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Wie Gebärdensprache im Südsudan entwickelt wurde

34 Volksgruppen, rund acht Millionen Binnenvertriebene bei einer Bevölkerungszahl von rund elf Millionen, auf der Weltkarte erscheint der Südsudan meist nur in Verbindung mit dem Attribut "failed state", und dennoch: Gerade dieses Land, eines der ärmsten der Welt, entwickelt seit einigen Jahren eine eigene Gebärdensprache. 2021 wurde mit Unterstützung von "Licht für die Welt" das zweite südsudanesischen Gebärdenlexikon veröffentlicht. Das dritte ist in Arbeit.

Die Voraussetzungen waren und sind denkbar schwierig, wie Sophia Mohammed, Südsudan-Länderdirektorin von "Licht für die Welt", der Fachorganisation für Menschen mit Behinderungen, im Vorfeld des Internationalen Tags der Gebärdensprache im Gespräch mit der APA sagte. Offiziell anerkannte Gebärdensprachen gibt es auf dem afrikanischen Kontinent nur in Kenia, Uganda und Südafrika. Da praktisch in nahezu allen Staaten viele verschiedene Volksgruppen mit zahlreichen unterschiedlichen Sprachen leben, ist die Entwicklung einer nationalen Gebärdensprache überall überaus kompliziert.

Im Südsudan, der erst seit Juli 2011 als eigener Staat existiert, kam dazu, dass von 2013 bis 2018 Bürgerkrieg herrschte, was zahlreiche Bewohner in die Flucht in Nachbarstaaten trieb. Daher wurden von südsudanesischen Gehörlosen meist Gebärden aus Kenia, Uganda und Äthiopien verwendet. "Licht für die Welt" wollte hier Abhilfe schaffen.

Bereits 2016, also inmitten der kriegerischen Auseinandersetzungen, begann das Projekt von "Licht für die Welt", das auch die Regierung unterstützte: "Wir hatten Gehörlose aus zehn Bundesstaaten zusammenzubringen und deren Gebärden zu sammeln", schilderte Mohammed. Das Resultat war ein erstes Basislexikon mit 210 Gebärden, das in jenem Jahr veröffentlicht wurde. Bis zur deutlich erweiterten Ausgabe mit 810 Gebärden dauerte es fünf Jahre, bis es 2021 publiziert wurde.

Der Einigungsprozess unter den Vertretern aus den zehn Regionen war ein mühsamer: "Wir müssen uns ja einig werden über die Gebärden. Es benötigt oft einen ganzen Tag, um für einen Begriff den Konsens zu erzielen", erläuterte die "Licht für die Welt"-Länderdirektorin. Hilfreich war, dass sich die Projektverantwortlichen Unterstützung aus den Niederlanden holten. Ein gehörloser Forscher mit Äquidistanz zu den beteiligten Volksgruppen und Regionen, der manchmal als Regulator und öfter als Mediator auftrat, konnte mithelfen, dass der Auswahlprozess der Gebärden zwar schwierig, aber konstruktiv war und ist.

Und er geht weiter: "Wir arbeiten daran, das Lexikon zu digitalisieren", sagte Sophia Mohammed. Es soll auch bald die dritte Ausgabe erscheinen, diesmal mit rund 2.000 Gebärden. Warum das Projekt 2015 gestartet wurde, erklärte sie so: "Menschen mit Gehörschaden sind die am stärksten marginalisierte Gruppe, beispielsweise in Schulen. Blinde oder Menschen mit physischen Behinderungen können dennoch am Unterricht teilnehmen, Gehörlose nicht."

Im Südsudan gibt es sechs Gebärdensprachen-Dolmetscherinnen und -Dolmetscher sowie vier Sozialarbeiter und -arbeiterinnen, die mit der Gehörlosen-Community arbeiten. Die Gebärden in den Lexika kommen aus allen Ethnien, was laut "Licht für die Welt" zum friedlichen Zusammenleben beiträgt. Dazu habe die Entwicklung der eigenen Gebärdensprache den Gehörlosen auch mehr Selbstbewusstsein gebracht.

Gehörlose stehen besonders in Ländern des globalen Südens oft vor großen Problemen. Gebärdensprachen sind besonders wichtig, um Barrieren beim Zugang zu Bildung, Arbeit und sozialen Dienstleistungen zu überwinden. Zusätzlich erschwerend wirkt, dass es weder ausgebildetes Lehrpersonal noch Unterrichtsmaterialien gibt, wodurch gehörlose und schwerhörige Kinder von Schulbildung ausgeschlossen sind.

Auch in Österreich liegt das Problem in den Menschen, die sie unterrichten können. Organisationen wie "Licht für die Welt" würden sich freuen, wenn es eine breitere Einbindung in den heimischen Schulunterricht gäbe, und sei es als Freifach. "Es scheitert schlicht und einfach daran, dass es zu wenig Lehrende gibt", hieß es gegenüber der APA.

Zum "Internationalen Tag der Gebärdensprachen" noch einige wissenswerte Fakten: Die Gebärdensprachen sind auf der ganzen Welt nicht einheitlich, sondern es gibt nationale Varianten, die sich teils sehr stark voneinander unterscheiden. Und innerhalb der Gebärdensprachen gibt es, wie bei jeder anderen natürlichen Sprache auch, Dialekte und Soziolekte, also zum Beispiel die Verschiedenheit zwischen Jugendsprache und der der älteren Generation. Gebärdensprachen wurden auch nicht erfunden, sondern entstanden auf natürliche Weise in den Gehörlosengemeinschaften.

Für die Gehörlosen sind Gebärdensprachen ihre Muttersprache oder Erste Sprache, die ihnen erst die Möglichkeit gibt, sich auszudrücken und mit anderen Menschen zu kommunizieren. Verwendet werden dabei die Hände, die Augen, der Mund, der Gesichtsausdruck sowie die Körperhaltung. Weltweit leben laut "Licht für die Welt" mehr als 70 Millionen gehörlose Menschen. Mehr als 80 Prozent der Gehörlosen und schwerhörigen Menschen wohnen demnach in sogenannten Entwicklungsländern. Mehr als 300 verschiedene Gebärdensprachen werden weltweit verwendet. Unter anderem bei Meetings und auf Reisen wird eine internationale Gebärdensprache angewandt. Die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) ist seit 2005 als Sprache anerkannt und in der heimischen Bundesverfassung verankert.

ribbon Zusammenfassung
  • 2021 wurde mit Unterstützung von "Licht für die Welt" das zweite südsudanesischen Gebärdenlexikon veröffentlicht.