die Videos als Anlass zu Diskussionen mit jungen Menschen zu nehmen, betont Karsay.

Darüber, warum gerade der Trend rund um das römische Reich so groß geworden ist, kann sie nur Mutmaßungen anstellen: "Auf Social Media funktionieren oft sehr unterhaltsame Elemente, die mit Überraschung arbeiten" und "emotionale Reaktionen" hervorrufen. Diese Videos werden in der Regel eher geteilt und verbreiten sich so rascher. 

ribbon Zusammenfassung
  • Denken Männer nur ans römische Reich und können Frauen kaum rechnen?
  • Die TikTok-Trends rund um diese Darstellungen lassen das vermuten.
  • Sie spielen mit traditionellen Geschlechterrollen, was nicht nur lustig sein, sondern auch Stereotype befeuern kann.
  • Woher diese Trends aber kommen, bleibt auch für Forscher:innen unklar, denn TikTok sei "auch für die Forschung ziemlich unzugänglich".
  • Es sei wichtig, die Videos als Anlass zu Diskussionen mit jungen Menschen zu nehmen.