Senkung des Strafalters? Kinder nach Haft "noch kaputter"
17 Jugendliche sollen eine Zwölfjährige über Monate hinweg missbraucht haben, die mutmaßlichen Täter sind teils selbst unter 14 und damit strafunmündig. Für Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) ein Anlass, um bei schweren Delikten wie Vergewaltigungen härter durchzugreifen.
Konkret solle etwa die Herabsetzung der Strafmündigkeit angedacht werden. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler und Innenminister Gerhard Karner (beide ÖVP) sollen ein entsprechendes Paket erarbeiten. Auch Edtstadler betont, dass die Absenkung des Strafalters überlegt gehöre.
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Kinder "kaputter" nach einer Haft
Der Vorschlag traf auf breite Kritik von Expert:innen. Von Haftstrafen für Unter-14-Jährige hält etwa Ingrid Pöschmann, Sprecherin der Kinder- und Jugendhilfe (MA 11), nichts. Zum Beispiel können in Großbritannien schon Zehnjährige ins Gefängnis kommen: "Die Kinder kommen ja noch kaputter raus", betont Pöschmann im PULS 24 Gespräch.
Für eine Strafmündigkeit brauche es zudem "eine gewisse Reife", um überhaupt eine Schuld einsehen zu können, diese würden Unter-14-Jährige noch nicht haben. Wenn Kinder und Jugendliche straffällig werden, wird schließlich auch aktuell nicht tatenlos zugesehen. Die MA 11 übernimmt - gemeinsam mit einer Reihe von Vereinen - die Arbeit mit den Betroffenen.
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Kindeswohl im Vordergrund
Die MA 11 kümmert sich nicht nur um jugendliche Straftäter:innen, sondern um das Wohl aller Kinder zwischen Null und 18 Jahren. Ihre Arbeit wird durch eine Gefährdungsmeldung zu einem Kind angestoßen, die kann etwa von Polizei, Schule, Krankenhaus, den Eltern oder auch dem Kind selbst ausgehen.
In einem nächsten Schritt schätzen Sozialarbeiter:innen ein, ob das Kind gefährdet ist, und ob es bei den Eltern bleiben kann oder nicht. Dabei müsse die MA 11 immer zum "gelindesten" Mittel greifen: "Wir können nicht wie die Feuerwehr hinfahren, Brand löschen, und sagen: Das Kind geht gleich mit", stellt Pöschmann klar.
Einbindung der Eltern
Besonders wichtig sei die Zusammenarbeit mit den Eltern bzw. Bezugspersonen, so auch im Fall von jugendlichen Straftäter:innen. Kooperieren die Eltern wider Erwarten nicht, können die Kinder in betreuten Wohngemeinschaften untergebracht werden. Jede Gruppe beherbergt zwischen vier und acht Jugendliche sowie speziell ausgebildete Sozialpädagog:innen.
In der Regel würden die Kinder aber bei ihren Eltern bleiben und ambulant betreut werden, so Pöschmann. Für jeden Fall würden "individuelle Hilfepläne" erstellt. So werden sowohl die Eltern beraten, wie sie im Alltag "fitter" beim Umgang mit ihren Kindern werden, als auch die Psychotherapie der Jugendlichen finanziert. Zudem stehen Sozialarbeiter:innen den Familien zur Seite.
Im Rahmen der Betreuung würde auch geklärt werden, in welchem Setting die Jugendliche ihrer Schulpflicht nachkommen können. Dabei werde eng mit Polizei und Schule zusammengearbeitet, so Pöschmann. Teils würden die Straftäter:innen auch in kleineren Extra-Klassen unterrichtet werden.
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Maßnahmen bei sexuellen Übergriffen
Besonders in der Zusammenarbeit mit spezialisierten Vereinen sollen die jugendlichen Straftäter:innen lernen, mit Situationen besser umzugehen. Der Verein "Cult - Jugendarbeit wirkt" bietet etwa konfrontatives Ressourcentraining an.
Über einen Zeitraum von einigen Monaten setzen sich dort Jugendliche zwischen 13 und 16 Jahren in Einzel- und Gruppen-Settings mit ihrem Verhalten auseinander. Laut Pöschmann gehe es dabei um die Frage: "Wie geht es dem Opfer, wenn ich mich so benehme?" Auch werde viel in "erlebnispädagogischen Settings" in der Natur gearbeitet, "weil die Natur zeigt einem Menschen immer wieder die Grenzen auf".
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Geplant ist auch eine neue Maßnahme für Kinder von neun bis 13 Jahre, die sich sexuell auffällig verhalten. Ab dem Sommer bzw. Frühherbst werde der Verein "Limes" Therapie für Täter:innen anbieten, die "schwere, sexuelle Grenzübertretungen gemacht haben", so Pöschmann. Dabei gehe es um sexuelle Übergriffe, "bei denen Kinder andere Kinder zu sexuellen Handlungen genötigt haben".
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"Kinder, die Probleme machen, haben Probleme"
Wichtig sei natürlich ein ganz klares "'Nein' zu Gewalt", hält Pöschmann fest, aber "wir wissen ganz genau, dass Kinder, die Probleme machen, Probleme haben". Dem schließt sich auch Thomas Marecek vom Verein Neustart, der Straffällige etwa bei ihrer Bewährungshilfe unterstützt, an.
Man müsse sich bei der Aufarbeitung intensiv mit den Hintergründen und den Lebenssituationen der Straftäter:innen auseinandersetzen, ein Strafverfahren könne das bei straffälligen Kindern nicht leisten, so Marecek im PULS 24 Gespräch.
Statt einer Senkung des Strafalters brauche es mehr Prävention, fordert er, dort könne "man nie genug machen". Konkret betreffe das Maßnahmen, wie den Ausbau der Schulbausozialarbeit, vermehrte Konfliktlösungstrainings oder auch mehr frühzeitige Unterstützungsangebote für Eltern, wie sie die MA 11 bereits anbietet. Auch ausreichend Angebote in der Kinder- und Jugendpsychiatrie seien wichtig, da straffällige Täter:innen "mitunter psychische Erkrankungen" hätten.
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Unter-14-Jährige müssten Handlungsalternativen für Situationen lernen, in denen sie bereits einmal straffällig wurden, und nicht härter bestraft werden, sind sich Pöschmann und Marecek einig.
Zusammenfassung
- Nach dem Missbrauch einer Zwölfjährigen mit insgesamt 17 Tatverdächtigen regte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Wochenende eine Senkung der Strafmündigkeit an.
- Für den Vorschlag hagelte es Kritik von Expert:innen, Gefängnisse würden Kinder "nur kaputter" machen.
- Doch was geschieht aktuell mit jugendlichen Straftäter:innen?
- PULS 24 hat nachgefragt.