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"Abenteuer der Erinnerung": Menachem Kaisers Buch "Kajzer"

Am Montag kommt der kanadische Autor Menachem Kaiser nach Wien, um sein Debütbuch "Kajzer" vorzustellen. Darin schildert er die abenteuerliche Spurensuche nach seinen aus Polen vertriebenen oder im Holocaust umgebrachten Vorfahren, den Versuch, ein Wohnhaus als einstigen Familienbesitz restituiert zu erhalten, sowie seine Begegnung mit auf NS-Memorabilien spezialisierten "Schatzjägern". Vor seinem Aufbruch nach Wien beantwortete Kaiser einige Fragen zu seinem Buch.

APA: Herr Kaiser, mit "Kajzer" sind Sie in eine Welt eingetreten, die manche als "Shoah-Business" bezeichnen: die schmerzhafte Erinnerung an grauenhafte Ereignisse und den schwierigen Prozess der Nachgeborenen auf allen Seiten, damit umzugehen. Ganz generell gesprochen: Hat Sie die Zeit seither bereichert? Oder halten sich positive und negative Erfahrungen die Waage?

Menachem Kaiser: Nun, das ist interessant, denn ich bin eigentlich nicht mit dem aufgewachsen, was ich als "Holocaust-Trauma" bezeichnen würde. Obwohl beide Eltern meines Vaters Überlebende des Holocaust waren und auch ein Elternteil meiner Mutter, habe ich das nicht wirklich "gespürt", als ich aufwuchs. Es war weit, weit im Hintergrund. Natürlich war mir der Status meiner Großeltern bewusst (wenn auch nicht ihre Erfahrungen), und der Krieg war ein Thema, mit dem wir uns in der Schule ausgiebig beschäftigten, aber ich hatte nicht das Gefühl eines Traumas. Das lag zum Teil daran, dass das in meiner Gemeinde extrem normal war - alle waren orthodoxe Juden, und fast alle Großeltern waren Überlebende. Meine Situation fühlte sich überhaupt nicht ungewöhnlich an, und mein Vater war von dem Thema auch nicht besessen wie andere Kinder von Überlebenden. Wie sich der Holocaust durch seine Eltern auf ihn ausgewirkt hat, ist eine Frage, über die meine Geschwister und ich gerne diskutieren, aber was auch immer es ist, es liegt nicht oberflächlich zutage.

Die Beschäftigung mit diesem Thema, die Recherche und das Schreiben des Buches waren also eine Art glücklicher Zufall - ich bin nicht mit der Motivation gestartet, meine Vergangenheit auszugraben und zu verarbeiten. Es ist etwas, das mir irgendwie passiert ist (mir ist klar, wie passiv das klingt und dass das vielleicht nicht zum Schreiben eines Buches passt, aber es ist, was es ist). In diesem Sinne war es sicherlich bereichernd - es war kein sentimentales Projekt, sondern ein künstlerisch-intellektuelles Projekt, das etwas Sentimentales hervorgebracht hat.

Teile des Buches enthüllten eine sehr dunkle Geschichte, aber ich neige nicht dazu, mich damit zu beschäftigen; für mich sind die interessantesten Fragen sozusagen "hinter" dem Trauma. Und ich verbinde keine negativen Erfahrungen mit diesem Buch - so wie das Kennenlernen einer schrecklichen Geschichte für mich nicht mit einer schrecklichen Erfahrung gleichzusetzen ist. Die einzigen schrecklichen Erfahrungen waren die Frustrationen, die mit dem Schreiben einhergehen, aber das gilt für jede Art des Schreibens und jedes Thema.

APA: Sie betonen, es handle sich dabei um ein Sachbuch, obwohl ihr Buch von unglaublichen Begebenheiten berichtet. Was hat Sie davon abgehalten, sich wirklich auf Fiktion und Fantasie einzulassen und dem, was Sie erlebt haben, noch eines draufzusetzen?

Kaiser: Ich habe überlegt, ob ich einen Roman daraus machen sollte, aber letztendlich hatte ich das Gefühl, dass das nicht wirklich funktionieren würde - meine Geschichte funktioniert, weil sie wahr ist. Ich hatte das Gefühl, dass ein Roman die Unordnung nicht einfangen könnte. Strukturell ist mein Buch ungewöhnlich locker. Es gibt nicht wirklich viel Erzählung in der Geschichte - was die Geschichte antreibt, sind Fehler, Irrtümer, Zweideutigkeiten, Unentschlossenheit. Es ist also wirklich sehr innerlich. Und es ist auch ziemlich organisch entstanden. Ich hatte nicht vor, ein Buch über Polen/Holocaust/meine Familie zu schreiben - ich war sogar strikt dagegen, weil ich es für sehr schwierig hielt, Klischees und Sentimentalitäten zu vermeiden. Dies ist also eine viel wahrhaftigere Darstellung der Ereignisse.

Und schließlich habe ich den Buchvorschlag als Sachbuch verkauft, und als das geschehen war, war ich fest entschlossen, das Ding zu schreiben. Wenn Schriftsteller über den Anstoß zu ihrer Arbeit sprechen, reden sie nicht oft über die Kräfte des Marktes, aber sie sind da.

APA: Schlesien beschreiben Sie als eine Art Märchenland, ein Fantasyland, in dem es von verborgenen Schätzen, Schatzsuchern und Sagen nur so wimmelt und sich Mittelalter und NS-Zeit zu einer seltsamen Mischung verbinden. Wieso hat sich dort so eine spezielle Atmosphäre entwickelt?

Kaiser: Wer weiß! Ich glaube, es liegt zum Teil daran, dass es so viele Verschiebungen gegeben hat und etwas von diesen untergegangenen Kulturen und Völkern übrig geblieben ist, und all diese Dinge vermischen sich. Es ist auch so, dass es dort wirklich eine Menge Schätze gibt - in Form von Mineralien, Kohle, Silber, Gold, usw. Und ich glaube, es gibt einen Stolz der Schlesier - sie pflegen diese Mythen, ihren Ruf als Sucher und Entdecker.

APA: Wie hat sich die Gerichtscausa um das Haus Ihrer Familie weiterentwickelt? Gab es Fortschritte seit dem Abschluss des Buches?

Kaiser: Ich konnte die Sterbeurkunden für meine verstorbenen Verwandten besorgen, was die größte Hürde war. Jetzt geht es also langsam voran. Vor einem Jahr versuchte die Stadt, das Grundstück zu beschlagnahmen und behauptete, sie habe das Recht dazu, weil seit 1990, als das Land unabhängig wurde, 30 Jahre vergangen seien. Das stimmte nicht, denn ich habe die Papiere 2015/16 eingereicht. Aber in gewisser Weise war es auch eine willkommene Entwicklung, und zwar aus zwei Gründen: Erstens erkannte die Stadt damit zum ersten Mal offiziell an, dass das Grundstück meiner Familie gehört. Und zweitens würde ich im Falle eines Erfolgs der Stadt zwar das Haus verlieren, aber zumindest wäre die Geschichte damit abgeschlossen. Es wäre zwar eine Ungerechtigkeit, aber zumindest eindeutig. Ich müsste mich nicht mehr fragen, ob der Widerstand, mit dem ich konfrontiert war, auf Böswilligkeit oder auf etwas Harmloseres, wie bürokratische Verzögerung, zurückzuführen war. Aber der Versuch der Stadt ist gescheitert, zumindest bis jetzt.

APA: Fortschritte gab es wohl bei der politischen Lage in Polen. Bei den Wahlen ist nun eine europafreundliche Regierung an die Macht gekommen. Gleichzeitig ist nach dem Hamas-Überfall europaweit eine neue Antisemitismuswelle spürbar. Wie beurteilen Sie diese beiden Entwicklungen?

Kaiser: Die jüngsten Wahlen in Polen sind eine wunderbare Nachricht. Ich erinnere mich, wie dramatisch, wie traumatisch es 2015 war, als PiS an die Macht kam. Die meisten meiner Freunde in Polen - die in den späten 1980er oder frühen 1990er geboren wurden - hatten nur eine ununterbrochene Verbesserung ihres Landes erlebt, zumindest in Bezug auf liberale, westliche, demokratische Werte. Die damalige Wahl war ein enormer und beunruhigender Schritt zurück. Für mich war das jetzige Wahlergebnis daher die beste politische Nachricht in diesem Jahr.

Um ganz ehrlich zu sein, kann ich mich zu dieser neuen Welle des Antisemitismus nicht wirklich äußern, außer zu sagen, dass jeder Fall von Antisemitismus sehr schlimm und falsch ist. Ich kenne mich mit den politischen Nuancen der meisten europäischen Länder nicht gut genug aus, sodass meine Kommentare dazu nicht viel wert sind.

APA: Sie kommen nun nach Wien. Einerseits hat man hier eine ganz und gar unrühmliche Vergangenheit, was den Antisemitismus betrifft, anderseits hat es hier in den vergangenen Jahren vorbildliche Initiativen etwa bei der Restitution ehemals jüdischer Kunstsammlungen gegeben. Was verbindet Sie mit Wien, mit welchen Gefühlen kommen Sie hierher?

Kaiser: Ich liebe Wien schon lange, auch wenn ich nie viel Zeit hier verbracht habe. Für mich fühlt es sich immer so an, wie sich Amerikaner eine europäische Hauptstadt vorstellen: schön, stattlich, irgendwie ruhig und königlich, Coffeeshops, die anderswo prätentiös wären, hier aber herrlich sind. Und ich habe sogar Familie hier - sie sind Teil der chassidischen Gemeinde.

(Die Fragen stellte Wolfgang Huber-Lang/APA per Mail)

ZUR PERSON: Der in Toronto aufgewachsene Kanadier Menachem Kaiser wurde 1985 geboren, studierte kreatives Schreiben an der University of Michigan und arbeitet als Autor u. a. für den "New Yorker", das "Wall Street Journal" und "The Atlantic". Er lebt in Brooklyn. "Kajzer" (Originaltitel: "Plunder: A Memoir of Family Property and Nazi Treasure") ist sein erstes Buch. Dafür erhielt er 2022 den Sami-Rohr-Preis für jüdische Literatur.

(S E R V I C E - Menachem Kaiser: "Kajzer. Mein Familienerbe und das Abenteuer der Erinnerung", Aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer, Zsolnay Verlag, 336 Seiten, 28,80 Euro, ISBN 978-3-552-07339-5; Lesung am Montag, 20.11., 19 Uhr, im Republikanischen Club, Wien 1, Fischerstiege 1-7, R1, Moderation: Doron Rabinovici)

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  • Am Montag kommt der kanadische Autor Menachem Kaiser nach Wien, um sein Debütbuch "Kajzer" vorzustellen.