Sofia Andruchowytsch schließt ihr Ukraine-Epos ab
Schon eingangs werden Fäden aufgenommen, die im ersten Band ausgelegt wurden. Man begegnet dem 2014 im Donbass schwer verwundeten Soldaten Bohdan Krywodjak wieder, der sein Gedächtnis verloren hat und daran zweifelt, ob die Archivarin Romana, die ihn wiedergefunden hat und ihn nun pflegt, tatsächlich seine Ehefrau ist. Und man wird auch wieder in die Blütezeit des galizischen Städtchen Butschatsch zurückgeführt, dessen schreckliches Schicksal unter der Nazi-Herrschaft im zweiten Band erzählt wird.
Die 1982 im westukrainischen Iwano-Frankiwsk geborene Tochter des bekannten ukrainischen Autors Jurij Andruchowytsch erzähle über "die traumatischen Phasen der Geschichte, die das kollektive Gedächtnis der Ukrainer:innen geprägt haben: den Krieg in der Ostukraine, den Holocaust und den Stalinismus", fasste die Preisjury das nach einem angeblichen antiken See auf dem heutigen Staatsgebiet der Ukraine benannte Epos zusammen. Im Schlussband geht es also vor allem um die schon vielfach beschriebenen Schrecken des Stalinismus.
Sofia Andruchowytsch erzählt sie anhand einer Dreiecksgeschichte aus dem Kiew der 1920er und 1930er-Jahre. Eine Frau und zwei Männer: Die bezaubernde Sofia ist mit dem charmanten und charismatischen Dichter Mykola Serow verheiratet und geht eine Beziehung mit dem mit ihm befreundeten, zwielichtigen, doch überaus gewitzten Wissenschafter und Autor Wiktor Petrow ein, der als sowjetisch-deutscher Doppelagent allen Gefahren zu trotzen scheint, während rundherum massenhaft gestorben wird - als Opfer nicht enden wollender Säuberungskampagnen oder einer vom Stalin-Regime noch beförderten Hungersnot. "Jeder der drei kann etwas, das dem anderen abgeht. Jeder kann den Durst des anderen stillen. Drei Fragmente eines Ganzen, drei Teile. Drei lebende Menschen."
Andruchowytsch fordert die Leser. Sie erzählt nicht linear, sondern wechselt ständig die Perspektiven und die Zeitebenen. Sie springt vom Privaten zum Politischen und von dort ins Historische. Dabei konzentriert sie sich immer wieder auf Kultur und Literatur und ihre Konflikte mit der jeweils herrschenden Ideologie. "Neoklassische" Autoren werden zu Staatsfeinden und als Mitglieder einer vom Geheimdienst erfundenen ukrainischen Befreiungs- und Terrororganisation verfolgt und liquidiert. Die Autorin schreibt hier offenbar entlang der historischen Wahrheit.
Wer die beiden ersten Bände der Trilogie gelesen hat, hat mehr vom dritten Teil. Aber auch so erfährt man bei der Lektüre viel über die seit Alters her schwer belastete Beziehung zwischen Russland und der Ukraine - und über das Vermögen der Autorin, ein dichtes Netzwerk an Beziehungen, Stimmungen und Informationen zu etablieren, ohne dabei belehrend zu wirken. Auch wenn sie nicht vom gegenwärtigen Kampf der Ukraine schreibt, bringt sie einem das Land beim Lesen sehr nahe.
Im Schlusskapitel treffen wir Bohdan wieder. Der Kreis schließt sich. Das Leben geht weiter. Und es tut weh. Am kommenden Freitag wird Sofia Andruchowytsch ihr Buch in Wien vorstellen.
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - Sofia Andruchowytsch: "Die Geschichte von Sofia. Das Amadoka-Epos 3", Aus dem Ukrainischen übersetzt von Alexander Kratochvil und Maria Weissenböck, Residenz Verlag, 688 Seiten, 35 Euro; Lesungen am 22.11., 16 Uhr, auf der Buch Wien, "Der Standard"-Bühne, 22.11., 19 Uhr, in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur, Wien 1, Herrengasse 5, und am 26.11., 19.30 Uhr, im Museum Arbeitswelt, Wehrgrabengasse 7, Steyr)
Zusammenfassung
- Sofia Andruchowytsch schließt mit 'Die Geschichte von Sofia' ihr 1.400-seitiges 'Amadoka-Epos' ab, das ein umfassendes Bild der Ukraine im 20. Jahrhundert zeichnet.
- Der Schlussband konzentriert sich auf die Schrecken des Stalinismus und erzählt eine komplexe Dreiecksgeschichte aus dem Kiew der 1920er und 1930er Jahre.
- Das Buch wird in Wien vorgestellt und ist im Residenz Verlag erschienen, umfasst 688 Seiten und kostet 35 Euro.