Wald bis Wall Street: MAK widmet sich der Protestarchitektur
Die Ausstellung sehe in Wien nun ganz anders aus als in Frankfurt, meinte DAM-Direktor Peter Cachola Schmal bei der heutigen Presseführung - was nicht zuletzt auf die weite und helle MAK-Ausstellungshalle und die Ausstellungsgestaltung von Something Fantastic zurückzuführen ist, die Einbauten, Möbel und Gitterwände aus vorhandenen Ausstellungsmaterialien verwendet und damit auf den temporären Charakter der gezeigten Protestarchitektur verweist. In Deutschland sei die Aufnahme der Schau mitunter von Missverständnissen getragen gewesen, berichtete Cachola Schmal. "Es handelt sich aber nicht um eine Ausstellung, die die Inhalte der Proteste unterstützt. Protest per se ist nicht gut und nicht böse, nicht links und nicht rechts. Wir sind gespannt, welche Diskussionen die Ausstellung in Wien auslösen wird."
In die rund zwei Jahrhunderte zurückreichende Zeitleiste haben es aus Österreich die 1848er-Revolution mit ihren Barrikaden, die Anti-Zwentendorf-Proteste 1978 mit einem brennenden "Nein"-Bergfeuer bei Innsbruck, das Protestcamp in der Hainburger Au 1984 und die Lobau-Proteste 2021/22 geschafft, die auch eine der 13 ausführlichen "Case Studies" sind. Während die Holz-Stroh-Pyramide aus der Lobau u.a. mit einem Modell und dem witzigen Kurzfilm von Christoph Schwarz, der den Zeitablauf umdreht und den Abriss zum Aufbau ökologischer Stadtrandsiedlungen unter massiven Polizeischutz und Protesten der "Betonkinder" uminterpretiert, vertreten ist, fehlen Exponate aus Hainburg. Die dortigen Protestformen seien für die Auswahl architektonisch zu wenig prägend gewesen, erklärte MAK-Kurator Sebastian Hackenschmidt im Gespräch mit der APA.
Eindrucksvollstes Exponat der sonst mit vielen Modellen arbeitenden Ausstellung ist eine Y-förmige Hängebrücke mit drei Armen von jeweils vier Metern Länge, die von 2018 bis Mai 2023 in ca. 16 Metern Höhe im Hambacher Wald in Nordrhein-Westfalen aufgebaut wurde, dessen Rodung für den Braunkohlenabbau von Aktivistinnen und Aktivisten verhindert wurde. Sie zählte einerseits zu den in luftiger Höhe zwischen den Baumhäusern installierten Kommunikationswegen, aber auch zur "Verzögerungsarchitektur", die eine Räumung durch die Polizei solange wie möglich behindern sollte. Wurden Bauten oder Strukturen in über 2,5 Metern Höhe errichtet, musste die Polizei mit Spezialkräften anrücken, um sich und die Aktivisten nicht zu gefährden, erklärte Projektleiter und DAM-Kurator Oliver Elser. Architektur spielte übrigens auch bei der Argumentation für die Notwendigkeit der Räumung eine Rolle: Laut Polizei gab es im Camp nicht genehmigte Bauten, die auch Feuerstellen enthielten und dadurch dringende Brandgefahr bedeuteten.
Die ausgebreiteten Objekte einer weihnachtlichen Wunschliste von Aktivisten, die in Lützerath in der Nähe von Hambach ein weiteres Protestcamp errichtet hatten, und gleichsam ein "Werkzeugkasten der Protestarchitektur" sind ebenso zu sehen wie eine über fünf Meter hohe "Tensegrity"-Struktur aus Wien, die in ihrer Kombination aus Bambusstäben und Seilen als Vorrichtung zum Anketten für Aktivisten schnell aufgebaut, aber schwer geräumt werden können. Nicht nur weitere Stationen, die etwa vom Tahrir-Platz in Kairo, der Occupy Wall Street-Bewegung, den Majdan-Protesten in Kiew, Farmer-Straßenblockaden in Delhi oder dem Umbrella-Movement in Hongkong erzählen, sondern auch ein 16-minütiger Film von Oliver Hardt mit Aufnahmen aus acht unterschiedlichen Protestcamps, weitet die Perspektive. Der Film ist nicht nur auf einem großen Screen in der Ausstellung, sondern auch auf dem YouTube-Kanal des DAM (https://youtu.be/Zxgqs9q59s8) zu sehen. Der umfangreiche Katalog bietet in Form eines Lexikons vielfältige Hintergrund-Informationen, von 1830 bis 2023, von A wie Abschütten bis Z wie Zwentendorf.
(S E R V I C E - "PROTEST/ARCHITEKTUR. Barrikaden, Camps, Sekundenkleber", eine Ausstellung des DAM - Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt am Main, und des MAK - Museum für angewandte Kunst, Wien, in der MAK Ausstellungshalle im Obergeschoß, Wien 1, Stubenring 5, Eröffnung heute, Dienstag, 19 Uhr. 14.2. bis 25.8., Di 10-21 Uhr, Mi bis So 10-18 Uhr. Publikation, erschienen bei Park Books, 528 Seiten, ISBN 978-3-03860-334-4, 19 Euro, Rahmenprogramm: www.MAK.at/protestarchitektur)
Zusammenfassung
- Die Ausstellung 'PROTEST/ARCHITEKTUR. Barrikaden, Camps, Sekundenkleber' im MAK veranschaulicht die Architektur von Protestbewegungen und ist vom 14.2. bis 25.8. geöffnet.
- Mit 13 detaillierten 'Case Studies' beleuchtet sie sowohl historische als auch aktuelle österreichische Proteste, darunter die 1848er-Revolution und die Lobau-Proteste 2021/22.
- Ein begleitender Katalog mit 528 Seiten und ein 16-minütiger Film, verfügbar auf dem YouTube-Kanal des DAM, erweitern die neutrale Darstellung der Protestthemen.