Zeugenschutzprogramm besteht seit 25 Jahren
"Wir bieten die Chance auszusteigen, vom Saulus zum Paulus zu werden, ein neues Leben zu beginnen, mit Unterstützung der Polizei", erläuterte der Kriminalist. Mit genauen Zahlen, Daten und Fakten halten sich die Behörden aus kriminaltaktischen Gründen freilich bedeckt. Anlässlich des Jubiläums gab das Bundeskriminalamt einer Runde Journalisten dennoch einen kleinen Einblick. "Es ist noch nie einem Zeugen ein Haar gekrümmt oder er ausgeforscht worden", sagte der Referatsleiter. Prinzipiell gibt es keine Delikte, die Betroffene vom Zeugenschutzprogramm ausschließen. "Wir sind nicht die oberste moralische Instanz, sondern dafür da, die Zeugenaussage ins Gerichtsverfahren einzubringen", sagte der Ermittler. Rund 80 Prozent der betreuten Zeugen sind keine österreichischen Staatsbürger, die Schützlinge hatten bisher rund 26 verschiedene Nationalitäten. Oft werden sie auch im Ausland untergebracht, gemeinsam mit der Kernfamilie, also bis zu fünf Personen.
"Der entscheidende Faktor ist die international gute Vernetzung unter den Dienststellen und den Zeugenschützern", sagte der Leiter des Büros Zeugenschutz und Qualifizierter Opferschutz im Bundeskriminalamt. Dieses ist seit 2013 für die Umsetzung von Schutzprogrammen im Hochrisikobereich zuständig.
Eine "Transformation" müssen auch die beteiligten Beamten - die alle mit Tarnidentitäten und "Arbeitsnamen" ausgestattet sind, durchmachen. "Wir beschützten die Bösen, aber aus einem höheren Grund", sagte der zuständige Referatsleiter. Die verdeckten Ermittler müssen "sehr vielfältig sein, IT-Experten, Sozialarbeiter, Psychologe, Schuldenberater, Lebensberater, Eheberater", berichtete er aus der Praxis. "Jedes Problem des Zeugen ist auch eines des Zeugenschützers". Diese müssen zu den Schutzbefohlenen "Vertrauen aufbauen, aber keine Freunde werden", das sei zusätzlich eine große Herausforderung.
In vielen Kriminalfällen können Verurteilungen nur aufgrund von Aussagen involvierter Personen im Rahmen des Strafprozesses erzielt werden, weshalb 1998 der Zeugenschutz in Österreich eingerichtet wurde. Um organisierte Kriminalität zu bekämpfen, müssen Grundstrukturen offengelegt und zerschlagen werden. Zeugenschutz spielt hier eine große Rolle. Es bedarf mehr als nur der Klärung einzelner Straftaten. Von hoher Bedeutung sind in diesem Bereich Zeugen, die aufgrund ihrer persönlichen Nähe zu derartigen Gruppierungen Auskünfte über begangene oder geplante Straftaten, aber auch über die kriminelle Vereinigung selbst machen können.
Aktuelle Fallbeispiele nannten die beiden Kriminalisten beim Mediengespräch keine, ein Blick ins Archiv enthüllt aber prominente Causen. Sei es ein Terrorprozess gegen zwei mutmaßliche Foreign Fighter der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) oder ein Verfahren um einen Mordkomplott mit einem Auftragskiller - immer wieder werden vor Gericht Zeugen, die im Schutzprogramm sind, gehört und zahlreiche Verbrecher dadurch verurteilt.
"Gefährdete Zeugen stehen unter einem besonders hohem Druck", sagte der Leiter des Büros. "Manchmal ist auf sie ein Kopfgeld ausgesetzt." Die stete Möglichkeit zur weltweiten Kommunikation und Interaktion und zunehmenden technischen Möglichkeiten erhöhen auch für die Schutzpersonen die Gefahr der Ausforschung, sagte der Kriminalist. Schutzmaßnahmen müssen nicht nur auf die analoge, sondern auch auf die digitale Welt ausgelegt werden. Es erfordert enormes Fachwissen und laufende Anpassungen. 1998 war beispielsweise das Verbot von E-Mails umsetzbar, heute "ist das Handy der dritte Arm geworden", sagte sein Kollege.
Erst 2010 wurde in Österreich das Opferschutzprogramm gegründet und eine bis dahin vorhandene Lücke geschlossen. Ab diesem Zeitpunkt bestand für höchst gefährdete Opfer die Möglichkeit, Schutz mit spezifischem und sicherheitsrelevantem Know-how in Anspruch zu nehmen. "Wenn es gelungen ist, einer Familie ein neues Leben zu schenken, ist das ein Erfolg", sagte der Polizist. In Frage kommen "nur Hochrisikofälle", die Zahl der Betroffenen ist deutlich geringer, aber stark wachsend. Während beim Zeugenschutz rund 95 Prozent der Beteiligten Männer sind, ist es beim Opferschutz genau umgekehrt.
Der Referatsleiter war bereits bei der Gründung im Team, zuvor war er in der Soko Briefbombe rund um die Anschläge mit zahlreichen Brief- und Rohrbomben des Terroristen Franz Fuchs. Zeugenschutzprogramme dauern rund fünf Jahre, es gibt aber auch welche, die mehr als zehn Jahre laufen, berichtete er. Wer aufgenommen wird - viele Betroffene haben auch Familie -, muss als Erstmaßnahme umsiedeln. Sie kommen in sogenannte Safe-Häuser, denn das Programm "braucht viele Vorbereitungen, die Menschen müssen mit neuen Identitäten ausgestattet werden", berichtete der Kriminalist. "Es gibt auch schon viele Zeugenschutzbabys. Speziell am Anfang haben die Menschen viel Zeit."
Bei den Zeugen "müssen wir oft bei Zero beginnen", sagte er, "Akademiker haben wir keine bei uns im Programm". Die sogenannte Legende - also die Geschichte zur neuen Identität - wird gemeinsam erarbeitet, niedergeschrieben und trainiert. "Die beste Legende ist so nah wie möglich an der Wirklichkeit", berichtete der Kriminalist. Zeugen, die zuvor kriminell waren, müssen zu einem "normalen Leben" mit Job und finanzieller Unabhängigkeit geführt werden - mitunter eine große Herausforderung. Die engsten Angehörigen sind zumeist darüber informiert, dass Verwandte ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden. Einen kompletten Schnitt gibt es nicht, über die zuständigen Beamten können die Schutzpersonen auch Kontakt zu ihren Angehörigen aufnehmen. "Es kann dabei vorkommen, dass Weihnachtswünsche erst zu Ostern ankommen." Für die Zeugen und Angehörigen gibt es strenge Auflagen. Wer sich nicht dran hält, kann auch aus dem Programm entlassen werden, etwa, wenn er eine schwere Straftat begeht. Wird das Programm beendet, wird bereits rund ein Jahr zuvor das Ausstiegsszenario geplant.
"Der Zeugenschutz ist ein wesentlicher Eckstein für die umfassende und nachhaltige Bekämpfung der organisierten Kriminalität", sagte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) anlässlich des Jubiläums. Die Zeugenschützerinnen und Schützer leisten "hervorragende Arbeit und schützen, vor den Augen der Öffentlichkeit versteckt, tagtäglich Menschenleben", betonte Andreas Holzer, Direktor des Bundeskriminalamtes.
Zusammenfassung
- Vor 25 Jahren ist in Österreich das Zeugenschutzprogramm gegründet worden. Es ist vorgesehen für Hochrisikofälle, um in Strukturen der organisierten Kriminalität vorzudringen und so zur Zerschlagung beizutragen. Ins Programm aufgenommene Personen haben selbst eine "kriminelle Vergangenheit", sagte er zuständige Referatsleiter. Seit der Gründung habe es eine "niedrige dreistellige Zahl an Fällen" gegeben. Schutzperson sei bisher keine zu Schaden gekommen, betonte er.