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Teichtmeister: "Der Selbstmörder" beleuchtet Abgründe

Am Freitag steht Florian Teichtmeister im Burgtheater in der Premiere von Nikolai Erdmans "Der Selbstmörder" auf der Bühne. In der vom Regieduo Peter Jordan und Leonhard Koppelmann inszenierten Produktion spielt er den arbeitslosen Kleinbürger Semjon, der sich angeblich umbringen will, woraufhin ihn andere für ihre Interessen ausnutzen wollen. Mit der APA sprach er über die Kraft von Komödien, Isolation durch Arbeitslosigkeit und Eskalation von Gewalt in Krisensituationen.

APA: Sie sind zu Beginn der Direktion von Martin Kusej vom Theater in der Josefstadt ans Burgtheater gewechselt - nach wenigen Monaten kam Corona. Wie haben Sie diese zwei Jahre erlebt?

Florian Teichtmeister: Der Wechsel war nicht so abrupt, wie man meinen möchte, weil ich zuvor die Möglichkeit hatte, an beiden Häusern parallel zu spielen. Dadurch hat sich das im positivsten Sinn verschliffen. Was die Auswahl der Stücke betrifft, kommen sich die beiden Häuser ja nicht in die Quere. Obwohl: Was die künstlerische Positionierung der Josefstadt betrifft, hat sich in den vergangenen Jahren sehr viel geändert. Da ist der Weg ans Burgtheater dann gar nicht mehr so weit. Aber es ist doch ein merklicher Unterschied, was sowohl die Größe des Hauses als auch die des Ensembles und des Teams betrifft. Darauf war ich sehr neugierig und habe mich sehr auf Begegnungen gefreut, wie etwa jetzt zum Beispiel mit Frank Castorf. Da war ich gespannt, ob ich hier die Pfeile im Köcher habe, um treffen zu können oder nicht.

APA: Erdmans "Selbstmörder" ist genauso eine Komödie wie zuletzt "Moskitos" im Akademietheater, wobei jeweils sehr ernste Themen verhandelt werden. Glauben Sie, dass die Häuser nach Corona künftig anders programmieren müssen, um das krisengeschüttelte Publikum wieder ins Haus zu bekommen? Will man wieder mehr lachen am Theater?

Teichtmeister: Viel mehr als die Frage, ob man nun mehr Komödien spielen soll, wiegt die Auswahl der Themen. Was bedeutet Vereinsamung? Was macht die Spaltung aus uns? Und das Lachen ist ja überhaupt nicht despektierlich zu sehen, sondern ein Kniff, um das Herz zu öffnen und eine Botschaft sickern zu lassen, die mit verschränkten Armen und gerunzelter Stirn vielleicht nicht ankäme.

APA: Auch beim "Selbstmörder" gibt es bei aller Dramatik des Geschehens viel zu lachen. Was schätzen Sie an dem Stück?

Teichtmeister: Ehrlich gesagt wundere ich mich, dass dieses Stück auf keinem Spielplan auftaucht. Die Qualität des Humors darin erinnert mich ganz salopp gesagt an Monty Python. Es hat eine absurde Komik in einer Situation, wo sich angeblich jemand umbringen will und andere diesen Selbstmord für ihre eigenen Interessen ausnutzen wollen. Das ist so scharf gedacht. Das kenne ich eigentlich nur als britische Frechheit, dabei ist es russisch. Aber wahrscheinlich ist das sehr universell.

APA: Die Hauptfigur des Semjon zerbricht an seiner Arbeitslosigkeit, die er mit Nutzlosigkeit gleichsetzt. Wie haben Sie sich die Rolle angeeignet?

Teichtmeister: Da gibt es schon einen Widerhall zu dem Moment in der Coronazeit, als die Theater geschlossen waren und es niemandem, der politisch Verantwortung trägt, ein Wort wert war, zu sagen, wie es weitergeht. Da gab es eine Phase, wo man das Theater schlicht und einfach vergessen zu haben schien. Das war ein Moment, an dem ich mich damit auseinandersetzen musste, dass die eigene Wichtigkeit beschränkt ist. Das hat mich persönlich nicht besonders gekränkt, aber es war aber interessant weiterzudenken, was wäre, wenn ich das Theater nicht mehr hätte. Wenn ich meinen Beruf nicht ausüben dürfte. Das Schauspielen ist ja kein orchideenhaftes Hobby, für das ich Geld nehme. Das ist mein erlernter Beruf. Also habe ich mich gefragt: Was habe ich an der Hand, um Geld zu verdienen? Da findet die Figur des Semjon einen Widerhall. Nur weil man mich nicht braucht, kann man mit mir aber nicht machen, was man will.

APA: Das Stück ist über 90 Jahre alt, aber die Dynamiken scheinen zeitlos. Wie stellen Sie den Bezug zur Gegenwart her?

Teichtmeister: Ich denke es passiert im Rezipienten von selbst, das Moderne im Zeitlosen zu finden. Das ist als Schauspieler gar nicht meine Aufgabe. Für mich steht das Ernstnehmen der Figur an erster Stelle. Mir geht es um die Verführbarkeit, die Eitelkeit und vielleicht ein bisschen die Dummheit der Figur. Zu spüren, wie jemand, der sich nicht gebraucht fühlt, plötzlich gewollt wird und jegliche Selbstreflexion verliert.

APA: Ganz am Anfang des Stücks steht eine Situation zwischen Semjon und seiner Ehefrau, wo aus finanziellen Abhängigkeiten plötzlich große Aggression entsteht. Auch ein zeitloses Motiv.

Teichtmeister: Das wird im Regiekonzept sogar noch zugespitzt, das wird noch ein wenig brutaler. Aber im Großen und Ganzen ist das die Dummheit der Figur, die ich meine. Aus der Verletzung heraus eitel zu sein, mag nachvollziehbar sein, ist aber keine Entschuldigung. Die Absurdität, dass die Figur einen dummdreisten Schritt macht, wenn ihre eigene Argumentation an ein Ende kommt, sich alles in Aggression und Erpressung entlädt, das ist wahnsinnig heutig. Man denke nur an Social Media, wo der Schritt zur Beleidigung nicht weit ist, wenn das Argument nicht mehr stichhaltig ist.

APA: Sie haben das Regiekonzept angesprochen. Was ist anders, wenn es gleich zwei Regisseure gibt?

Teichtmeister: Das Duo ist eins. Das haben sie uns von Anfang an versprochen, weil es in der Tat ungewöhnlich ist, zwei Verantwortliche zu haben. Die beiden haben für sich aber eine klare Arbeitsweise gefunden. Peter Jordan, der selbst Schauspieler ist, versteht sehr schnell, in welcher Phase sich Schauspieler befinden, während Leo Koppelmann das Konzeptuelle übernimmt. Es ist bewundernswert, wie sie das machen.

APA: Und wie kann man sich den zugespitzten Zugriff vorstellen?

Teichtmeister: Das hat mit dem Raum zu tun, in den man diese Gesellschaft versetzt. Und diese Gesellschaft ist eine unterirdische. Sie hat zu tun mit Abgründen, Schmutz, Armut und mit Brutalität, in der der Slapstick schon gar nicht mehr zum Totlachen ist. Daraus speist sich sehr viel. Dass wir ein kleines Ensemble sind und viele Kollegen mehrere Rollen spielen, gibt einen Hinweis auf die Spielweise, in der ganz viel durch Behauptung funktioniert. Es hat viel mit Frechheit zu tun, mit dem Thema Tod so humorvoll umzugehen und es auf die Spitze zu treiben. Ein Stück, in dem die Requisitenliste Kränze und einen Sarg beinhaltet, das interessiert mich mal per se. Wenn dann auch drauf steht, es ist eine Komödie, will ich mir anschauen, wie sich das ausgeht. Für mich ist der größte Humor da zu Hause, wo es dann wirklich eng wird.

ZUR PERSON: Florian Teichtmeister wurde 1979 in Wien geboren. Bereits während seines Studiums am Max Reinhardt Seminar spielte er an zahlreichen Bühnen sowie in Film- und Fernsehproduktionen. Ab 2005 war er Ensemblemitglied am Theater in der Josefstadt, seit 2019 ist er Ensemblemitglied am Burgtheater. Dort steht er derzeit u.a. in Frank Castorfs Inszenierung von Peter Handkes "Zdenĕk Adamec" auf der Bühne. Vor der Kamera stand er zuletzt u.a. für die ORF/ZDF-Krimireihe "Die Toten von Salzburg".

(S E R V I C E - "Der Selbstmörder" von Nikolai Erdman am Burgtheater. Regie: Peter Jordan und Leonhard Koppelmann, Bühne und Kostüme: Michael Sieberock-Serafimowitsch. Mit Florian Teichtmeister, Katharina Pichler, Lilith Hässle, Tim Werths, Markus Hering, Dietmar König, Alexandra Henkel und Bardo Böhlefeld. Premiere am 29. Oktober, 19 Uhr. Weitere Termine: 2., 13., 17. und 29. November. Infos und Karten unter Tel. (01) 51444 4545 bzw. www.burgtheater.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Am Freitag steht Florian Teichtmeister im Burgtheater in der Premiere von Nikolai Erdmans "Der Selbstmörder" auf der Bühne.
  • In der vom Regieduo Peter Jordan und Leonhard Koppelmann inszenierten Produktion spielt er den arbeitslosen Kleinbürger Semjon, der sich angeblich umbringen will, woraufhin ihn andere für ihre Interessen ausnutzen wollen.