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HCB-Skandal erschütterte vor genau zehn Jahren Kärnten

Eine überstürzte Pressekonferenz am 26. November 2014 sollte der Anfangspunkt für eine Causa sein, die eine gesamte Region in Kärnten über Jahre hinweg verunsichern sollte. Spuren von HCB waren in Milch aus dem Görtschitztal gefunden worden - die drei Buchstaben des Umweltgiftes, über das die Öffentlichkeit so wenig wusste, wurden schließlich zum Synonym für ein behördliches Multiorganversagen, das die Politik gleichermaßen wie die Gerichte beschäftigte.

Hexachlorbenzol, wie HCB in der Langform heißt, gilt als krebserregend. Seit 2004 ist es fast weltweit verboten, in Österreich bereits seit 1992. HCB ist ein Fungizid, mit dem einst Saatgut gebeizt wurde, es wurde auch Holzschutzmitteln beigesetzt. Und es ist sehr schwer abbaubar, immer wieder wird es auch heute noch in der Natur festgestellt. In konzentrierter Form lagert es in Deponien - wie zum Beispiel in jener mit dem Namen K20, nahe der Donau Chemie im Kärntner Brückl, wo mit HCB belasteter Blaukalk im Boden schlummert.

Um diese Deponie zu räumen, wurde Jahre vor dem Skandal die Beseitigung der Altlasten ausgeschrieben. Zum Zug kam das Wietersdorfer Zementwerk, das sich nur wenige Kilometer von der Deponie entfernt im Kärntner Görtschitztal befindet. Der Blaukalk sollte dort im Herstellungsprozess verwertet werden, bei dieser Gelegenheit sollte der Kalk auf mindestens 850 Grad erhitzt werden, damit das Umweltgift unschädlich wird. Dabei passierten aber gravierende und viel zu lange unentdeckte Fehler: Der Blaukalk wurde offensichtlich nicht genügend erhitzt, weshalb das HCB durch den Schornstein entwich und sich in der Umgebung verteilte.

Der Beginn der Belastung liegt allerdings schon deutlich länger als zehn Jahre zurück. Bereits im März 2014 hatte ein Kunde des Görtschitztaler Milchhofs Sonnenalm HCB in einem der Milchprodukte festgestellt. Bei der AGES (Agentur für Ernährungssicherheit) habe man aber die Auskunft erhalten, es handle sich um eine "Altlast", wie man sie in ganz Österreich im Boden finde. In trockenen Jahren würden die Pflanzen speziell solche Stoffe aufnehmen.

Messungen der Umweltabteilung gab es erst Monate später. Die Ergebnisse führten schließlich zur erwähnten Pressekonferenz des damals zuständigen Agrarlandesrates Christian Benger (ÖVP). Verwirrung und Verunsicherung waren groß, denn vorerst war weder klar, wie gefährlich die Kontamination für die Bevölkerung war, noch wie viele Emittenten es überhaupt gab. Das sollte sich erst Wochen und Monate später herausstellen. Bis dahin wurden täglich bis zu 10.000 Liter Milch aus dem Görtschitztal weggeschüttet, Futtermittel wurden abtransportiert und vernichtet, das Fleisch geschlachteter Tiere entsorgt. Immer wieder sollten in den kommenden Monaten regionale Lebensmittel die HCB-Grenzwerte überschreiten.

Zumindest in der Frage nach der Gesundheitsgefährdung gaben Experten bald Entwarnung. "Ich kann Ihnen garantieren, dass Sie keine Gesundheitsgefährdung erlitten haben", sagte Umweltmediziner Michael Kundi bei einer Info-Veranstaltung im Görtschitztal Mitte Dezember 2014. "Die Dosis macht das Gift", lautete der Tenor - wäre HCB noch über mehrere Jahre emittiert worden, hätte es durchaus auch zu einer Gesundheitsgefährdung kommen können. Es habe zwar eine Überschreitung von Grenzwerten und auch von toxikologischen Werten gegeben, erklärte auch ein Experte der AGES. Bis zu einer echten Gesundheitsgefährdung sei jedoch noch ein großer "Sicherheitspuffer" eingebaut. Und dieser sei bei weitem nicht erreicht worden.

Es blieb allerdings die große Frage, wie es überhaupt zur Belastung mit HCB kommen konnte. Hier rückten vor allem die Behörden in den Fokus. Eine Untersuchungskommission unter Leitung des Verfassungsrechtlers Bernd-Christian Funk wurde ebenso ins Leben gerufen, wie ein Untersuchungsausschuss im Kärntner Landtag, der Ende Jänner 2015 die Arbeit aufnahm.

Und beide Institutionen kamen zu - gelinde gesagt - für die Verantwortlichen wenig schmeichelhaften Ergebnissen. Die Kommission unter Funk fand grobe Mängel in der Arbeit der Behörden, aber auch in der Vorgangsweise von Wietersdorfer. Das Vorhaben der HCB-Entsorgung wurde vom Zementwerk nur im Wege einer Anzeige an die Gewerbebehörde bei der Bezirkshauptmannschaft St. Veit gemeldet. Diese Vorgangsweise sei rechtlich nicht gedeckt gewesen, es hätte ein eigenes Genehmigungsverfahren geben müssen, so Funk.

Umweltmediziner Hans Peter Hutter fasste die Fehler in der HCB-Causa zusammen: "Erstens hat es in der Kommunikation massive Schwächen gegeben. Zweitens wurde das Material kläglich unterschätzt. Und drittens hat es für die komplizierte Materie nicht genügend Ressourcen gegeben." Oder, wie es der Mediziner salopp formulierte: "Es wurde jahrzehntelang mit gefährlichen Chemikalien herumgespielt."

Im U-Ausschuss gab Umweltlandesrat Rolf Holub (Grüne) Fehler der Landesverwaltung zu. Schon im April 2014 hätte jemand die Federführung übernehmen müssen, damit die Abteilungen zusammenarbeiten - denn da war die HCB-Problematik im Tal behördenintern bereits bekannt. Immer wieder kam zur Sprache, dass der Umgang mit dem belasteten Blaukalk im Zementwerk wohl viel zu sorglos gewesen war. "Auf Basis des eingereichten Projekts" hätte der HCB-Ausstoß nie und nimmer zustande kommen können, sagte ein Verfahrenstechniker aus. Der Blaukalk sei offensichtlich an der falschen Stelle in den Drehofen eingebracht worden und habe so nicht die zur HCB-Vernichtung erforderliche Temperatur erreichen können.

Im Endbericht des U-Ausschusses des Kärntner Landtages zum HCB-Skandal war schließlich von einem "Multiorganversagen" in betrieblicher, behördlicher und politischer Hinsicht die Rede. In Zukunft soll "besonderes Augenmaß" auf potenziell bedrohliche Projekte gerichtet werden, außerdem sei die Kommunikation zwischen den Landesbehörden zu optimieren.

Unterdessen beschäftigte die Causa auch Zivilgerichte und Staatsanwaltschaft. 22 Zivilverfahren waren anhängig, bei denen insgesamt 91 Personen als Kläger auftreten. Der Gesamtstreitwert belief sich auf rund 8,5 Millionen Euro. Einerseits wurde die Wertminderung von Grundstücken geltend gemacht, andererseits eine Gesundheitsbeeinträchtigung aufgrund einer laut den Klägern überdurchschnittlichen Konzentration von HCB im Blut. Auch habe das Fungizid Wachstumsschäden an Bäumen verursacht, lautete ein Argument von klagenden Waldbesitzern. Die Prozesse wurden 2019 mit Vergleichen beendet: Das Land Kärnten erhielt eine Entschädigung in Höhe von 2,5 Millionen Euro, die zivilen Kläger bekamen 6,3 Millionen Euro.

Zwei Jahre später war die Causa HCB auch strafrechtlich erledigt - und zwar wesentlich unspektakulärer, als es die Ausmaße des Skandals erahnen hätten lassen. Die Verantwortlichen erhielten eine Diversion. Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor wegen fahrlässiger Beeinträchtigung der Umwelt Strafanträge eingebracht, und zwar gegen die Firma Wietersdorfer als Verband und drei damalige Verantwortliche des Unternehmens.

Die HCB-Messwerte gingen unterdessen stetig zurück. Dennoch sorgen die drei verhängnisvollen Buchstaben immer wieder für Aufsehen im Görtschitztal. Zum Beispiel vor zwei Jahren, als es erhöhte HCB-Werte bei Fischen im Gurk-Fluss gab. Entlang des Flusses gibt es nämlich noch immer eine HCB-Deponie, die noch saniert werden muss. Die Deponie mit dem Namen K20, die als Ausgangspunkt für den HCB-Skandal galt, hat diese Prozedur bereits hinter sich. Oder anders ausgedrückt: 140.000 Tonnen mit HCB belasteter Blaukalk schlummern fest versiegelt in Görtschitztaler Erde.

ribbon Zusammenfassung
  • Der HCB-Skandal in Kärnten begann mit einer Pressekonferenz am 26. November 2014, nachdem HCB in Milch entdeckt wurde.
  • HCB ist ein krebserregendes Fungizid, das in Österreich seit 1992 verboten ist, aber in einer Deponie nahe der Donau Chemie gefunden wurde.
  • Das Wietersdorfer Zementwerk machte Fehler bei der Verarbeitung von HCB-belastetem Blaukalk, was zur Freisetzung von HCB führte.
  • Zivilverfahren endeten 2019 mit Entschädigungen von insgesamt 8,8 Millionen Euro, wobei 6,3 Millionen an die Kläger gingen.
  • Die strafrechtlichen Aspekte wurden mit einer Diversion abgeschlossen, trotz der Schwere des Skandals.