Forscher belegen frühneuzeitliche Familien-Einbalsamierung
Verschiedene Zugänge zur Leichenpräparation sind aus zahlreichen Kulturkreisen bekannt - und damit bei weitem nicht nur aus dem alten Ägypten oder Südamerika. Auch aus dem mittelalterlichen Europa gibt es dokumentierte Fälle ab dem 9. Jahrhundert. Dabei ging es aber nicht etwa wie bei den altägyptischen Praktiken darum, den Körper möglichst lange zu erhalten.
Das Ziel sei eher gewesen, den Verwesungsprozess der sterblichen Überreste von Menschen mit adeligen, großbürgerlichen oder königlichen Hintergründen bis zu Begräbnisfeierlichkeiten zu verlangsamen, schreiben die Wissenschafter um Studien-Erstautorin Caroline Partiot vom Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Es ging also eher um Repräsentation von mehr oder weniger verdienten bzw. öffentlichen Persönlichkeiten - vor allem, wenn diese fern von zuhause verstarben.
So wurden etwa alle inneren Organe und auch das Gehirn entnommen, bevor der Körper mit Balsam und aromatischen Substanzen gefüllt wurde. Hinweise auf solche Praktiken in Europa seien insgesamt aber sehr selten, berichten die Forscherinnen und Forscher.
Umso erstaunlicher sei es, dass man nun gleich mehrere solche Fälle auf einmal dokumentieren könne, heißt es. Gemacht wurden die in der neuen Arbeit beschriebenen Funde in einer Krypta unter der Kapelle des Château des Milandes nahe Bergerac im südwestlichen Frankreich. Bei Grabungen im Jahr 2017 kamen Überreste von sieben Erwachsenen und fünf Kindern, die der aristokratischen Familie Caumont zugerechnet werden können, zum Vorschein. Außerdem fand man noch eine einzeln bestattete Frau. Alle Familienmitglieder verstarben im 16. und 17. Jahrhundert. Und: Bei allen fanden sich Anzeichen auf Einbalsamierungspraktiken.
"Unsere Untersuchungen eines vollständigen Individuums und der fast 2.000 Fragmente zeigen eine sorgfältige und hoch standardisierte technische Behandlung der Verstorbenen, die bei Erwachsenen und Kindern ähnlich ist. Das lässt ein über zwei Jahrhunderte tradiertes Know-how erkennen", wird Partiot in einer ÖAW-Aussendung zitiert. Die Reste dieser Praktik lassen sich heute anhand von Schnittspuren an vielen Skelettteilen studieren. Diese sind entweder subtiler angelegt - in Form von kleineren Einkerbungen an Knochen - oder richtig rustikal ausgeführt, wie Rundumschnitte, die dem vollständigen Abheben der Schädeldecke dienten. Vieles erinnere an ein Prozedere, das der französische Chirurg Pierre Dionis im Jahr 1708 beschrieben hat und das etwa bei Autopsien ausgeführt wurde.
Offenbar war die Leichenpräparation über lange Zeit hinweg eine wichtige Tradition in dieser Adelsfamilie. Damit schwamm man scheinbar nicht im Mainstream: Der einzige andere bekannte, ähnlich gelagerte Fall mit mehreren Einbalsamierungen, die auch bei Kindern vorgenommen wurden, sei nach heutigem Wissensstand die Familie Medici im 15. Jahrhundert gewesen. "Die Anwendung auf Familienmitglieder, unabhängig von Sterbealter und Geschlecht, spiegelt auch den Erwerb dieses Status durch Geburt wider", so Partiot. Die Kinder wurden der Analyse zufolge zudem genau gleich einbalsamiert wie ihre erwachsenen Verwandten.
(S E R V I C E - https://doi.org/10.1038/s41598-024-78258-w)
Zusammenfassung
- Im frühneuzeitlichen Frankreich wurden über zwei Jahrhunderte hinweg Mitglieder der Adelsfamilie Caumont einbalsamiert, wie Funde aus der Krypta des Château des Milandes zeigen.
- Die Praktiken, die sowohl Erwachsene als auch Kinder umfassten, zielten darauf ab, den Verwesungsprozess bis zu den Begräbnisfeierlichkeiten zu verlangsamen.
- Diese Einbalsamierungen sind ein seltenes Beispiel für ein hoch standardisiertes Verfahren in Europa, ähnlich den Techniken, die der Chirurg Pierre Dionis 1708 beschrieben hat.