Inklusives Medium "andererseits" will sich abschaffen
"Es gibt zu wenige Journalistinnen und Journalisten mit Behinderung. Und diejenigen, die es gibt, haben es extrem schwer. Das wollen wir beenden", erklärt Clara Porak, Gründerin und Geschäftsführerin von "andererseits" im APA-Interview. Die Idee sei, nicht zu sagen, "die armen Menschen mit Behinderung muss auch mal jemand mitmachen lassen". Viel mehr wolle man mit der Gründung von "andererseits" aufzeigen, welche Strukturen es braucht, da "der Rest des Journalismus seinen Job noch nicht macht", so die 26-Jährige.
Wie es sich anfühlt, als Mensch mit Behinderung in der Medienbranche zu arbeiten, kennt Lisa Steiner nur zu genau. Die 41-jährige langjährige Journalistin weiß seit sie 40 Jahre alt ist von ihrem Autismus. "Mich strengt vieles mehr an als andere Leute. 'Andererseits' ist der erste Ort, wo es ernst genommen wird, wenn ich sage, dass etwas schwer für mich ist", sagt sie. Zuvor sei sie alle paar Monate bis wenige Jahre im Medienbetrieb "an Wände gefahren", sei an "totaler Erschöpfung" und Depressionen zusammengebrochen. Wie viel von der Behindertenrechtskonvention hierzulande und auch anderswo nicht umgesetzt ist, hat Steiner erst mitbekommen, als sie persönlich mit dem Thema Behinderung konfrontiert wurde. "Ich wollte am Anfang nur schreien", sagt sie. "Es wird immer noch eine neu aufgestellte Rampe gefeiert. Aber wir haben 2024", ärgert sie sich.
"Ein Journalist hat einmal zu mir gesagt: 'Wenn du einmal checkst, was Inklusion ist, siehst du überall Skandale.' Es ist so", meint Porak. Die meisten Staaten haben sich darauf geeinigt, Systeme zu schaffen, die es Menschen mit Behinderungen ermöglichen, gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. "Ein Großteil der Verantwortung liegt dadurch bei Menschen ohne Behinderung. Und das wurde noch nicht verstanden", sagt die "andererseits"-Geschäftsführerin.
Natürlich koste es mehr, inklusiv zu arbeiten, weil es schlicht aufwendiger sei. Doch: "Ich wünsche mir, dass wir in Österreich Menschenrechte nicht gegen Kosten abwiegen", so Porak. Vor allem öffentlich-rechtliche Medien, die mit Gebührengeldern von der Allgemeinheit finanziert werden, sieht sie in der Pflicht, Strukturen zu schaffen, die inklusiven Journalismus ermöglichen. Generell hätten Medien die Verantwortung, die Bevölkerung abzubilden und das gehe nun mal leichter, wenn Journalisten mit Behinderung vertreten seien. "Wie gut können wir als Gesellschaft sein, wenn der Journalismus immer noch sehr stark weiß, gut gebildet und männlich geprägt ist?", fragt Steiner.
Bei "andererseits" wird auf das Modell der unterstützten Autorenschaft gesetzt. Einer Person mit Unterstützungsbedarf steht jemand ohne zur Seite. Wobei Hilfe benötigt wird, hänge stark von der Person ab, weil Behinderung breit gefächert ist. "Manche Leute diktieren die Texte, manche brauchen Hilfe beim Redigieren, andere benötigen Unterstützung beim Ausmachen von Terminen", erklärt Porak. Mehrere Texte erschienen bereits in anderen Medien. "Das ist für uns aber schwierig, weil das Kooperationsmedium die Verantwortung für die Inklusion damit letztlich an uns auslagert", sagt die "andererseits"-Geschäftsführerin. Präferiert seien Kooperationen wie zuletzt mit der Rechercheplattform "Dossier", mit der gemeinsam ein ganzes Heft zu "Behinderungen am Arbeitsmarkt. Österreichs Irrweg" erarbeitet wurde.
Im März will man nun ein eigenes Printmagazin - und zwar in leichter und einfacher Sprache - auf den Markt bringen. "Bis zu 60 Prozent der Menschen haben Schwierigkeiten, herkömmlichen Journalismus zu verstehen. Wir wollen mit Menschen, die noch nicht so gut Deutsch sprechen, Menschen mit Lernschwierigkeiten, aber auch Senioren ansprechen", so Porak. Diese Personengruppen hätten derzeit "kaum Möglichkeiten, sich selbstbestimmt zu informieren", was man mit dem Großteils werbefinanzierten Magazin ändern möchte. Erste positive Rückmeldungen von Anzeigenkunden gebe es bereits. Speziell öffentliche Organisationen hätten Interesse, weil sie so Personen erreichen, mit denen sie anders nur schwer in Kontakt kämen.
Steiner sieht mit der Ansprache von neuen Personengruppen auch eine Chance für andere Medienhäuser. "Sie lassen derzeit eine ganze Gruppe an Leserinnen und Lesern links liegen. Mit Content von Journalisten, die sie abbilden, wären sie interessanter. Das würde zusätzliche Kaufkraft in eine Medienlandschaft bringen, die derzeit an allen Ecken und Enden kracht", so die Journalistin.
Derzeit ist bei "andererseits" eine Person angestellt, zwei weitere beziehen dort ihren Hauptverdienst. Ungefähr 20 Menschen arbeiten regelmäßig bis unregelmäßig auf Honorarbasis mit. Eine Person mit Behinderung ist derzeit nicht angestellt. "Das ist unser nächstes Ziel und wäre uns sehr wichtig", sagt Porak. Damit das aber gelingt, muss 'andererseits' finanziell wachsen und ist auf der Suche nach neuen, zahlenden Mitgliedern. "Wir wachsen gerade stark", freut sich Porak. In den vergangenen Wochen schlossen über 500 Personen ein "andererseits"-Abo ab. Das Medium hält nun bei 1.550 Abos, womit das Ziel von 1.400 Abonnentinnen und Abonnenten übertroffen wurde und der Grundbetrieb für 2024 gesichert ist.
Poraks Vision für "andererseits" ist "ein Medium, das breit geworden ist und Menschen mit Behinderung mitmachen, ohne, dass das Hauptthema ist". Ziel müsse sein, dass es nicht nur bei "andererseits", sondern in der ganzen Medienbranche inklusive Strukturen gebe. Sägt "andererseits" mit der Arbeit und Bewusstseinsbildung am eigenen Stuhl? "Natürlich wollen wir uns abschaffen", meint Porak. "Es wäre schön, wenn es uns nicht mehr braucht. Trotzdem soll es uns dann aber noch geben", grinst Steiner.
(S E R V I C E - www.andererseits.org)
Zusammenfassung
- Poraks Vision für "andererseits" ist "ein Medium, das breit geworden ist und Menschen mit Behinderung mitmachen, ohne, dass das Hauptthema ist".