"Man hat uns aufgegeben": Frust nach Spanien-Flutkatastrophe
Am Donnerstag entspannt sich die Lage in Spanien zusehends. Die größten Regenfälle sollten vorbei sein. Auch wenn die Suche nach weiteren Leichen und Vermissten über die Nacht fortgesetzt wurde: "Wegen der Dunkelheit müssen allerdings viele Aktivitäten bis Tagesanbruch unterbrochen werden", sagte der Leiter der Notfallabteilung des spanischen Roten Kreuzes, Iñigo Vila, am Abend dem staatlichen Fernsehsender RTVE.
Mindestens 158 Menschen kostete das Unwetter ihr Leben. Befürchtet wird, dass die Opferzahl weiter ansteigt. Eine offizielle Gesamtzahl der Vermissten lag nicht vor. Hilfe benötigten auch Tausende Menschen, die in Fahrzeugen, Häusern und Dörfern ausharrten. Immer noch werden Dutzende Menschen vermisst.
Verteidigungsministerin Margarita Robles erklärte die Suche nach ihnen zur Priorität des Tages, wie sie dem TV-Sender Telecinco sagte.
Nun wird die Verwüstung indes sichtbar. In Sedaví in der besonders betroffenen Mittelmeerregion Valencia, wo nach den Regenmassen nun wieder die Sonne scheint, türmten sich von Wassermassen zusammengeschobene Autos und versperrten Hauseingänge, wie das staatliche Fernsehen RTVE vom Ort des Geschehens berichtete. Viele Bewohner konnten damit gar nicht auf die Straße.
"Man hat uns aufgegeben"
"Man hat uns hier völlig vergessen", sagte ein Mann vor laufender Kamera, halb weinend. "Niemand kommt, um die Autos wegzuziehen oder uns irgendetwas zu bringen. Man hat uns aufgegeben." Die Menschen bräuchten Essen, Kleidung und Schaufeln, um selbst die Erdmassen wegschaufeln zu können.
Den Informationen des Senders zufolge fährt zwar die Polizei ab und zu durch den Ort, um Plünderungen zu vermeiden. Aber bisher sei die Feuerwehr nicht vor Ort gewesen. Auch aus Utiel in der Region Valencia zeigte das Fernsehen Fotos verschlammter Straßen, zerstörter Häuser und umgekippter Autos. Viele Orte waren zudem weiter ohne Strom oder Telekommunikationsnetze.
Die extrem starken Regenfälle hatten am Dienstag Flüsse über die Ufer treten lassen und Straßen in Flüsse verwandelt, allen voran in den auch bei Touristen sehr beliebten Mittelmeerregionen Valencia, Murcia und Andalusien.
Betroffen war zudem auch die weiter im Landesinnern liegende Region Kastilien-La Mancha. Der Wetterdienst Aemet sprach von einem "historischen Unwetter", dem schlimmsten solcher Art in der Region Valencia, wo die meisten Toten verzeichnet wurden. In acht Stunden fiel mehr Niederschlag als beim jüngsten Hochwasser in Österreich innerhalb von fünf Tagen.
"Wir dachten, die Welt geht unter"
Davon betroffen war auch Ángela, die das Erlebte der spanischen Zeitung "El País" erzählte. Sie und ihr Mann konnten sich auf das Dach ihres Hauses retten. Mit einem Hut auf einem Stock versuchten sie, die Rettungshubschrauber auf sich aufmerksam zu machen - jedoch vergeblich.
Weder der Hubschrauber noch die Boote, so wurde ihnen gesagt, könnten sie erreichen. "Wir dachten, die Welt geht unter", sagte sie.
Zahlreiche Autobahnen und Landstraßen sind weiter unbefahrbar. Auch der Bahnverkehr wurde erheblich beeinträchtigt. Rund 115.000 Haushalte waren ohne Strom, zudem gab es weiter Probleme mit den Handyverbindungen. Auch in Zügen, Häusern, Büros, Schulen und Einkaufszentren sind seit Dienstagabend viele Tausende Menschen eingeschlossen.
Andere suchten auf Dächern von Autos oder Häusern Schutz. Sie wurden am Mittwoch von Tausenden Einsatzkräften des Militärs, des Zivildienstes, der Feuerwehr und der Polizei zum Teil unter Einsatz von Hubschraubern und Booten in Sicherheit gebracht.
Waren die Behörden schuld?
Obwohl das ganze Ausmaß der Tragödie noch nicht bekannt ist und die Such- und Rettungsarbeiten noch länger anhalten werden, hat in Spanien bereits eine Debatte über mögliche Schuldige begonnen. In den Medien und im Internet wurde diskutiert, ob die Behörden die Bürger früher oder besser hätten warnen müssen.
Am Donnerstag soll das Wetter besser werden. Unwetterwarnungen gelten noch für Teile von Andalusien und Extremadura im Westen und für Teile von Katalonien im Nordosten des Landes. Die vorausgesagten Niederschlagsmengen halten sich in Grenzen.
Video: Regenkatastrophe in Spanien
Entsprechende Kritik gab es etwa von mehreren Rathaus-Chefs. Schließlich wisse man, dass das Wetterphänomen der "Dana" oder des "kalten Tropfens" gefährlich sei. Es tritt zu Herbstbeginn, wenn sich die ersten atlantischen Tiefausläufer mit feuchtkalter Luft über das warme Mittelmeer schieben, im Süden und Osten Spaniens häufiger auf.
Die Regionalregierung und auch Experten wiesen die Vorwürfe zurück. Man könne solche "brutalen Folgen" nicht vorhersagen, weil diese von verschiedenen Faktoren abhängig seien, sagte etwa der angesehene Meteorologe Francisco Martín León der Nachrichtenagentur Europa Press. Der Wetterdienst Aemet habe mit Unwetterwarnungen der Stufen drei (Gelb), zwei (Orange) und eins (Rot) ausreichend und rechtzeitig informiert.
"Jeder weiß, was er gut und schlecht gemacht hat", sagte Margarita Robles mit Blick auch auf einen Streit zwischen Innenminister Fernando Grande-Marlaska und dem Regierungschef der Region Valencia, Carlos Mazón. Beide werfen sich gegenseitig vor, für das Warnsystem zuständig gewesen zu sein.
Tatsächlich gingen Warnungen des Zivilschutzes am Dienstag gegen 20.10 Uhr an die Handys aller Menschen in der Region Valencia, wie der staatliche Rundfunksender RTVE rekonstruiert. Dabei habe es aber schon Stunden vorher zu regnen begonnen, merkte die Zeitung "El País" an. Und schrieb weiter: Der Wetterdienst Aemet habe bereits am Dienstagmorgen gegen 7.30 Uhr die höchste Warnstufe ausgerufen, was sehr hohe Gefahr bedeutet.
Zusammenfassung
- Im Südosten Spaniens ist innerhalb eines Tages so viel Regen gefallen wie sonst im ganzen Jahr.
- Sturzfluten rissen Autos und Bäume mit und verwandelten Straßen in reißende Flüsse.
- Es gibt mindestens 158 Tote, die Zahlen könnten aber noch weiter steigen.
- Unterdes starteten die Aufräumarbeiten. Der Frust der Bevölkerung ist groß.
- In den Fokus rückt nun die Frage, ob die Behörden nicht früh genug vor der Gefahr gewarnt haben.