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Corona-Aufarbeitung: "Wo gearbeitet wird, passieren Fehler"

Die Regierung hat ihre Aufarbeitung der Corona-Pandemie abgeschlossen. Am Donnerstag räumte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) vor Journalisten Fehler ein.

Aus dem von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) federführend betreuten Projekt, das Studien und einen Dialogprozess mit der Bevölkerung umfasste, werden Maßnahmen abgeleitet - etwa eine strukturierte Etablierung von Krisenkommunikation. Empfehlungen gibt es auch für Wissenschaft, Medien und Bevölkerung.

"Dort wo gearbeitet wird, passieren Fehler", meinte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP). Ziel sei immer gewesen, Menschenleben zu retten. Das entschuldige nicht die Fehler, es erkläre sie aber. Es sei wichtig, die Fehler aufzuarbeiten und daraus zu lernen. Nehammer bedankte sich bei den Ärzt:innen und dem Pflegepersonal.

Was ist richtig gelaufen?

Es sei richtig gewesen, "das wir alles unternommen haben, um so viele Menschenleben wie möglich zu retten", so Nehammer. Man habe "alles getan, um die Intensivstationen vor dem Kollaps zu bewahren". Richtig sei es auch gewesen, "alles dafür zu tun, dass die kritische Infrastruktur in unserem Land nicht zusammengebrochen ist."

Mit dem Wissen von heute würde man jedoch vieles anders machen.

Was lief falsch?

Mit dem Wissen von heute würden politische Verantwortliche ihre Worte an die Öffentlichkeit mit mehr Bedacht wählen. Es dürfe kein "Wir gegen die, die gegen uns" mehr entstehen. Ein Teil der Bevölkerung stehe hinter den Maßnahmen, ein anderer Teil nicht. Beide Seiten müssten mitbedacht werden.

Geht es um das Thema Transparenz, nennt Nehammer als negatives Beispiel die Impfpflicht. Diese wurde zuerst verneint, dann erlassen und trat schließlich doch nicht in Kraft.

Aus dem Bericht gebe es nun wichtige Schlussfolgerungen. Die Resilienz müsse etwa gegenüber Krisen erhöht werden. So weist man auf das Bundeskrisensicherheitsgesetz hin, das bereits im Sommer beschlossen worden ist und ein Bundes-Krisensicherheitskabinett vorsieht. Noch etabliert werden soll ein Konzept für Krisenkommunikation, die regelmäßig und krisenunabhängig stattfinden soll. 

Um die Wissenschaftsskepsis zu bekämpfen, müsse die Krisenberichterstattung so breit und transparent wie möglich geschehen. Auch müssten die Gesundheitsberufe attraktiver gemacht werden, um in einer Belastungssituation genug Fachkräfte zu haben. 

Blick möglichst schnell weiten

Studienleiter Alexander Bogner von der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) lobte die Politik: Diese habe dafür gesorgt, dass die Wissenschaft unabhängig arbeiten kann. Es gehe bei der Analyse nicht darum, der Bundesregierung Schulnoten zu geben oder um die Maßnahmen zu evaluieren. Es gehe darum, für künftige Krisen zu lernen.

Akute Krisen würden ein anderes Handeln erfordern, als chronische Krisen, meint Bogner. Denn: "Akute Krisen verwandeln pluralistische Gesellschaften in Schicksalgemeinschaften." Am Anfang, im ersten Schockmoment, herrsche in der Gesellschaft Solidarität und Zusammenhalt. Die Krise erscheine als "rein virologisches Problem" – mit der Zeit ebbe die Solidarität aber ab und die Wissenschaftsskepsis nehme zu.  Ab dem Herbst 2020 habe sich Österreich in einer chronischen Krise befunden.

Lehre: In künftigen Krisen solle man den anfänglich engen Blick möglichst schnell wieder weiten und überdenken, so Bogner. Ansonsten sei die Politik mit eingeschränktem Handlungsspielraum konfrontiert.

Impfpflicht: Regierung wählte "Alternativlosigkeit"

Außerdem sei es "in langwierigen Krisen wichtig, Zielkonflikte offen auszutragen", meint der Studienleiter. Bei der Impflicht habe das nicht funktioniert. Die Politik habe stattdessen das Thema der "Alternativlosigkeit" gewählt.

Bei der Impfpflicht hätte die Debatte in der Öffentlichkeit stattfinden sollen, zum Beispiel in Begleitung einer Ethikkommission, so Bogner. Da die Debatte um die Impfpflicht hier erst im Nachhinein stattgefunden habe, habe die Bevölkerung kaum Verständnis für den Entscheidungsprozess gehabt. Dadurch hätten sich die Fronten verhärtet, die kommunikative Alternativlosigkeit hätte radikale Gegner befeuert.

Medien, Politik, Wissenschaft: Klare Grenzen setzen

Außerdem käme es in Krisenzeitung zu einer Kopplung von Medien, Politik und Wissenschaft. Es entstehe Unbehagen, die Systeme seien miteinander verflochten. Deshalb müsse man in Krisen besonders darauf achten, klare Grenzen zu setzen.

Außerdem sollten Medien konstruktiven Journalismus betreiben und auch in Krisenzeiten "handlungs- und lösungsorientiert" sein. So sollte man nicht ausschließlich Extreme aufzeigen und Ängste schüren. Medien sollten eine "Dialogfunktion" erfüllen, diverse Perspektiven einbeziehen und "politische Unabhängigkeit wahren".

"Gesellschaft in dramatischem Maß gespalten"

Die Pandemie habe die Gesellschaft in einem dramatischen Maß gespalten, meint Medizinerin Katharina Reich, die Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) vertrat. Die Pandemie habe besonders die Gesundheitsberufe stark gefordert, man versuche nun bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Außerdem müsste der Zugang zu Gesundheitsdaten verbessert werden. Man sei dabei, eine Sekundärdatennutzung für die Wissenschaft auf die Beine zu stellen.

Derzeit befinde sich Österreich in "der größten Corona-Welle bisher", so Reich. Eine Überlastung des Gesundheitssystems sei aber noch weit entfernt. Man habe ein Dashboard über die akuten Spitalsaufnahmen, betreibe das Abwasser-Monitoring und beobachte das internationale epidemiologische Geschehen.

 Das neue Epidemiegesetz sei kurz vor der Fertigstellung und enthalte neue Learnings. 

"Mehr Zeit für ausführlichere Kommunikation"

"Wissenschaft und Forschung bilden den Grundstein für unsere demokratische Gesellschaft", meint Bildungsminister Martin Polaschek. In der Pandemie habe man weltweit unter Hochdruck geforscht, die Einschätzungen und Empfehlungen hätten sich rasch verändert.

Die damals geltenden wissenschaftlichen Erkenntnisse seien die Basis für die Schulschließungen gewesen. Es wäre damals verheerend gewesen, nicht zu handeln. Mit dem heutigen Wissen würde man jedoch vieles anders machen. Man hätte sich mehr Zeit für ausführlichere Kommunikation genommen, damit Betroffene mehr Verständnis für die Schließungen haben.

Verständnis von und Neugier auf Wissenschaft seien bereits in der Schule zu stärken, um die herrschende Skepsis zu bekämpfen, so Polaschek. Dabei sollen Wissenschaftsbotschafter:innen in Schulen helfen, eine Ursachensuche für die Wissenschaftsskepsis habe er bereits in Auftrag gegeben, so der Bildungsminister.

ribbon Zusammenfassung
  • Die Regierung hat ihre Aufarbeitung der Corona-Pandemie abgeschlossen.
  • Am Donnerstag räumte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) vor Journalisten Fehler ein.
  • Aus dem von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) federführend betreuten Projekt, das Studien und einen Dialogprozess mit der Bevölkerung umfasste, werden Maßnahmen abgeleitet - etwa eine strukturierte Etablierung von Krisenkommunikation.
  • Empfehlungen gibt es auch für Wissenschaft, Medien und Bevölkerung.