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Reform des UN-Sicherheitsrats: "Grundsätzlich alles denkbar"

Sie wurde zuletzt immer wieder eingefordert, sogar von UNO-Generalsekretär Antonio Guterres höchstpersönlich: Eine Reform des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, dessen Zusammensetzung im Grunde noch immer auf der Nachkriegsordnung von 1945 basiert. Österreichs UNO-Botschafter Alexander Marschik ist skeptisch, ob eine weitreichende Reform gelingen kann. Wobei es zuletzt wieder Bewegung in der Sache gegeben habe, wie er vor der UNO-Generaldebatte im APA-Interview erklärte.

Marschik leitet mit seinem Kollegen aus Kuwait, Tareq Al-Banai, seit einem Jahr die entsprechenden Verhandlungen, demnächst soll entschieden werden, ob das Mandat verlängert wird. Dass die Wahl auf diese Länder gefallen sei, liege wohl auch daran, dass sie im Vergleich zu vielen anderen der 193 UNO-Mitgliedsstaaten in dieser Frage keine Eigeninteressen vertreten würden, gab sich Marschik im Vorfeld der für die kommenden Woche in New York angesetzte UNO-Generaldebatte gegenüber der APA überzeugt.

Die Position Österreichs umriss der Botschafter so: "Wir sind absolut für eine Reform und für verschiedene Ansätze offen. Wichtig ist, dass das Ergebnis effektiver ist und das UN-System stärkt." Mit dieser Haltung gebe es auch keine Probleme mit anderen Ländern, womit er als Verhandler eine gute Position habe.

Aktuell besteht der Sicherheitsrat aus fünf ständigen Mitgliedern, nämlich China, Frankreich, Großbritannien, Russland und den USA. Dazu kommen zehn nichtständige Mitglieder. Jedes Jahr wird die Hälfte der nichtständigen Mitglieder durch die UNO-Generalversammlung auf zwei Jahre neu gewählt. Sie werden nach regionalen Gruppen ausgesucht und von der Generalversammlung bestätigt. So wird darauf geachtet, dass von den zehn nichtständigen Mitgliedern drei aus Afrika, zwei aus Asien, zwei aus Lateinamerika eines aus Osteuropa und zwei aus Westeuropa oder der übrigen westlichen Welt (unter anderen Kanada, Australien oder Neuseeland) kommen. Diese nichtständigen Mitglieder treten ihr Amt jeweils zum 1. Jänner eines Jahres an.

Diese Zusammensetzung sei im Grunde - mit einer kleinen Reform Mitte der 1960er Jahre, als die Zahl der nichtständigen Mitglieder von sechs auf zehn erhöht wurde - unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, spiegle aber in der Gegenwart nicht mehr die aktuelle Weltlage wider, wie Marschik betonte. Daher gebe es schon lange - "im Grunde seit den 1970er Jahren" - Bemühungen, den Sicherheitsrat zu reformieren. So seien 2005 zwei unterschiedliche Modelle präsentiert worden, die letztlich beide aber wieder verworfen wurden.

Der aktuelle Prozess laufe auch schon wieder seit 2009, so Marschik. Da es aber zu viele verschiedene Ideen und Modelle gebe, wie das mächtigste Gremium der Welt umgestaltet werden könnte, sei wenig Zuversicht angesagt. "Rational betrachtet" erscheine es eher unwahrscheinlich, dass eine weitreichende, die aktuellen Machtverhältnisse massiv verändernde Reform tatsächlich zustande komme. Das liegt auch daran, dass eine Satzungsänderung die Zustimmung der fünf ständigen Mitglieder braucht. Andererseits ist der Druck auf Reform in den letzten Jahren stark gestiegen und Guterres habe für September 2024 einen "Summit for the Future" geplant, räumte der Diplomat gegenüber der APA ein. Bei diesem Zukunftsgipfel der UNO wäre es wohl angebracht, zumindest konkrete Vorschläge für eine Sicherheitsratsreform am Tisch liegen zu haben.

Offene Fragen gibt es viele. Etwa, ob das Vetorecht der ständigen Mitglieder in seiner heutigen Form noch vertretbar ist. Zuletzt war darüber wieder eine Diskussion entbrannt, weil Russland auf diese Weise eine Verurteilung des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine verhindern konnte. Ein theoretisches Modell könnte sein, dass es gar kein Recht auf Veto mehr gibt. Oder zumindest zwei Mitglieder ein solches einlegen müssen, damit es schlagend wird. Angedacht wurden auch Varianten, wonach gewisse Themen wie Genozide oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit von Vetooptionen ausgenommen sind, oder Mitgliedern das Recht dazu vorübergehend entzogen wird, wenn über Angelegenheiten abgestimmt wird, in die sie selbst involviert sind.

Dass Russland sein Vetorecht freiwillig abgegeben würde, gilt als ausgeschlossen. Wie sieht es aber bei Frankreich und Großbritannien aus? Der in New York stationierte Marschik zeigt sich nicht restlos überzeugt. Beide Länder würden zwar stets darauf verweisen, dass sie selbst seit bald 35 Jahren das Vetorecht ohnehin nicht mehr in Anspruch genommen haben. Letztlich bedeute aber auch für diese Staaten "aus dem Blickwinkel der Power Politics" jede Veränderung oder Erweiterung des Sicherheitsrats einen relativen Machtverlust, gibt der UNO-Botschafter zu bedenken.

Neben einer Aufstockung des Sicherheitsrats - als Kandidaten haben sich etwa Brasilien, Deutschland, Indien oder Japan ins Spiel gebracht - wurde auch schon vor Jahren vorgeschlagen, etwa der EU einen Sitz zu geben. Das stößt aber bei mehreren, auch europäischen, Staaten nicht nur auf Gegenliebe und ist laut Marschik derzeit kaum eine Option mit Erfolgschancen. Eine weitere Idee wäre, die Zahl der nichtständigen Mitglieder zu erhöhen. Das könnte freilich wiederum die Effizienz des Rats beeinträchtigen.

Eines ist Alexander Marschik zufolge aber allen klar, nämlich dass die aktuelle Situation nicht mehr zeitgemäß ist. Insbesondere der "globale Süden" verliere die Geduld, analysierte der Diplomat im APA-Gespräch. "Es hat sich eine wachsende Frustration des Südens gegen den Westen aufgestaut." Afrikanische Länder seien massiv unzufrieden. "Der Süden sagt inzwischen sehr deutlich: Ihr habt euch nach dem Zweiten Weltkrieg ein System aufgebaut, das euch bevorteilt und wir sind arm geblieben. Und selbst wenn es die Weltbank gibt oder die UNO, ist es dieses System, dass uns weiter arm und machtlos hält."

Daher müsse Afrika in Zukunft wohl im Sicherheitsrat vertreten sein. Aber auch hier stelle sich die Frage, wie? Dass die Afrikanische Union als Vertreter des Kontinents einziehe, sei wenig realistisch. Zur Debatte stehe eher, dass zusätzlich zwei afrikanische Staaten als neue ständige Mitglieder vertreten werden sollen. Aber welche? Und mit oder ohne Veto-Recht? Selbst wenn solche Fragen nicht so leicht zu klären sein dürften, sei ein prinzipieller Konsens trotz allem denkbar, glaubt Marschik. So habe US-Präsident Joe Biden schon erklärt, dass Afrika ein Sicherheitsratssitz zustehe. Daraufhin hätten sich auch die anderen ständigen Mitglieder ähnlich geäußert und sich für "sinnvolle Reformen" offen gezeigt.

Um diese voranzutreiben seien in den von Österreich und Kuwait geleiteten Gremien zuletzt durchaus innovative Wege beschritten worden, freute sich Marschik. "Wir haben allerlei neue Sachen initiiert, um die Verhandlungen zu beschleunigen und zu vereinfachen. Wir haben auch ein Open House Format eingeführt und auch NGOs oder Think Tanks eingeladen. Sie sollen mitdiskutieren und Ideen beitragen." Ob sich bis zum "Summit for the Future" Lösungen abzeichnen könnten, steht indes noch in den Sternen. Das Feld der Möglichkeiten ist denkbar groß, die aktuelle Unsicherheit und Unberechenbarkeit in den internationalen Beziehungen ebenso. Marschik: "Also grundsätzlich ist alles denkbar."

Österreich wird bei der am Dienstag beginnenden Generaldebatte im Rahmen der 78. Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) vertreten sein. Van der Bellen und Schallenberg werden in New York zahlreiche bilaterale Gespräche absolvieren und am Mittwoch auch ein gemeinsames Treffen mit UNO-Generalsekretär Guterres wahrnehmen. Schwerpunkte sind dabei neben aktuellen Themen wie dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine unter anderen die Bereiche Klimaschutz und Nachhaltigkeit.

(Das Gespräch führte Edgar Schütz/APA)

ribbon Zusammenfassung
  • Österreichs UNO-Botschafter Alexander Marschik ist skeptisch, ob eine weitreichende Reform gelingen kann.
  • So habe US-Präsident Joe Biden schon erklärt, dass Afrika ein Sicherheitsratssitz zustehe.