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"Das Lehrerzimmer": Idealismus prallt auf Einzelinteressen

Was passiert, wenn Idealismus auf althergebrachte Strukturen trifft und diese plötzlich infrage stellt? Regisseur İlker Çatak geht in "Das Lehrerzimmer" dieser Frage im Mikrokosmus einer Schule nach, in der eine junge, engagierte Lehrerin Missstände aufklären will, dabei aber selbst ins Kreuzfeuer gerät. Das Drama feierte am Sonntag bei "Crossing Europe" in Linz Österreichpremiere und kommt ab 12. Mai in die heimischen Kinos.

Carla Nowak (Leonie Benesch, kürzlich bei der Berlinale als "European Shooting Star" ausgezeichnet) ist neu an der Schule. Dass die junge Mathematik- und Sportlehrerin ihren Job liebt, ist mehr als offensichtlich. Und sie bringt auch eine gehörige Portion Idealismus mit, setzt sich für die Schülerinnen und Schüler ein und ist in ihrer Klasse beliebt.

Dieser Idealismus ist es auch, der sie versuchen lässt, Diebstähle an ihrer Schule in Eigenregie aufklären zu wollen. Denn sie glaubt bald nicht mehr, dass sich der Täter oder die Täterin unter den Schülern versteckt. "Das Wichtigste, was ihr verstehen müsst, ist, dass ein Beweis immer eine Herleitung braucht - Schritt für Schritt", bringt sie ihrer Klasse im Mathematikunterricht bei. Und diesen Grundsatz versucht sie mit einem Videobeweis auch auf die Diebstähle anzuwenden.

Doch was die geladene Stimmung an der Schule entspannen sollte, heizt diese nur auf. Unterstellungen in der Eltern-WhatsApp-Gruppe, ein diffamierender Artikel in der Schülerzeitung und zunehmendes Unverständnis für Carlas Handlungen im Lehrerkollegium lassen die Situation eskalieren. In all diesen Verwicklungen behält sie ihre moralischen Ansprüche bei - und scheint trotzdem meist das Falsche zu tun. Es schmerzt beinahe, zuzusehen, dass sich Carla niemandem anvertraut, sondern die Probleme alleine zu lösen sucht.

Der Film bietet einen wohl durchaus realistischen Einblick in den Alltag (engagierter) Lehrerinnen und Lehrer, geprägt von Multitasking, Vertretungsstunden und fehlender Zeit zum Durchatmen: Carla Nowak wechselt nahtlos vom Unterricht zur Klassenkonferenz zum Elternabend. Die Charaktere sind pointiert, aber nicht klischeehaft gezeichnet, es wird nicht nur gesudert und gejammert, sondern insgesamt scheint an der Schule - abgesehen von den Diebstählen - ein guter Geist zu wehen. Trotz aller Dilemmata versucht die Schulleiterin konstruktive Lösungen zu finden, auch wenn sich manches Vorgehen schon wenig später als unklug entpuppt.

An keinem Punkt des Films verlässt die Kamera das Schulgelände und das 4:3-Format richtet den Fokus besonders stark auf die Protagonistin, die in jeder Szene vorkommt. "Das Lehrerzimmer" ist wohl auch deshalb ein emotional dichter Film, der kaum Zeit lässt, durchzuatmen und die Spannung bis zum Ende aufrecht hält. Auf diesem Hintergrund ist es schade, dass eine Auflösung völlig ausbleibt und die Schlussszene das Drama beinahe ins Lächerliche zieht. Dennoch ist der Streifen - nicht nur für Lernende und Lehrende - sehenswert, da er auch ein Schlaglicht auf die heutige Debattenkultur wirft, in der ein Shitstorm häufig dem klärenden Gespräch vorgezogen wird.

(S E R V I C E -"Das Lehrerzimmer" von İlker Çatak, Verleih in Österreich: Panda Lichtspiele, Kinostart in Österreich: 12. Mai 2023, www.crossingeurope.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Regisseur İlker Çatak geht in "Das Lehrerzimmer" dieser Frage im Mikrokosmus einer Schule nach, in der eine junge, engagierte Lehrerin Missstände aufklären will, dabei aber selbst ins Kreuzfeuer gerät.
  • Und sie bringt auch eine gehörige Portion Idealismus mit, setzt sich für die Schülerinnen und Schüler ein und ist in ihrer Klasse beliebt.
  • Und diesen Grundsatz versucht sie mit einem Videobeweis auch auf die Diebstähle anzuwenden.