Georg Nigl über seinen Salzburger "Nachtmusiken"-Triumph
Im Gespräch mit der APA verriet Nigl, warum er die Abende bewusst nicht größer halten will und, warum man die Gesellschaft heute zum Zuhören zwingen muss.
APA: Herr Nigl, wie sehen Sie den großen Erfolg der ersten drei Abende bei Publikum und Kritik?
Georg Nigl: Als ich die Idee hatte, wusste ich, dass sie gut ist, und deswegen habe ich sie ja auch an Markus Hinterhäuser herangetragen. Trotzdem kann man so etwas natürlich nicht planen. In dem Programm kommen einige Punkte zusammen, die wie ich meine, eine Notwendigkeit in der klassischen Musikwelt haben. Wir leben in einer Welt des Sehens, und bei uns geht es ums Zuhören.
APA: Gibt es deswegen auch nur 60 Plätze bei Ihren Serenaden?
Nigl: Ich frage mich schon lange Zeit, was ein Liederabend ist und wo er hingehört. Das ist ein sehr radikaler Ansatz, den ich da habe, aber das kommt daher, dass ich sehr viel zeitgenössische Musik gemacht habe und mit Klängen konfrontiert war, die mir noch nicht bekannt waren. Da geht es gar nicht darum, die Leute zu belehren. Es ist eine Einladung, sich etwas anzuhören. In unserem Fall das Clavichord. Es ist ein großartiges Instrument mit einem wunderbaren Klang. Es ist so leise, dass es einen zum Zuhören zwingt. Das Interessante am Ohr ist, dass es eine gewisse Zeit braucht, um sich im leisen Bereich einzuhören. Dadurch entsteht auch eine gewisse Konzentration, und diese Konzentration bedienen wir nicht nur mit einem Instrument, sondern auch mit den Texten, die wir dazwischen gelegt haben und natürlich auch mit meinem Gesang, der absolut intim ist. Es ist gesungen, als würde ich für jeden Einzelnen singen.
APA: Wie haben Sie dann die Texte ausgewählt, die Schauspieler Ulrich Noethen rezitiert?
Nigl: Ich habe mich gefragt, was ein Text des Frühbarocks mit uns heute zu tun hat. Es gibt Texte, die lesen wir heute und verstehen sie sofort, aber es gibt natürlich auch Texte, zum Beispiel eine Bach-Kantate, da versteht man nicht alles. Aber trotzdem geht's eigentlich in der gesamten Kunst um dasselbe: um Liebe, das Sterben und um Angst und Krieg. Da wird die Kunst zeitlos. Soll ich Bach übersetzen, sodass auch wir heute mit der Sprache umgehen können? Nein, das glaube ich nicht, das geht nicht. Aber ich kann seine Musik mit einem Text konfrontieren, der heutig ist. Wir haben größtenteils zeitgenössische Texte, beispielsweise in unserem Kriegsabend. Bach hat in den Nachwehen des 30-jährigen Kriegs komponiert oder in der Angst vor dem Sterben, und natürlich sind diese Fragen auch heute noch evident. Ich finde einfach grässlich, wenn ich den Fernseher einschalte und da sitzen angebliche Experten, die über den Krieg reden, als wär's ein Computerspiel. Das ist das, was mich nicht interessiert. Wir reden über abgerissene Körperteile, über Blut und Kot, und dem gegenüber stellen wir Musik, die einem durch und durch ins Herz geht. Im Endeffekt ist das eine politische Aussage.
APA: Ist das Ihrer Meinung nach im Zeitalter des Klimawandels und des Krieges die besondere Aufgabe der Kunst?
Nigl: Ich glaube nicht, dass die Kunst eine Aufgabe hat, aber ich glaube, dass die Kunst an sich mit uns Menschen zu tun hat. Dadurch, dass das Fragen sind, die uns Menschen bewegen, ist es nolens volens etwas, das in der Kunst vorkommt und vorkommen muss. Ob es jetzt Klimawandel oder Krieg ist, das kann ich nicht vorhersagen. Das ist immer für den einzelnen Künstler und den Zuhörenden seine persönliche Geschichte. Aber natürlich, Kunst ist von Menschen für Menschen und Kunst ist eben auch eine Aussage über das, was uns Menschen bewegt.
APA: Ist es denn schwer, in diesen Zeiten Menschen zum Zuhören und Nachdenken zu bewegen?
Nigl: Ich würde das so beantworten: Weil wir so viel sehen - nehmen Sie nur die Zeit, die Sie am Tag ins Handy schauen - sind wir es gewohnt, möglichst viele Informationen über das Auge aufzunehmen. Ich glaube aber, durch das gegenseitige Zuhören entsteht etwas ganz anderes, als wenn wir uns zusehen. Und ich glaube in einer Welt, in der wir immer weniger zuhören, kann es passieren, dass der soziale Zusammenhalt, der in einer Gesellschaft absolut notwendig ist, auseinanderbricht. Aber in einer Welt, wo Menschen zuhören können, gibt es zumindest Hoffnung. Unsere Abende bestätigen mich in der These, dass selbst ein zeitgenössisches Stück, wenn es wirklich auf höchstem Niveau gemacht ist, sehr wohl den Menschen bewegen kann. Das hat immer etwas mit Risiko zu tun. Ich glaube, ein inhaltliches Risiko ist immer ein größeres, als einen brillanten Lauf zu singen oder zu spielen. Aber das sind einfach die Risiken, die mich interessieren.
APA: Finden diese besonderen Konzertabende außer bei den Salzburger Festspielen denn eine Fortsetzung?
Nigl: Wir werden auf jeden Fall weitermachen, ganz einfach aus dem Grund, weil ich die Konzentration, auch seitens des Publikums, an diesem Abend so sehr genieße. Trotzdem bin ich in Gedanken auch schon wieder bei ganz anderen Projekten, mein Terminkalender ist sehr voll. Es gibt aber schon viele Anfragen. Natürlich ist es als Format extrem schwierig, weil wir damit nicht in den normalen Konzertsaal können. Es würde zum Beispiel total gut in ein Museum passen. Es ist wahrscheinlich eher etwas für Festivals, aber man muss auch überlegen, ob und inwieweit man diesen Exklusivitätscharakter, den es gerade hat, erweitert. Ob man es nicht einfach lässt und sagt: "Ok, das war es jetzt", und dann macht man etwas anderes.
(Das Gespräch führte Larissa Schütz/APA)
(S E R V I C E - www.salzburgerfestspiele.at/p/nachtmusik-nigl-noethen-gergelyfi-2023)
Zusammenfassung
- Inoffiziell spricht man schon vom Highlight der diesjährigen Salzburger Festspiele.
- Bariton Georg Nigl hat einen Serenaden-Zyklus konzipiert, bei dem er in intimem Rahmen zum von Alexander Gergelyfi gespielten Clavichord singt, während Schauspieler Ulrich Noethen ausgewählte Texte rezitiert.
- Am heutigen Donnerstag startet die zweite Tranche der "Kleinen Nachtmusiken" auf der Edmundsburg, mit weiteren Terminen am Freitag und Samstag.