APA/Manuel Meyer

Kunst auf einer Insel: Gruppenausstellung in Menorca

Adjoa Armah bahnt sich den Weg durch die wartenden Besucher im Kunstzentrum der Schweizer Galerie Hauser html5-dom-document-internal-entity1-amp-end Wirth auf der Illa del Rei. Mit Glasbooten sind sie auf das kleine Eiland gekommen. Die "Insel des Königs" liegt mitten im Naturhafen von Mahon, der Hauptstadt der spanischen Mittelmeerinsel Menorca.

Armah positioniert sich in der Mitte ihrer Installation, um welche die Besucher einen Halbkreis gebildet haben. Sie trägt ein braunes, traditionelles Gewand aus ihrer Heimat Ghana. In der Hand hält sie ein rotes Büchlein, ein Tagebuch. Die Performance der afrikanischen Künstlerin (geboren 1988 in Accra) ist eigentlich eine Lesung. Der Text stellt eine Art spirituelle und imaginäre Reise übers Mittelmeer dar.

Während sie vorliest, öffnet sie das Ventil eines der transparenten, an der Decke hängenden Gefäße, aus dem Sand menorquinischer Strände auf den Boden fällt. Es soll zeigen, dass wir mit dem Mittelmeer nur einen kurzen Moment seines langen Lebens teilen. Es geht um ökologisches Verantwortung.

Der untere Bodenteil der Installation widmet sich hingegen der Sklaverei, Menschenrechten, dem Kolonialismus. Auf dem Boden liegen vier Skulpturen in schwarz, weiß, braun und rot. Schwarz ist Europa als Sinnbild für die von hier in die Welt exportierte Kohle. Afrika ist in einer weißen Skulptur dargestellt, wie das Weiß der Knochen der versklavten Menschen. Die östliche Skulptur präsentiert die Türkei in braun, da es das Eingangstor für Kaffee nach Europa war. Amerika ist rot wie die Paprikas, die zuerst aus Mexiko kamen. Vom oder über das Mittelmeer gingen diese "Handelsprodukte" um die Welt, aber die Farben irritieren uns. Sie passen nicht zu unseren Vorstellungen und Erwartungen.

Adjoa Armah ist eine von sieben Künstlerinnen und Künstlern, die sich in der Gruppenausstellung "After the Mediterranean" auf unterschiedlichste Weisen mit imaginären Zukunftsszenarien rund ums Mittelmeer beschäftigen. Es geht um ökologische und humanitäre Krisen, Migrationswellen, Klimawandel, Postkolonialismus und Identitätsfragen.

Dabei wolle man aber nicht zeigen, wie die Zukunft aussehen sollte oder klischeehafte Wunschvorstellungen bedienen, erklärt Ausstellungskurator Oriol Fontdevila im Gespräch mit der APA. "Vielmehr geht es in Anlehnung an den deutschen Philosophen Ernst Bloch um künstlerische Beschäftigung mit Utopien in einem Raum der Hoffnung zwischen einer Vergangenheit, die wir nicht mehr möchten, und einer Zukunft, die noch nicht passiert ist und vielleicht auch nie so stattfinden wird", meint Fontdevila.

Es geht ums Nachdenken über Fragen wie: Wer sind wir? Wo kommen wir her? Wohin gehen wir? Was erwarten wir und was erwartet man von uns? Wie einmal über das gesprochen wird, was im Mittelmeerraum passierte? Was aus ihm wurde? Und irgendwie geht es auch um Utopieverdrossenheit. So beschäftigt sich die menorquinische Künstlerin Erola Arcalís mit dem Projekt ihres Urgroßvaters, der ein Holzboot für eine Naturalistengruppe bauen wollte, um im Mittelmeer andere Formen und Wege des Zusammenlebens zwischen Menschen und der Natur zu suchen - und schon beim Bootsbau scheiterte.

Areej Huniti und Eliza Goldox, die das jordanisch-deutsche Künstlerduo Huniti Goldox bilden, spekulieren in ihrer 180-Grad-Videoinstallation hingegen mit dem hypothetischen Austrocknen des Mittelmeers als Folge des Klimawandels. Es zeigt uns, was wir eventuell in dieser Salzwüste finden könnten. "Es könnten auch die Geister zigtausender Migranten sein, die einst auf ihrem Versuch, Europa zu erreichen, im Meer ertranken", erklärt Eliza Goldox. Die Künstlerinnen sprechen vom "europäischen Grenzgenozid", wollen aber auch eine positive Zukunftsvorstellung aufzeigen symbolisiert durch den sich frei bewegenden Avatar und nannten ihr Werk "Aus dem Salz auferstehen".

Andere Künstler suchen hingegen künstlerische Antworten oder Fragestellungen auf Probleme, die durchaus leichter gelöst werden können. So beleuchtet der libanesische Künstler Omar Mismar in seiner 30-teiligen Fotoinstallation "Views for Rent" beispielsweise das Problem der Gentrifizierung an der Mittelmeerküste seines Landes. In seiner Arbeit bezieht er sich auf die zum Verkauf stehenden Wohnungen, die nach der Explosion 2020 im Hafen von Beirut wieder aufgebaut und renoviert wurden und die sich heute nur noch Ausländer oder betuchtere Familien leisten können. Es geht um die Vertreibung von Klassen. Das passiert an der gesamten Mittelmeerküste. In Ländern wie Italien, Frankreich, Spanien oder Griechenland ist es aber der Tourismus, der dafür sorgt, dass nur die finanziell stärkeren Klassen in der ersten Strandreihe leben können.

Unterdessen kritisiert die französische Künstlerin mit marokkanischen Wurzeln Sara Ouhaddou die zu einseitige und eurozentrische Sichtweise europäischer Museen auf die Geschichte. In ihrer Heimatstadt Marseille werde mit Artefakten alles auf den griechisch-römischen Ursprung der französischen Mittelmeermetropole reduziert. "Doch das Mittelmeer war und ist ein Ort, an dem alles Produkt der Bewegung ist, sprich der Handelsbeziehungen, die auch mit dem Norden Afrikas und dem Nahen Osten geführt wurden und werden", sagt Ouhaddou. Sie stellt dies mit Seifenskulpturen aus dem syrischen Aleppo dar und mit archäologischen Museumstischen, auf denen nur eine kleine Auswahl vieler Keramikfunde dem Publikum gezeigt werden. "Für mich als Migrationskind handelt es sich also um eine Identitätsfrage, wie die Geschichte meiner Heimat in den Museen darstellt wird. Die Museen der Zukunft sollten ihren Blick und ihre Geschichtsdarstellung öffnen und erweitern, um mehr Menschen anzusprechen", meint die Künstlerin.

Das Geschichtsmuseum in Marseille befände sich im arabischen Stadtviertel und brauche sich nicht wundern, wenn die Anrainer nicht ins Museum kämen, wenn die Geschichte der Mittelmeerstadt nur aus einer altrömischen Perspektive erzählt werde. Deshalb lädt sie mit einem arabisch anmutenden Neonlicht-Reklameschriftzug zum Eintritt in ihren Ausstellungsteil ein, wie ihn die arabischen Schlachtereien von Marseille benutzen.

Die Ausstellung "After the Mediterranean", die noch bis zum 29. Oktober im Kunstzentrum von Hauser & Wirth auf Menorca zu sehen ist, wirft viele Fragen auf, über die man gut unter den Olivenbäumen oder in den von Piet Oudolf gestalteten Landschaften beim Blick aufs Mittelmeer nachdenken kann. Hier hat man abgelegen auf der kleinen "Insel des Königs" Ruhe dazu. Nur der Wind und das Rauschen der Wellen sind zu hören, die sich in den Außenskulpturen von Joan Miró, Louise Bourgeois, Eduardo Chillida und Franz West verfangen.

(S E R V I C E - www.hauserwirth.com/hauser-wirth-exhibitions/40612-after-the-mediterranean/)

ribbon Zusammenfassung
  • Adjoa Armah bahnt sich den Weg durch die wartenden Besucher im Kunstzentrum der Schweizer Galerie Hauser html5-dom-document-internal-entity1-amp-end Wirth auf der Illa del Rei.
  • Die "Insel des Königs" liegt mitten im Naturhafen von Mahon, der Hauptstadt der spanischen Mittelmeerinsel Menorca.
  • Sie trägt ein braunes, traditionelles Gewand aus ihrer Heimat Ghana.
  • Auf dem Boden liegen vier Skulpturen in schwarz, weiß, braun und rot.