APA/Wolfgang Huber-Lang

Erste Marlen-Haushofer-Werkausgabe erschienen

"Eigentlich kann ich nur lesen, wenn ich schreibe": Dieses Zitat von Marlen Haushofer (1920-1970) ziert den Schuber, in dem die eben erschienene sechsbändige Werkausgabe der Autorin verpackt ist. "Unter den österreichischen Autorinnen und Autoren, die als Klassiker des 20. Jahrhunderts gelten, war sie die einzige, die noch keine Werkausgabe hatte", sagt die Germanistin und Literaturkritikerin Daniela Strigl. Die Haushofer-Biografin ist eine der Herausgeberinnen der Bände.

Ihre im Jahr 2000 erschienene Biografie, die eine Einordnung und Würdigung der lange unterschätzten Autorin unternahm, hat bereits sechs Auflagen erlebt. Dennoch sei seither nicht allzu viel für die Wiederentdeckung des Werks passiert, meint Strigl im Gespräch mit der APA. Der 100. Geburtstag wurde weitgehend ignoriert und fiel zudem in die Corona-Zeit, zwei Verfilmungen von Julian Pölsler wurden editorisch nicht genützt, und die Aufmachung der Taschenbuchausgaben bediente das Klischee von "Frauenliteratur".

Nun gibt es Dank des Claassen Verlags und der Hilfe des Adalbert-Stifter-Institut des Landes Oberösterreich eine neue Chance, Haushofer zu entdecken. Die Romane, die zum Teil nicht mehr lieferbar waren, sowie erstmals auch alle in einem Band versammelten Erzählungen sind nun in einer 2,8 Kilogramm schweren Box erhältlich: Rund 2.000 Seiten um etwas über 90 Euro - das sei doch ein gutes Angebot und "eine Einladung zum Haushofer-Lesen", meint Strigl.

Jeder Band hat andere Herausgeber, die eine wissenschaftliche Einordnung vornehmen, und andere Autoren, die in einem Vorwort ihre persönlichen Bezüge zu der im oberösterreichischen Frauenstein Geborenen schildern. So erklärt Clemens J. Setz die Erzählungen zum "Herz ihres Werks" und bekennt: "Jeder hat wohl irgendwann sein 'Wand'-Erlebnis." Auch Antje Rávik Strubel schreibt über "Die Wand": "Ich kann mich an kaum ein Buch erinnern, das die Einsamkeit des Menschen auf eine so grundlegende Weise erfasst."

Der 1963 erschienene Roman, in der eine Frau sich plötzlich von einer unsichtbaren Kuppel umgeben wiederfindet und alleine ihr Weiterleben bewältigen muss, sei zweifellos Haushofers Hauptwerk, sagt auch Daniela Strigl, die den Wand-Band als Herausgeberin verantwortet. Sie nennt Marlen Haushofer "eine buchstäblich gottverlassene Autorin", die "mit derselben Unerschrockenheit wie die französischen Existenzialisten" die Abgründe des Lebens erfasst habe: "Haushofer ist eine Expertin für die Darstellung der Kluft zwischen Sein und Schein, zwischen Gemütlichkeit und Dämonie."

Mit der ungleich bekannteren, sechs Jahre jüngeren Kollegin Ingeborg Bachmann habe sie die schonungslose Diagnose über die vergifteten Geschlechterverhältnisse und die muffige Bürgerlichkeit der Nachkriegszeit geteilt, doch ihre Modernität sei nicht auf den ersten Blick sichtbar, meint Strigl. Einerseits stehe bei ihr die Sprache weniger im Vordergrund, andererseits habe sie "ihr Licht selbst unter den Scheffel gestellt". Dabei sei ihr "Selbstbild als schreibende Hausfrau", das auch spätere Germanisten zur Unterschätzung verleitete, nichts anderes als eine realistische Beschreibung einer Lebensrealität gewesen, die in den 1950ern und 1960ern neben vielen anderen Frauen auch auf die Zahnarztgattin Marlene Haushofer zutraf.

"Während sie Ingeborg Bachmann hinter ihrem Rücken tanzen sah, fühlte sie sich unsichtbar", schreibt Monika Helfer in ihrem Vorwort zu "Himmel, der nirgendwo endet". Der 1966 erschienene Roman ist für Strigl einer der besten Texte Haushofers. Vier Jahre später starb die Autorin - drei Wochen vor ihrem 50. Geburtstag.

(S E R V I C E - Marlen Haushofer: "Die gesammelten Romane und Erzählungen", Claassen, Sechs Bände im Schuber, ca. 2.000 Seiten, ISBN 9783546100830, 92,60 Euro, http://www.marlenhaushofer.at )

ribbon Zusammenfassung
  • "Eigentlich kann ich nur lesen, wenn ich schreibe": Dieses Zitat von Marlen Haushofer ziert den Schuber, in dem die eben erschienene sechsbändige Werkausgabe der Autorin verpackt ist.
  • "Unter den österreichischen Autorinnen und Autoren, die als Klassiker des 20. Jahrhunderts gelten, war sie die einzige, die noch keine Werkausgabe hatte", sagt die Germanistin und Literaturkritikerin Daniela Strigl.