Moderatorin Pössnicker über Bulimie: "Man hat nie verloren"
Miriam Pössnicker ist bekannt als PULS 4 Moderatorin. Die Essstörung Bulimie hat sie jahrelang begleitet - mal mehr mal weniger schwer. Bulimie nervosa ist im Gegensatz zu Anorexia nervosa eine Erkrankung, bei der die Betroffenen ihr Essen wieder erbrechen. Dem können auch sogenannte Binges ("Essattacken") vorangehen.
Macht und Kontrolle
Lange habe sie versucht, die Bulimie zu kontrollieren. Miriam hatte Vorsätze, zum Beispiel nur eine sehr geringe Anzahl an Kalorien pro Tag zu essen. Und sobald dieses ungesunde Ziel überschritten war, hatte sie für sich "verloren". "Dann war es egal, wie viel ich in mich hineingestopft habe, weil ich hatte eh schon verloren".
Heute weiß sie, dass sie nicht verloren hat. Die 35-Jährige isst ihren Teller heute nicht mehr "zwanghaft" auf, nur wenn sie hungrig ist.
Für Pössnicker war immer klar, dass sie mit dem Thema in die Öffentlichkeit gehen möchte. Ursprünglich wollte sie als Ghostwriterin ein Buch zu dem Thema veröffentlichen, heute will sie mit ihrem Namen zu der Erkrankung stehen. Mittlerweile hat sie die Distanz, die ihr auch ermöglicht, darüber zu sprechen. Sie hofft, mit ihrer Offenheit das Thema zu Entstigmatisieren.
Mir war immer wichtig, nicht nur mein Gesicht in die Kamera zu halten, sondern auch für etwas zu stehen.
Schönheit als Qualifikation
Zu der Zeit als ihre Bulimie-Erkrankung am schlimmsten war, stand Pössnicker nicht vor der Kamera. Sie glaubt schon, dass der Beruf der Moderatorin mit einem speziellen Druck verbunden ist. "Ich bin sicher nicht da, wo ich bin, weil ich so gut bin", sagt sie, "andere sind auch gut und es ist leider eine unfaire Welt, aber es ist ein Fakt, dass du ein gewisses Aussehen mitbringen musst". Die Medienbranche findet sie manchmal zu oberflächlich. "Ich bin auch sicher unter anderem da, weil ich in ein bestimmtes Schema passe", so die Moderatorin.
Pössnicker ist froh, dass sie erst jetzt bei PULS 4 vor die Kamera gekommen sei. "Ich wüsste nicht, wie ich in jüngeren Jahren darauf reagiert hätte", Essen sei jetzt für sie kein Thema mehr.
"Es gab den Tag, an dem ich mich das letzte Mal seit Jahren nicht übergeben habe", aber erst zwei Jahre später den Tag, an dem sie sich das allerletzte Mal übergeben hatte. Den einen Tag, an dem sie aufgehört hat, den gibt es nicht. Die Genesung war ein schleichender Prozess, motiviert durch ihren schlechten Gesundheitszustand und vorangetrieben durch ihr unterstützendes Umfeld.
Therapie für alle
Ihr kommen die Tränen, wenn sie Fotos aus der Zeit sieht, als sie 18 Jahre alt war. Miriam sieht heute, wie schlecht es ihr damals ging. "Lieb' dich ein bisschen mehr so wie du bist, sei nicht so streng zu dir", würde sie sich heute als Rat mitgeben. Aber Miriam Pössnicker bereut nichts, all das hat sie zu dem Menschen gemacht, der sie ist.
Sie kenne viele Frauen, die mit dem Essen Probleme haben. Laut der klinischen Psychologin Stefanie Truttmann haben in Österreich zwei bis drei Prozent der Frauen eine Bulimie-Diagnose, das sind bis zu 135.000 Betroffene. Am wichtigsten für eine erfolgreiche Behandlung sind laut der Ärztin Psychotherapie und eine ärztliche Anbindung.
Die Therapie ist ein Prozess, so die Ärztin. Es gäbe Bulimiker:innen, die ganz gesund werden würden, aber auch viele, die sich nie vollständig erholen.
Mobbing und Todesfall als Faktoren
Pössnicker wuchs in der Steiermark auf, in einem Dorf. Sie hat Migrationsgeschichte, ihr Vater verstarb, als sie 12 Jahre alt war. Nach seinem Tod hat sie den Verlust auch mit Essen bewältigt, sagt sie.
Die "Schuld" an ihrer Erkrankungen möchte sie aber niemandem geben. "Ich habe mich wirklich lange gefragt, was kann ich tun, um nicht mehr gemobbt zu werden, damit keiner mehr merkt, dass ich eine Asiatin bin."
Heilung als Prozess
Ihre Mutter habe sie schon als Teenager in Therapie geschickt, diese brach Miriam aber ab. Der Punkt, an dem sie selbst erkannte, dass sie professionelle Hilfe brauche, der kam viel später. "Ich war da noch gar nicht bereit", die Therapie hätte aber nachgewirkt. "Jedem normalen" Menschen würde sie raten, in Therapie zu gehen und sich Hilfe zu holen.
Pössnicker litt auch an gesundheitlichen Folgen der Bulimie: Ihr Zähne und ihr Herz schmerzten vom ständigen Übergeben. Würgereflex habe sie keinen mehr, "ich könnte mich auch jetzt sofort hier übergeben".
Auf die Frage, ob es ihr heute gut geht, antwortet Miriam, dass ihre oberen Zähne nicht mehr echt seien. "Ich konnte nicht lachen im Spiegel, ich habe darin immer meine Krankheit gesehen". Es hat Jahre gebraucht, bis ihr mit den neuen Zähnen wieder zum Lachen war. "Das war sicher ein sehr teurer Nebeneffekt".
Manchmal hat sie noch Schmerzen am Herz, "vielleicht sollte ich das mal anschauen lassen", sagt sie.
Hilfsplattformen für Betroffene raten, in der Berichterstattung von konkreten Zahlen zu Kalorien oder Gewicht Abstand zu halten. Tiefgänge in destruktive Verhaltensweisen sollten vermieden werden, das kann für Betroffene re-traumatisierend und auch triggernd wirken kann.
Bulimie ist eine Erkrankung, Hilfe können Betroffene in Österreich unter folgenden Adressen finden:
- Hotline für Essstörungen - 0800 201120
- Netzwerk Essstörungen
Das Reportage-Magazin "Exakt" am Donnerstag, dem 9. Februar ab 22.20 Uhr auf ZAPPN und PULS 4.
Zusammenfassung
- Miriam Pössnicker spricht in Exakt auf PULS 4 über ihre Bulimie-Erkrankung.
- Vorab erzählt sie im Interview, dass sie immer schon eine Moderatorin mit Haltung sein wollte, die für etwas steht.
- Sie hofft, mit ihrer Offenheit auch anderen helfen zu können.