APA/APA (Archivbild)/HERBERT PFARRHOFER

David Schalko: Neuer Roman, neue Serie und harte ORF-Kritik

David Schalko hat einen Output, von dem andere nur träumen. Seine Sky-Mini-Serie "Ich und die Anderen" befindet sich in Fertigstellung, eine Verfilmung der Ibiza-Affäre in Vorbereitung. Am Donnerstag erscheint sein fünfter Roman "Bad Regina". Ein Gespräch mit einem tiefenentspannt wirkenden Autor und Regisseur, der beim Thema ORF deutlich wird: Der Sender bräuchte "einen gewaltigen Schub, um im 21. Jahrhundert mitspielen zu können", ORF 1 "eine ganz starke Veränderung".

APA: Herr Schalko, Sie entwickeln und drehen Serien, schreiben Stücke, und jetzt kommt auch wieder ein dicker Roman von Ihnen. Wann machen Sie das alles?

David Schalko: Ich habe zwei Jahre in Ruhe daran gearbeitet, alternierend halt immer wieder die Serie geschrieben. Es schaut nach mehr aus, als es ist. Ich arbeite viel weniger, als die Leute denken. Ich habe sehr viel Zeit für meine Kinder.

APA: Für den titelgebenden Ort Bad Regina ist unverkennbar Bad Gastein das Vorbild. Wie kommt Bad Gastein zu der Ehre?

Schalko: Ich bin jahrelang dorthin auf Winterurlaub gefahren. Ich bin viel herumgegangen und habe mit vielen Leuten geredet. Ich war fasziniert, dass jemand den ganzen Ort aufkauft und ihn verfallen lässt und sich natürlich viele Legenden darum ranken. Auch atmosphärisch finde ich den Ort faszinierend - diese Schlucht und wie diese Häuser unter widrigen Umständen da reingebaut sind. Es war eine Art Stillstand spürbar, eine seltsame Ruhe. Diese Atmosphäre eines verlassenen Kurorts, der einst mondän war, steht auch für viele Dinge im 20. Jahrhundert, für die europäische Kultur, die dem Verfall preisgegeben wird und über die wir uns auch noch immer definieren, weil wir eher nach rückwärts schauen als nach vorne. Das ist eigentlich die Grundthematik des Buches.

APA: Es gibt jede Menge Figuren und viele Themen, die angeschnitten werden. Man hat das Gefühl, da kommt immer wieder noch etwas Neues hinein. Hat sich das so ergeben oder war es von vornherein als Art Geschichten-Konglomerat angelegt?

Schalko: Die Grundidee war die Geschichte, dass ein Mann alles aufkauft. Was dahintersteckt, wird erst am Schluss aufgelöst, wenn diesem Ort auf überraschende Art wieder Leben eingehaucht wird. Und es geht auch stark um das Verhältnis von Europa und Afrika - vor allem auf der Ebene, dass wir das als Bedrohung empfinden, aber nicht als etwas Positives. Die Figuren sind klassische Dorffiguren, denn in jedem Dorf gibt es einen Arzt, einen Wirt, einen Priester, und die erfüllen dann auch Funktionen. Nur leben in diesem Ort nur mehr 46 Leute statt 4.000. Am Schluss hat der Roman ja viele Wendungen, die einen vielleicht überraschen. Es ist schwierig, über etwas zu sprechen, von dem man nichts verraten möchte.

APA: In dieser Parabel über Europa sind viele Entwicklungen angerissen, die früher viel diskutiert wurden und plötzlich kaum mehr Thema sind.

Schalko: Das Corona-Jahr hat große Themen übertüncht und zugedeckt. Man hat das Gefühl, es gibt nur noch Gesundheitsminister auf der Welt. Man fragt sich dann, was machen eigentlich die Umweltminister und die anderen Minister so in dieser Zeit? Ich habe das Gefühl, dass der Hauptvirus eigentlich der ist, dass wir uns nur noch mit diesem Virus beschäftigen. Das wird uns sicher noch einholen, denke ich. Dafür wird Geld gedruckt. Es wird einem in diesen Tagen schön vor Augen geführt, wie fiktional das System Geld ist und eben kein Naturgesetz. Und es ist auch kein Naturgesetz, dass die Politik nichts machen kann. Natürlich kann sie bei allen Dingen was machen. Sie könnte etwa auch die gleiche Energie für Umweltpolitik aufbringen.

APA: Was steht uns noch bevor?

Schalko: Ich glaube, die Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen wird stärker werden. Und was sicher auf uns zukommen wird, ist eine hohe strukturelle Arbeitslosigkeit. Ich glaube, es wird am Anfang einen Turbohedonismus geben, da die Leute gemerkt haben, dass ihre Freiheiten nicht selbstverständlich sind. Es wird sicher bleiben, dass die Leute mehr von zu Hause arbeiten. Unternehmen sparen sich dadurch viel Geld für Büroräume und Infrastruktur. Und wir werden sehr damit beschäftigt sein, die Kosten der ganzen Maßnahmen auszubaden.

APA: Wenige Tage nach Drehbeginn zu Ihrer Serie "Ich und die Anderen" kam der Lockdown. Wie sind Sie damit umgegangen?

Schalko: Ich habe dann einfach meinen Arbeitsprozess umgedreht und meinen Roman in Ruhe überarbeitet und die letzten Kapitel fertig geschrieben. Es war unklar, unter welchen Bedingungen man wieder weiterdrehen kann. Das Problem war, dass die Versicherungen natürlich nicht gegen Corona versichern, man aber als Filmproduktion versichert sein muss, um überhaupt drehen zu können, um Sender und Financiers schadfrei halten zu können. Wir haben lange verhandelt mit der Regierung. Vor allem Dank Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer gab es dann eine Ausfallshaftung, bei der der Staat die Versicherungsrolle übernimmt. Wir waren damit weltweit die Ersten. Das hat international Schule gemacht. In Kombination mit einem Hygienekonzept konnten wir im Sommer wieder drehen.

APA: Jetzt ist alles im Kasten?

Schalko: Ja, wir sind am Fertigwerden. Es wird im Frühjahr laufen, ich schätze im April oder Mai.

APA: Michael Maertens hat richtig geschwärmt von den Dreharbeiten. Ist es so geworden, wie Sie es sich vorgestellt haben?

Schalko: Ja, eigentlich schon. Es war echt ein super Ensemble, nicht nur aufgrund des Niveaus, auf dem sie alle spielen, sondern weil sie auch gerne miteinander gespielt und eine richtige Spiellust entwickelt haben, was ich immer schön finde. Es ist ein sehr abstraktes Projekt, das nicht einer klassischen Erzählstruktur folgt und da und dort dramaturgisch anders funktioniert. Für Schauspieler ist das oft nicht so leicht, aber es haben alle total verstanden, um was es da geht.

APA: Wie steht es mit der gemeinsam mit Jan Böhmermann initiierten Verfilmung der Ibiza-Affäre?

Schalko: Es gibt einen Buchauftrag von einem deutschen Sender, und es gibt ein Buch, das im Entstehen ist. Jan leitet eine Autorengruppe, in der etwa auch Florian Scheuba dabei ist, Sebastian Huber von der "Tagespresse", oder Hanna Herbst. Es ist ein kompliziertes Thema, und wir drehen das dann, wenn die Bücher gut sind. Wir lassen uns Zeit mit dem Projekt, denn so wie wir es machen, ist es zeitlos und keine Schnellschussaktion.

APA: Das Theater in der Josefstadt hat für die nächste Saison ein neues Stück von Ihnen angekündigt.

Schalko: Das habe ich auch gelesen... (schmunzelt) Es gibt von Herbert Föttinger und mir immer wieder das prinzipielle Vorhaben, gemeinsam was zu tun, aber derweil gibt es noch nichts Konkretes. Durch Corona haben es die Theater im Moment wahnsinnig schwer. Ich habe mit mehreren Theatern Gespräche, auch in Deutschland, aber niemand weiß gerade, wie man planen soll.

APA: Gibt es weitere Projekte, an denen Sie arbeiten?

Schalko: Im Moment liegt eigentlich gar nichts am Tisch. Es gibt immer noch dieses alte Kafka-Projekt, an dem ich gemeinsam mit Daniel Kehlmann arbeite. Das würde ich wahnsinnig gerne drehen, doch es ist schwer zu finanzieren, denn immer wenn Leute das Wort Kafka hören, verstecken sie sich unterm Tisch, weil sie sich an die eigene Schulzeit erinnern fühlen. Trotzdem ist er nicht nur der wichtigste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, sondern hat auch ein sehr modernes Leben geführt, das bestens dokumentiert ist. Und er hat 2024 seinen 100. Todestag. Es wäre angemessen, ihm aus diesem Anlass ein Denkmal zu setzen.

APA: Durch das finanzielle Desaster sinkt überall im Kulturbetrieb die Risikofreudigkeit. Was bedeutet das für die zeitgenössische Kulturproduktion?

Schalko: Bei den Fernsehportalen hat der Verteilungskampf stark zugenommen, weil sich die Leute nur begrenzt Abos kaufen. Daraus entsteht natürlich Angst und das Bedürfnis, auf der sicheren Seite sein zu wollen. Das sieht man auch am Theater oder im öffentlich-rechtlichen Bereich, obwohl die ja durch Förderungen oder Gebühren abgesichert sind. Ich finde das unverständlich, denn es wäre ja auch eine Chance, sich zu unterscheiden. Die öffentlich-rechtlichen Sender werden immer konservativer, braver und biederer. Kunst als Risiko oder Experiment hat es heute viel schwerer als noch vor ein paar Jahren.

APA: Heuer wird die ORF-Generaldirektion neu gewählt, und auch ein neues ORF-Gesetz soll schon lange auf Schiene gebracht werden. Haben Sie Hoffnung auf einen guten Ausgang?

Schalko: Die Generaldirektion ist ja in erster Linie eine politische Entscheidung, die nicht zwangsweise etwas mit Kompetenz oder dem, was dem Sender guttun würde, zu tun hat, sondern ausschließlich mit dem, was der ÖVP guttut. Ich glaube nicht, dass sich da jetzt plötzlich die Dinge geändert hätten. Dass der Sender einen Schub bräuchte, um im 21. Jahrhundert mitspielen zu können, und zwar einen gewaltigen, das ist ja offensichtlich. Auf manchen Ebenen ist der ORF in einem handlungsbedürftigen Zustand. Das kann man zum Beispiel an den Marktanteilen von ORF 1 ablesen, die sich in einer stetigen Talfahrt befinden. Da hat leider kaum eines der neuen Formate funktioniert. Da braucht es eine ganz starke Veränderung. Das ist der Kanal, mit dem man die Jungen kriegen kann. Ich kann mich an die Zeiten erinnern, zu denen wir die "Donnerstag Nacht" gemacht haben: Da hatten wir hervorragende Marktanteile in einer Zielgruppe, die heute Netflix schaut.

APA: Wo müsste der von Ihnen geforderte Schub ansetzen?

Schalko: Am Inhalt natürlich. Am Inhalt, in der Unabhängigkeit, in der Qualität, in der Digitalisierung, am Angebot der Mediathek. Die Mediathek kann ein Kern der Lösung sein. Das ist die Zukunft des Fernsehens. Neben dem Broadcasten, wo die Live-Berichterstattung tatsächlich wichtig ist, ist die Mediathek das Instrument, um gegen die Portale antreten zu können.

APA: "Bad Regina" erscheint in einer Zeit, in der es keine Buchpremieren gibt und keine Lesetourneen. Auch die Buchhandlungen dürfen erst in einigen Tagen wieder öffnen.

Schalko: Ich muss gestehen: Dass ich jetzt nicht in irgendwelche deutschen Kleinstädte zu Lesungen fahren muss, darüber hält sich meine Trauer in Grenzen. Was schwierig ist, ist, dass die Buchhandlungen so lange zu haben, weil die Leute ja auch im Vorbeigehen Bücher kaufen, die sie im Buchladen entdecken. Das Online-Stöbern ist ja nicht unbedingt sehr sinnlich.

APA: Dafür haben die Waffengeschäfte offen gehabt.

Schalko: Die sind ja offensichtlich auch Systemerhalter.

APA: Es kann einem ja immer ein Hirsch über den Weg laufen.

Schalko: Das stimmt. Da muss man aufpassen. Gerade in Corona-Zeiten!

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

ZUR PERSON: David Schalko, geboren 1973 in Waidhofen an der Thaya und aufgewachsen in Wien, ist einer der profiliertesten Fernsehmacher des Landes. Er entwickelte für den ORF Formate wie "Sendung ohne Namen" oder die Late-Night-Show "Willkommen Österreich" und hatte mit Filmen wie "Aufschneider" mit Josef Hader und Serien wie "Braunschlag" oder "Altes Geld" große Erfolge. 2019 hatte seine Mini-Serie "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" bei der Berlinale Premiere. Gemeinsam mit John Lueftner führt er die Produktionsfirma Superfilm. "Bad Regina" ist nach "Frühstück in Helsinki", "Weiße Nacht", "Knoi" und "Schwere Knochen" sein fünfter Roman.

ribbon Zusammenfassung
  • Seine Sky-Mini-Serie "Ich und die Anderen" befindet sich in Fertigstellung, eine Verfilmung der Ibiza-Affäre in Vorbereitung.
  • Am Donnerstag erscheint sein fünfter Roman "Bad Regina".
  • Ein Gespräch mit einem tiefenentspannt wirkenden Autor und Regisseur, der beim Thema ORF deutlich wird: Der Sender bräuchte "einen gewaltigen Schub, um im 21. Jahrhundert mitspielen zu können", ORF 1 "eine ganz starke Veränderung".