Gurlitt-Ausstellung in Bad Aussee zeigt NS-"Profiteur"
Wolfgang Gurlitt war laut Ausstellungskuratorin und Lentos-Vizedirektorin Elisabeth Nowak-Thaller ein "waschechter Berliner". Nachdem er dort ausgebombt worden war, ließ er sich fix im Ausserland nieder, wo er während der NS-Zeit in den Handel mit "entarteter" und beschlagnahmter Kunst involviert war. 1946 wurde er Direktor der Neuen Galerie der Stadt Linz, der Vorgängerin des heutigen Lentos Kunstmuseum. Dessen Bestand geht auf Gurlitts Sammlung zurück.
Gurlitt war Vierteljude und hatte mit Lily Christiansen-Agoston eine jüdische Geschäftspartnerin und Geliebte. Deshalb habe er sich selbst als Verfolgter des NS-Regimes gefühlt, so Nowak-Thaller bei der Presseführung am Mittwoch. In Wahrheit sei er aber ein Profiteur desselben gewesen. So habe er reihenweise Kunstwerke von jüdischen Bekannten aufgekauft oder in Kommission genommen, die flüchten mussten. Und diese "Notverkäufe gelten heute als Restitutionsfälle". Tiefer als Wolfgang Gurlitt war allerdings sein prominenterer Cousin Hildebrand in den braunen Kunsthandel im Auftrag Adolfs Hitlers verstrickt.
Man sei sich beim Ankauf der Sammlung Gurlitt bewusst gewesen, dass Werke dabei sein können, die aus jüdischem Besitz stammen, sagt Nowak-Thaller. Gurlitt hatte zum Teil auch keine Provenienznachweise erbringen können. Angesichts dieses problematischen Erbes beschäftigt man sich im Lentos seit den 1990er-Jahren intensiv mit Provenienzforschung und restituierte seither zwölf Gemälde. Das bekannteste ist wohl Gustav Klimts Gemälde "Porträt Ria Munk III". Wie Gurlitt einst an dieses Bild gekommen war? "Wir wissen es nicht." Von Oskar Reichel, der seit 1910 zu den wichtigsten Wiener Kunstsammlern gehörte, hatte Gurlitt vor allem Werke von Anton Romako "erworben", erfährt man in der Ausstellung. Als Jude war Reichel gezwungen, viele seiner Bilder zu verkaufen. 2012 gab das Lentos sechs Romakos aus der Sammlung Gurlitt an Reichels Erben zurück.
Die Schau im Kammerhof Museum thematisiert auch Gurlitts Kunstgeschmack - Verfemte ebenso wie NS-Günstlinge, unbekannte Junge wie Stars der Kunstszene, Gurlitt sammelte alles und verfügte über beste Kontakte. 1949 präsentierte er die neu gegründete Linzer Galerie in einer Ausstellung bei den Musikfestwochen in Bad Aussee, wo diese Ambivalenz deutlich erkennbar wurde.
In der aktuellen Ausstellung in Bad Aussee sind rund 60 Bilder aus dem Bestand des Lentos zu sehen, viele von Oskar Kokoschka. Der damalige "Skandalkünstler" war ein Freund Gurlitts seit jungen Jahren. Auch Gustav Klimt und Egon Schiele hatten es Gurlitt angetan, ebenso Alfred Kubin. Margret Bilger, Weggefährtin Alfred Kubins, begegnete Gurlitt erstmals 1938. Auch ihre Positionierung zum Nationalsozialismus war ambivalent. Sie lehnte zwar dessen Kunstverständnis ab, ihre religiösen Werke fanden in der NS-Zeit aber Anklang. Mit Gurlitt verband sie eine lange Freundschaft und er hatte auch wesentlichen Anteil daran, dass ihr nach dem Zweiten Weltkrieg der Durchbruch gelang.
Aus heutiger Sicht problematisch anmuten mag auch Gurlitts Arbeit als Direktor der Neuen Galerie der Stadt Linz. Er führte diese von Bad Aussee aus, ehrenamtlich. Geld verdiente er, indem er dort Verkaufsausstellungen organisierte. Später erstritt er vor Gericht, dass das Haus auch nach seinem Ausscheiden den Untertitel "Wolfgang-Gurlitt-Museum" führen musste - bis zur Neubenennung als "Lentos Kunstmuseum" 2003. Selbst als er schon längst nicht mehr Direktor war, schmückte er sich sehr zum Ärger der Stadt Linz nach wie vor mit diesem Titel - und machte sogar damit Zigarettenwerbung. Mit dem Geld, das er für den Verkauf seiner Sammlung an die Stadt Linz bekommen hatte - 1,7 Millionen Schilling, das sei damals viel Geld gewesen, so Nowak-Thaller - gründete er in München eine weitere Galerie. Als er starb hinterließ er einen Berg von Schulden.
Die Gurlitt-Ausstellung ist der zweite Teil der Trilogie "Reise der Bilder". Die Leitausstellung "Hitlers Kulturpolitik, Kunsthandel und Einlagerungen in der NS-Zeit im Salzkammergut" ist im Lentos zu sehen, der dritte Teil "Das Leben der Dinge. Geraubt - verschleppt - gerettet" ab 27. April bis 1. September in Lauffen/Bad Ischl, wo gegen Ende des Zweiten Weltkriegs die Werke aus den heutigen Bundesmuseen eingelagert waren.
(S E R V I C E - "Wolfgang Gurlitt. Kunsthändler und Profiteur in Bad Aussee", 28. März bis 3. November, Kammerhofmuseum Bad Aussee, Clumeckyplatz 1, 8990 Bad Aussee, https://www.salzkammergut-2024.at, www.lentos.at)
Zusammenfassung
- Die Ausstellung 'Wolfgang Gurlitt. Kunsthändler und Profiteur in Bad Aussee' beleuchtet die zwiespältige Rolle Gurlitts im NS-Kunsthandel.
- Wolfgang Gurlitt, der sich selbst als NS-Verfolgter sah, profitierte von Kunstwerken, die unter Zwang verkauft wurden, und ist heute Gegenstand der Restitutionsdebatte.
- Das Lentos Kunstmuseum, Nachfolger der von Gurlitt geleiteten Neuen Galerie, restituierte zwölf Werke und erforscht weiterhin die Herkunft seiner Sammlung.
- Rund 60 Werke, darunter viele von Oskar Kokoschka, stellen Gurlitts vielfältigen Kunstgeschmack und seine Verbindungen zu bedeutenden Künstlern dar.
- Die Ausstellung ist Teil der Trilogie 'Reise der Bilder', die sich mit NS-Kulturpolitik und Kunsthandel im Salzkammergut beschäftigt.