AFP

İmamoğlu-Festnahme

Tränengas, Wasserwerfer: Proteste in der Türkei gehen weiter

Heute, 09:27 · Lesedauer 5 min

Bei Protesten nach der Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu (CHP) ist es in verschiedenen Städten der Türkei erneut zu heftigen Zusammenstößen zwischen Demonstrierenden und Polizei gekommen. Medienberichten zufolge ging die Polizei teilweise mit Tränengas und Wasserwerfern gegen Demonstrierende vor. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan bezeichnete die Demonstrationen "Straßenterror".

Die türkischen Behörden hatten am Mittwoch den wichtigsten politischen Gegner von Präsident Recep Tayyip Erdoğan verhaftet: Ekrem İmamoğlu. Er ist der Oberbürgermeister von Istanbul und Mitglied der sozialdemokratischen CHP.

İmamoğlu wird unter anderem Korruption und Unterstützung einer Terrorgruppe vorgeworfen. CHP-Chef Özgur Özel sprach von einem "Putschversuch" gegen den "nächsten Präsidenten". Der Erdoğan-Kontrahent sollte am Wochenende nämlich zum CHP-Präsidentschaftskandidaten für die Wahlen 2028 nominiert werden. Neben İmamoğlu wurden mehr als hundert weitere Menschen festgenommen, darunter Mitarbeiter des Bürgermeisters, Abgeordnete und CHP-Mitglieder. 

Seither überschlagen sich die Ereignisse im Lande. Es folgen heftige Proteste mit Zusammenstößen zwischen Demonstrierenden und Polizei sowie Social-Media-Einschränkungen.

 "Die Türkei wird sich nicht dem Straßenterror ergeben", sagte Erdoğan. Die Opposition versuche die Ermittlungen als Vorwand zu verwenden, um die Straßen ins "Chaos" zu stürzen. Die CHP verliere "ihren Status als eine Partei, die auf legitimer politischer Grundlage agiert", so der türkische Präsident.

"Tränengas ins Gesicht gesprüht"

Lokalen Medienberichten zufolge gingen in den Großstädten Istanbul, Izmir, Ankara, Eskişehir und weiteren türkischen Städten Tausende Menschen auf die Straße. In der Hauptstadt Ankara schlossen sich auch Parlamentsabgeordnete zu einem Protestmarsch zusammen.

Auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CHP, Ali Mahir Başarır hat eigenen Angaben zufolge bei einem Protestmarsch Tränengas abbekommen. In einer Erklärung auf seinem X-Account wandte sich Başarır an die Polizeieinheiten und schrieb: "Ihr habt mir in die Augen geschaut und mir Tränengas ins Gesicht gesprüht".

"Ich hätte erblinden können", schrieb Başarır.

Bei einer Großdemonstration vor dem Stadtverwaltungsgebäude in Istanbul sagte Özel, niemand solle von der CHP erwarten, Politik in Sälen und Gebäuden zu machen. "Von nun an sind wir auf der Straße."

Medien und Oppositionspolitiker teilten mit, es seien in Ankara Plastikgeschosse gegen Demonstrierende eingesetzt worden. Das Kommunikationsdirektorat der Regierung bezeichnete dies als Falschinformation. Zudem gab Innenminister Ali Yerlikaya auf X bekannt, dass bei den Protesten in Istanbul 16 Polizist:innen verletzt wurden. Eine Angabe zu verletzten Demonstrierenden gab es in dem Posting nicht.

Demonstrationsverbot verhängt

Nach Istanbul verhängten nun auch weitere Städte in der Türkei ein Demonstrationsverbot. In der Hauptstadt Ankara gilt bis einschließlich Dienstag (25. März) für fünf Tage eine Demonstrations- und Versammlungssperre, wie das Gouverneursamt mitteilte. Gleiches teilte auch das Gouverneursamt der Hafenstadt Izmir mit. Nach der Festnahme İmamoğlus wurde bereits für Istanbul bis Sonntag ein Demonstrationsverbot verhängt.

Nach einer Zählung der Nachrichtenagentur AFP sind seit der Festnahme İmamoğlus in mindestens 29 der 81 türkischen Provinzen die Menschen auf die Straße gegangen.

"Gipfel politischer Unvernunft"

Oppositionelle wie auch Beobachter:innen werfen der Regierung vor, mit ihrem Vorgehen gegen İmamoğlu einen politischen Konkurrenten ausschalten zu wollen. Erdoğan tat in seiner ersten Stellungnahme Kritik der Opposition an der Festnahme als übertriebene Reaktion ab.

"Wir haben weder Zeit für sinnlose Debatten zu verschwenden, noch Unmengen an Geld, mit denen wir leichtfertig umgehen können", sagte Erdoğan am Donnerstag in einer Ansprache in Ankara.

Die Regierung weist die Vorwürfe zurück und warnt davor, Erdoğan mit İmamoğlus Festnahme in Verbindung zu bringen. Das sei der "Gipfel politischer Unvernunft", sagte AKP-Sprecher Ömer Celik.

Die Regierung verhängte ein viertägiges Versammlungsverbot und schränkte den Zugang zu einigen sozialen Medien ein. Am Donnerstag sperrte die Polizei in Istanbul Straßen ab und postierte Wasserwerfer in der Nähe der Polizeistation, in der İmamoğlu festgehalten wird.

Verhaftungen wegen Social-Media-Beiträgen

Innenminister Yerlikaya verkündete auf X, dass 54 Personen festgenommen worden seien, weil sie "provokative Social-Media-Beiträge" veröffentlicht hätten, die zu Straftaten und Hass aufgestachelt hätten. Zudem seien 362 Social-Media-Konten identifiziert worden, darunter 72 im Ausland.

Insgesamt seien bis Donnerstag mehr als 18 Millionen Beiträge auf X zu dem Thema veröffentlicht worden. Die Behörden beschlagnahmten auch ein Bauunternehmen, an dem İmamoğlu beteiligt ist, wie die Istanbuler Generalstaatsanwaltschaft mitteilte.

Kritik an İmamoğlu-Festnahme aus Österreich

Das österreichische Außenministerium übte Kritik an der Verhaftung des Oppositionspolitikers. "Wir machen uns große Sorgen über die Inhaftierung des Bürgermeisters von Istanbul, Ekrem Imamoğlu! Respekt vor dem Rechtsstaat und einer starken Zivilgesellschaft sind lebensnotwendig für die Beziehung der Türkei mit Europa!", schrieb das Ministerium am Mittwoch auf seinen Social-Media-Plattformen.

Auch die außenpolitische Sprecherin der SPÖ, Petra Bayr, und SPÖ-Bundesratsfraktionsvorsitzender Stefan Schennach kritisierten die Festnahme von İmamoğlu am Donnerstag in einer Aussendung. "Das ist ein weiterer trauriger Höhepunkt im antidemokratischen Agieren der Türkei unter Präsident Erdogan", wurde mitgeteilt. Die Festnahme kurz vor der Wahl zum Präsidentschaftskandidaten sei "politisch motiviert".

Zusammenfassung
  • Bei Protesten nach der Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu (CHP) ist es in verschiedenen Städten der Türkei zu heftigen Zusammenstößen zwischen Demonstrierenden und Polizei gekommen.
  • Medienberichten zufolge ging die Polizei teilweise mit Tränengas und Wasserwerfern gegen Demonstrierende vor.
  • Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bezeichnete die Demonstrationen "Straßenterror".