puls 24 tiktok eu-wahl europawahlPULS 24

TikTok: Ein toxischer Cocktail aus Wahrheit und Lüge

TikTok spielt mit politischen Inhalten Katz-und-Maus - die Vermutung steht im Raum, dass Faktenchecks weniger Reichweite bekommen als stark-polarisierte oder emotionalisierte Inhalte. Wie umgehen mit der Plattform? PULS 24 hat bei einer TikTok-Faktencheckerin nachgefragt.

2023 hatte TikTok in Österreich mehr als zwei Millionen Nutzer, die mindestens einmal monatlich auf der umstrittenen chinesischen Video-App unterwegs waren. Viele sehen die Online-Plattform als Schlüssel für das Erreichen der jungen Zielgruppe. Nur: Auf TikTok kursiert viel Desinformation und große Wellen schlagen vor allem hoch polarisierende Inhalte auf der Plattform. Im Gespräch mit PULS 24 erklärt Journalistin Iris Strasser von der Plattform "Bait", was es mit der App und der Wahrheit auf sich hat. 

PULS 24: Oftmals wird der jungen Menschen, der Gen Z oder Digital Natives eine höhere Digitalkompetenz zugeschrieben. Wie ist euer Eindruck?

Iris Strasser: Mit "Digitaler Kompass" stehe ich als Medientrainerin auch in Schulen. Dabei fällt mir auf, dass Jugendliche grundsätzlich nicht zu unterschätzen sind und oft Deepfakes und generell bearbeitete Inhalte technisch wesentlich besser erkennen können als jemand, der kein Digital Native ist. Den Jugendlichen fehlt oft das Hintergrundwissen, das den notwendigen Kontext liefert.

Vorsichtig ausgedrückt fehlt durch das schnelle Konsumieren der Infos der Hausverstand, bei Dingen, die überhaupt keinen Sinn ergeben, wenn sie so passiert wären.

Es kommt oft vor, dass Fotos und Videos erneut verbreitet werden, die eigentlich schon alt sind und nichts mit aktuellen Ereignissen zu tun haben, sei es im Kriegskontext oder Unfällen, die viel Aufmerksamkeit bekommen, wie der Einsturz der Brücke in Baltimore.

View post on TikTok

Unsere Aufgabe als Journalist:innen wäre es, Jugendlichen da die richtige, altersgerecht aufbereitete Information zu liefern. 

Jugendlichen fehlt manchmal auch die Eigeninitiative. Man merkt ja auch selbst, dass einen die Flut an Information auf TikTok abstumpft. Zum Beispiel bei Kriegen und Konflikten. Damit man ein emotionalisierendes Video selbst nachrecherchiert, braucht es auch ein gewisses Interesse und die Zeit.

Aber auch das Such-Verhalten junger Menschen ist anders: ChatGPT bietet einfachere Lösungen, im Vergleich zu einer Linksammlung, wie sie Google lieferte. Dort musst du dich mit eigenem Wissen durchkämpfen. Aber auch TikTok selbst wird immer mehr zur Suchmaschine.

View post on TikTok

TikTok liefert ja auch automatische Suchvorschläge. Sind das Dinge, die Menschen sozusagen wirklich auf TikTok googlen, oder kommen diese Vorschläge anders zustande?

Wir glauben, und das ist nur eine Vermutung, dass es sich aus dem Gesagten, aus dem Bildern/Screenshots und Untertitel im Video selbst, und aus der Caption (Video-Beschreibung) ergeben könnte. Aber es gibt dazu von TikTok selbst keine Daten.

Also ein Cocktail aus Infos, aber auch die Kommentare zum Video könnten diese Vorschläge beeinflussen.

Wie sind eure Erfahrungen als Organisation in der direkten Kommunikation mit TikTok?

Wir hatten zuletzt das Problem, dass unser Werbeaccount gesperrt worden ist. Sprich, du kannst jedes einzelne Video auf TikTok bewerben. Wir sind verwarnt worden, weil wir eben politischen oder vermeintlich zu politischen, unter Anführungszeichen, Content gemacht haben - unter anderem bei einem Video, das den "Illusory Truth Effect" erklärt, der nicht politisch ist. In dem Video kam nur ein paar Sekunden lang ein Bild von US-Ex-Präsident Donald Trump vor.

View post on TikTok

Ein gesperrter Werbeaccount ist insofern schlecht, weil wir ohne Werbung als so kleiner Account mit Medienkompetenz-Inhalten natürlich langsamer vorankommen. Wir haben monatelang versucht, mit TikTok in Kontakt zu treten, um herauszufinden, nach welchen Kriterien konkret entschieden wird. Antworten haben wir kaum bekommen.

Jetzt ist vor kurzem die Adlibrary auch in Österreich zugänglich geworden. Hier kann man nachsehen, welche Videos beworben wurden. Mit dem Argument, dass es einige beworbene Videos gab, die deutlich politischer und von Medien waren, wurden wir wieder freigeschalten.

Merkt ihr Unterschiede in der Reichweite von Unterhaltungs- oder Informationsvideos?

Videos, wie zur Erklärung eines vermeintlichen Zombie-Virus, dass von Hirschen auf Menschen überschwappen soll, die performen sehr gut. Aber diese Geschichte stimmt so überhaupt nicht - es gab keinen einzigen Fall von Übertragung des Virus' auf Menschen. Aber dieser Inhalt betrifft und emotionalisiert - organisch (also unbezahlt) erreichte dieses Video 164.000 Aufrufe. 

View post on TikTok

Eine Woche später haben wir ein Video zum Spendenfilter auf TikTok gemacht und wo diese Gelder hingehen - also ein bisschen kritischer und das bekam dann 633 Aufrufe. 

Das ist schon ein massiver Unterschied. Dann kommt natürlich oft das Argument, naja, dann war das Video nicht gut genug. Das war einfach nicht spannend für die Menschen. Aber man weiß halt nicht, was vorher war. Haben es die Menschen gesehen und weggeklickt oder wurde es nie angezeigt.

Auf TikTok werden nun auch Inhalte mit einem "KI"-Label gekennzeichnet. Was bedeutet das in diesem Fall?

Ich sehe das relativ selten, muss ich ehrlich sagen. Diesen "KI generiert" Zusatz. Es ist für mich gerade nicht klar nachvollziehbar, worauf es sich bezieht. Es gibt als Creator einen Haken, wo man KI generierte Inhalte ankreuzen kann, aber es ist nicht klar, was genau damit gemeint ist.

Wie soll man sich auf TikTok zurechtfinden?

Ich würde ansetzen mit der Medienkompetenz, bei den Jungen und den Alten.

Auch TikTok hat auf jeden Fall Verantwortung und einige Hebel, um das alles transparenter zu machen. Eben zum Beispiel, dass man KI generierte Inhalte kennzeichnen muss und nicht nur freiwillig kann. Und auch klarer zu machen, was aus welchen Reihen kommt. Damit meine ich, ist das ein Politiker, ist das Journalismus, ist das ein Content Creator, bekommt die Person Geld dafür? Influencer müssen seit einiger Zeit angeben, ob das Werbung ist oder nicht. Das war ein erster Schritt in Richtung Transparenz für Nutzer, dass denen klar ist, okay, die Person könnte mir gerade in den höchsten Tönen von dem Produkt erzählen, weil es Werbung ist. Journalisten dürfen dabei aber nicht gleich wie Influencer behandelt werden.

Video: Nahost - Propaganda-Krieg auf TikTok

Und die EU? Aktuell läuft ein Verfahren gegen TikTok, ob dadurch die psychische Gesundheit von Minderjährigen gefährdet wird. Dabei soll der Konzern gegen den Digital Services Act (DSA) verstoßen haben. Manche Beobachter sehen ja die neue Default-Verbergung von politischen Inhalten auf der Meta-Plattform Instagram als Antwort auf den DSA. 

Das glaube ich auch. Also das ist eine ganz klare Antwort auf den DSA, dass man sagt, es ist einfach ein glattes Eis für das Unternehmen. Und dadurch haben sie gesagt, dann machen wir gleich gar keine politischen Inhalte mehr. Dann können wir bezüglich filtern der Desinformation nicht ausrutschen. Ob die eigenen Nutzer jetzt politische Inhalte bekommen und Infos oder nicht, das ist ihnen in Wirklichkeit egal. Also ich glaube auch, dass das ganz stark eine Antwort auf die Reglementierung vom Digital Services Act ist.

Aktuell sind in Österreich 146 Politiker:innen auf TikTok aktiv. Hier wird aber nichts beworben, das ist über die Community Guidelines von TikTok geregelt.

Mein Kritikpunkt ist, dass Journalismus ja ohne Politik, politischen Content nicht funktioniert. Und dass es schon richtig und wichtig ist, Politiker:innen einzuschränken, dass die da jetzt nicht eine zu große Plattform unreglementiert auf TikTok haben. Auch politische Werbung, für die Creators bezahlt werden, darf nicht zusätzlich beworben werden. Journalismus wird es auf dieser Plattform aber schwer gemacht.

Wie sind eure Wahrnehmungen aktuell zu Politik, EU-Wahl und TikTok?

Die Rechten sind sehr, sehr stark und Politiker:innen werden stark vermenschlicht. Es ist mittlerweile, denke ich, klar, dass Themen und Inhalte nicht so gut ziehen auf TikTok. Also verpackt man das mit irgendeinem lustigen Video.

View post on TikTok

Über "Bait"

"Bait" ist ein Fakten-Check-Kanal für Jugendliche auf TikTok. Die Zielgruppe sind 14- bis 19-Jährige. Der Ursprungsgedanke war, virale Videos auf TikTok, die falsche Informationen enthalten, genauer anzuschauen und da einfach Erklärstücke drüber zu machen.

ribbon Zusammenfassung
  • TikTok spielt mit politischen Inhalten Katz-und-Maus - die Vermutung steht im Raum, dass Faktenchecks weniger Reichweite bekommen als stark-polarisierte oder emotionalisierte Inhalte.
  • Wie umgehen mit der Plattform? PULS 24 hat bei einer TikTok-Faktencheckerin nachgefragt.
  • Warum haben es Faktenchecks auf TikTok schwer, und was hat die EU und der Digital Services Act damit zu tun?