Hochwasser, Renaturierung - Widersprüche bei der ÖVP?
Nach dem verheerenden Hochwasser in Niederösterreich, bei dem fünf Menschen starben und zahlreiche ihr Hab und Gut verloren, wird nun über die für viele doch abstrakten Begriffe wie Bodenversiegelung und Renaturierung diskutiert.
Die Begriffe kurz erklärt:
- Bodenversiegelung meint, dass der Boden luft- und wasserdicht abgedeckt wird, wodurch Wasser nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen versickern kann, was Hochwasser wahrscheinlicher macht. Das ist etwa wegen Gebäuden, Straßen oder Parkplätzen der Fall.
- Renaturierung bedeutet, dass Ökosysteme wieder in einen naturnahen Zustand gebracht werden, nachdem sie geschädigt oder zerstört wurden. Dabei geht es etwa auch um Böden, die bei intensiver Nutzung weniger Wasser aufnehmen können oder Flüsse, die in Becken gezwängt leichter übergehen.
Nach dem verheerenden Hochwasser werden nun Fragen laut, ob denn in Österreich zu wenig für Renaturierung oder gegen Bodenversiegelung unternommen wurde.
Auf ein Bodenschutzgesetz konnte sich die aktuelle Regierung nicht mehr einigen - vor allem wegen Widerstands aus der Landwirtschaft.
Dem EU-Renaturierungsgesetz stimmte Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) trotz massiven Widerstands der ÖVP- vor allem des Landwirtschaftsministeriums von Minister Norbert Totschnig - zu. Sie wurde deshalb von der ÖVP angezeigt, doch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sah keinen Anfangsverdacht und stellte das Verfahren ein.
Renaturierung: Muss Hochwasserschutz abgebaut werden?
Dennoch sagte Staatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) in einem PULS 24 Interview, dass Gewessler mit ihrem "Alleingang in Brüssel" sich "über den Rechtsstaat gestellt" habe.
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Außerdem meinte sie, dass es bezüglich des Renaturierungsgesetzes "ein Fragezeichen" gebe, "wie das auch puncto Hochwasserschutz auszulegen ist, weil das strenggenommen auch eine Baumaßnahme ist, die gerade an Flüssen, an Bächen auch vorgenommen wurde die letzten Jahrzehnte und sowas wollen wir selbstverständlich nicht rückbauen".
Plakolm über Hochwasser und Klimaschutz
Aber was sieht das Gesetz wirklich vor? Tatsächlich heißt es in der 245 Seiten fassenden finalen Fassung, "die Wiederherstellung von Süßwasserökosystemen sollte Anstrengungen zur Wiederherstellung der natürlichen Vernetzung von Flüssen und ihrer Uferbereiche und Auen umfassen, und zwar unter anderem durch die Beseitigung künstlicher Hindernisse".
Es heißt dort allerdings auch: "Bei der Beseitigung von künstlichen Hindernissen gehen die Mitgliedstaaten prioritär obsolete Hindernisse an, d. h. solche, die nicht länger zur Erzeugung erneuerbarer Energie, für die Binnenschifffahrt, für die Wasserversorgung, für den Hochwasserschutz oder für andere Zwecke benötigt werden".
"Nein, das stimmt überhaupt nicht"
Ziel sei es, in ganz Europa 25.000 Kilometer frei fließende Flüsse zu schaffen. Dabei sollten die Mitgliedsstaaten Forschungsergebnisse berücksichtigen. Einer, der in Österreich erforscht, welche Flussläufe man renaturieren kann und welche Hindernisse man entfernen könnte, ist der Gewässerökologe Clemens Gumpinger. Im Gespräch mit PULS 24 sagt er über die Aussage von Staatssekretärin Plakolm: "Nein, das stimmt überhaupt nicht". Es gehe im Renaturierungsgesetz explizit um "unnötige" Bauten.
Die genauen Kriterien werden erst erarbeitet, es werde aber beispielsweise um 30.000 "Querbauwerke" in Flüssen gehen, sagt Gumpinger. Das seien etwa "Rampen", die gebaut wurden, weil Flüsse begradigt wurden und sie dadurch steiler nach unten fließen würden. Werden die Flüsse renaturiert, bekommen sie wieder mehr Kurven, würden weniger steil fließen und bräuchten die "Rampen" nicht mehr.
Renaturierung ist Hochwasserschutz
Der Gewässerökologe merkt aber auch an, dass es schon sein könnte, dass wegen Renaturierungsmaßnahmen Hochwasserschutz abgebaut wird. Das sei etwa auch am Kamp schon der Fall gewesen, weil Renaturierung eben selbst Hochwasserschutz sein kann. Bekommen Flüsse mehr Platz oder Flächen, die geflutet werden können ohne Schaden anzurichten, brauche es weniger Schutzbauten. Wenn das landwirtschaftliche Fläche betreffe, werden die Gründe vorher abgekauft, oder Landwirt:innen entschädigt, so Gumpinger.
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Solche Renaturierungsmaßnahmen wurden am Mittwoch selbst von Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) in einer Aussendung gelobt: "Renaturierung ist im Wasserbau bereits seit einem Vierteljahrhundert gelebte Praxis. Wir handeln stets nach dem Grundsatz: Natur wo möglich und Dämme wo nötig. Etwa durch die Anbindung von natürlichen Überschwemmungsflächen wie Auen geben wir dem Wasser seinen Platz zurück".
Es sind aber nicht nur die Renaturierungen, die nun für Debatten sorgen. Bundeskanzler Karl Nehammer und Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner nannten am Dienstag Zahlen zur Bodenversiegelung bzw. Verbauung in Niederösterreich, die in den sozialen Netzwerken breit diskutiert werden. So werden die Zahlen etwa auch von Daniel Kosak, einem Pressesprecher Nehammers, auf "X" verteidigt.
https://twitter.com/kosak_daniel/status/1836367879668629737?s=46
Konkret hatte der Bundeskanzler am Rande einer Pressekonferenz gesagt: "96 Prozent der Flächen in Niederösterreich sind nicht verbaut und trotzdem haben sie jetzt gerade gesehen, welchen Druck das Wasser aufbauen kann". Landeshauptfrau Mikl-Leitner sagte in der "ZiB2", dass "94 Prozent der Landesflächen nicht verbaut sind", wollte über Bodenversiegelung aber eigentlich nicht sprechen: "Das kann man Menschen, die derart verzweifelt sind, jetzt nicht erzählen".
Maurer "fassungslos" über ÖVP-Aussagen
Eines vorweg: Die Zahlen stimmen auf das ganze Bundesland gerechnet grundsätzlich. Laut Daten der Österreichischen Raumordnungskonferenz (ÖROK) gelten in Niederösterreich 8,5 Prozent als "Flächeninanspruchnahme" - also Flächen, die durch menschliche Eingriffe für Siedlungs-, Verkehrs-, Freizeit-, Erholungs- und Ver- sowie Entsorgungszwecke verändert und/oder bebaut sind. Davon sind durchschnittlich rund 52 Prozent versiegelt, also wasser- und luftundurchlässig. Pro Einwohner werden in Niederösterreich 960m2 in Anspruch genommen, im bundesweiten Durchschnitt sind es 629m2.
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Aber: Laut Arthur Kanonier, Forschungsbereichsleiter für Bodenpolitik und Bodenmanagement an der TU Wien, hätten diese Zahlen ohnehin nur eine begrenzte Aussagekraft. Ein Blick nur auf die quantitative Dimension greife zu kurz. Dass auf der Rax, am Schneeberg oder im Waldviertel wenig versiegelt sei, sei naheliegend. Man müsse sich viel mehr genau anschauen, wo und was und vor allem wann gebaut wurde.
Neue Töne bei der ÖVP?
Kanonier spricht nicht nur die Versiegelung an, sondern möchte auch untersucht wissen, ob Häuser gebaut wurden, wo sie nicht stehen dürften. Die "sehr strenge" niederösterreichische Raumordnung erlaube es etwa nicht in HQ-100-Zonen, wo also statistisch alle 100 Jahre ein Hochwasser stattfinde, Bauland zu widmen. Sei dort in den letzten 10 Jahren gebaut worden, könne es sogar "Haftungsfragen" geben, so Kanonier. Denn Flächenwidmungen werden auch vom Land abgesegnet.
Hochwasser-Auswirkungen auf die Nationalratswahl?
Bei der Verbauung schlug Claudia Plakolm im PULS 24 Interview aber überraschend neue Töne an: Klar sei, "dass Klima- und Umweltschutz auf der Tagesordnung stehen muss", sagte sie. Dabei könne man sich "nach der Decke strecken" und "besser werden".
Sie sei froh, dass die "Jahrzehnte der Zersiedelung" vorbei seien und dass man eine "klare Abgrenzung" ziehen müsse, "dass man nicht frisch in die grüne Wiese bauen kann". "Ich glaube, jeder hat die Nase voll von den unzähligen Kreisverkehren, wo links und rechts dann noch ein Supermarkt mit riesen Parkplatz dann noch entsteht", sagte sie.
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Zusammenfassung
- Staatssekretärin Claudia Plakolm meinte im PULS 24 Interview, dass das Renaturierungsgesetz den Abbau von Hochwasserschutz vorsehe.
- Bundeskanzler Karl Nehammer und Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner sagten, dass 96 bzw. 94 Prozent der Fläche in Niederösterreich nicht verbaut seien.
- Die Grüne Klubchefin Sigrid Maurer zeigte sich "fassungslos".
- PULS 24 hat recherchiert, was dran ist.