Einem Kleinkind wird der Rücken mit Sonnencreme eingeschmiertAdobe Stock

TikTok-Hype: Wie schädlich ist Sonnencreme?

Sonnencreme steht unter Beschuss: Statt zu schützen, soll sie angeblich schädlich sein. TikToker:innen verbreiten den Mythos, Sonnenschutz wäre krebserregend. Doch wie viel Wahrheit steckt in diesen Gerüchten? Kann man sich noch mit gutem Gewissen gegen UV-Strahlen schützen? PULS 24 hat darüber mit einem Experten gesprochen.

In Zeiten wachsender Skepsis gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen gerät selbst Sonnencreme ins Visier der Verschwörungstheoretiker:innen. In einschlägigen Kreisen auf TikTok wird etwa behauptet, Sonnenschutzmittel sei nicht nur unwirksam, sondern könne sogar Hautkrebs fördern. Hashtags wie #toxicsunscreen und #nosunscreen stehen unter hundert Millionen Videos, in denen User:innen, teils emotional, vor UV-Schutz warnen.

TikTok ist das neue Google

Mit der richtigen Anzahl an Likes und Kommentaren wirkt so manche pseudowissenschaftliche Desinformation wie ein klarer Fakt.  Laut dem Internetsicherheits-Unternehmen Cloudflare hat TikTok im Jahr 2021 Google als beliebteste Domain weltweit überholt. Das Wall Street Journal bezeichnete die Video-App vor zwei Jahren sogar als das "neue Google".

Das große Problem: Falschinformation bekommt sehr schnell sehr viel Reichweite, wenn sie durch Interaktionen, etwa durch Likes und Kommentare, von einem Algorithmus gepusht werden. Und wirkt dadurch schneller vertrauenswürdig.


In Sachen Gesundheit könnten Fake News besonders schwerwiegende Konsequenzen mit sich tragen. 80 Prozent der Hautkrebsfälle werden durch unzureichenden Sonnenschutz verursacht und wären somit theoretisch vermeidbar. Laut Expert:innen fehlt es hier an Aufklärung, TikTok steht regelmäßig in der Kritik, bei Desinformation gerne mal beide Augen zuzudrücken.

Andreas Stepan, Oberarzt an der Universitätsklinik für Dermatologie im AKH Wien, räumt mit den neuesten und gängigsten Mythen rund um Sonnencreme auf. Er liefert kurze Antworten, für alle mit einer TikTok-Aufmerksamkeitsspanne, und ausführliche Erklärungen für die, die gerne mehr erfahren möchten.

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Mythos 1: (Alte) Sonnencreme ist krebserregend.

Kurze Antwort: Falsch.
Lange Antwort: Besonders gefährlich, so wird gewarnt, sollen Sonnencremes sein, die lange Zeit geöffnet und gelagert wurden. Die Sorge: Ein Inhaltsstoff,  der sich nach einiger Zeit in 'Benzophenon' zersetzen kann – eine potenziell krebserregende Substanz. Aufgrund dieser Gesundheitsgefahr wurde der Verkauf und die Abgabe von Produkten mit Benzophenon ab November 2023 in der EU verboten. Was bedeutet das nun? 

Benzophenon wurde in Tierversuchen mit Mäusen und Ratten hinsichtlich seiner krebserregenden Eigenschaften untersucht. Bei oraler Einnahme in hohen Konzentrationen zeigten sich bei Ratten Hinweise auf eine krebserregende Wirkung. Für den direkten Hautkontakt beim Menschen gibt es jedoch keine spezifischen Belege, die auf eine Karzinogenität hinweisen. 

"Weder eine gebrauchte noch eine neu geöffnete Sonnencreme besitzt Inhaltsstoffe, die nachweislich krebserregend sein können", erklärt OA Dr. Stepan. Der Dermatologe rät jedoch dazu, das Mindesthaltbarkeitsdatum der Sonnencreme zu beachten. Nach Ablauf könnte der UV-Schutz möglicherweise nicht mehr optimal gewährleistet sein.

Mythos 2: Der Hormonhaushalt wird durch das Eincremen beeinflusst. Frauen können dadurch sogar unfruchtbar werden.

Kurze Antwort: Falsch.
Lange Antwort: Vor krebserregender Sonnencreme müssen sich TikTok-User:innen also nicht mehr fürchten, aber bleibt die Angst vor der “Sonnenmilch-Unfruchtbarkeit“ berechtigt?

Nein, sagt OA Dr. Stepan. “Durch die Anwendung von Sonnencreme, ob täglich oder nur sporadisch, lässt sich der Hormonhaushalt des Menschen, egal welchen Geschlechts, nicht beeinflussen". Hersteller müssen außerdem die gesundheitliche Unbedenklichkeit in wissenschaftlichen Studien nachweisen, versichert der Mediziner.

Hautschäden_PULS24Adobe Stock

UV-Strahlung ist verantwortlich für eine Vielzahl an Hautschäden. Hier zum Beispiel für eine Ablösung der Haut nach einem Sonnenbrand.

Mythos 3: Sonnencreme für Kinder enthält gesundheitsgefährdende Weichmacher.

Kurze Antwort: Falsch.
Lange Antwort: Die Haut von Kindern und Säuglingen ist besonders empfindlich, vor allem wenn es um UV-Strahlung geht. “Daher sollten Kinder im ersten Lebensjahr keiner direkten Sonnenbestrahlung ausgesetzt werden“, so OA Dr. Stepan. Wenn es nicht möglich ist, Kinder ausreichend durch Kleidung zu schützen, sollte zusätzlich eine geeignete Sonnencreme verwendet werden, die auf Weichmacher verzichtet.

Di-n-hexylph­thalat, kurz DnHexP, wurde als Weichmacher in Sonnenkosmetik häufig eingesetzt, bis er im Jahr 2019 von der EU als besonders besorgniserregend eingestuft wird. Sein Einsatz wurde verboten, trotzdem sind manchmal noch Produkte mit diesem Inhaltsstoff im Umlauf. Laut Stiftung Warentest besteht jedoch kein Grund zur Sorge – nach aktuellem Wissensstand gehe keine akute Gefahr von DnHexP aus, und auch unerwünschte gesundheitliche Beeinträchtigungen seien "sehr unwahrscheinlich".

OA Dr. Stepan empfiehlt Sonnenschutz, der ohne Weichmacher auskommt. Bei der Suche nach dem richtigen Produkt unterstützen Apotheker:innen bzw. Hautärzt:innen.

Mythos 4: Unsere Großeltern haben auch keine Sonnencreme verwendet und zu ihren Zeiten gab es nur halb so viele Hautkrebs-Fälle.

Kurze Antwort: Falsch.
Lange Antwort: OA Dr. Stepan diagnostiziert und behandelt Hautkrebs seit fast zwei Jahrzehnten. Seine Erfahrungen als Dermatologe zeichnen ein klares Bild:

"Bis zur Entwicklung der ersten handelsüblichen Sonnencremen in den 1950er Jahren gab es tatsächlich keine Möglichkeit, seine Haut vor krebserregender UV-Strahlung außer mit Textilien zu schützen. Diese jetzt hochbetagten Personen berichten heutzutage, wie oft und fulminant sie an Sonnenbränden vor allem in den Kindertagen gelitten hatten. Und dies sind genau jene Patient:innen, die sich nun in meiner Ordination mit ausgeprägten chronischen Sonnenschäden und Karzinomen der Haut präsentieren. Dass diese oftmals erst im hohen Lebensalter zutage treten, ist der doch sehr guten Regeneration und Reparaturmechanismen der Haut zu verdanken". 

Die Zunahme der Hautkrebsdiagnosen liegt laut OA Dr. Stepan nicht an der vermehrten Verwendung von Sonnencreme, sondern vielmehr an den erheblichen Fortschritten in der Medizin. Durch Hautkrebsscreening, Künstliche Intelligenz und andere hochmoderne Methoden wurde die Früherkennung von Hautkrebs intensiv weiterentwickelt, erklärt der Experte.

Eine Dame cremt sich mit Sonnenschutz einAdobe Stock

Mehrfach wissenschaftlich bestätig: Sonnencreme verursacht keinen Hautkrebs.

Mythos 5: Für Personen mit Vitamin-D-Mangel ist Sonnencreme gefährlich, weil diese die Aufnahme von Vitamin D blockiert.

Kurze Antwort: Falsch.
Lange Antwort: "Bevölkerungsstudien haben gezeigt, dass die regelmäßige Verwendung von Sonnencreme kaum Auswirkungen auf den Vitamin-D-Spiegel hat. So ist die Behauptung […] schlichtweg falsch", stellt Dermatologe Stepan richtig.

Um den Vitamin-D-Spiegel zu stärken, genügen bereits etwa 15 Minuten Sonnenlicht auf unbedeckte Hände, Arme und das Gesicht. Außerdem kann der Körper durch eine ausgewogene, gesunde Ernährung ebenfalls ausreichend Vitamin D aufnehmen, bestätigt der Dermatologe. Bei einem tatsächlichen Mangel und damit verbundenen Symptomen sollte man sich an seine Hausärztin bzw. seinen Hausarzt wenden.

Mehr lesen: Nahrungsergänzungsmittel: Gesunde Kinder brauchen das nicht

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Mythos 6: Man kann Sonnencreme ganz einfach selbst herstellen.

Kurze Antwort: Falsch.
Lange Antwort: TikToks Lieblings-"Tradwife" Nara Smith (22) ist auf der Plattform bekannt für ihre Kochvideos. Selbstgemachter Mozzarella, Kaugummi aus Baumharz und sogar Schoko-Cornflakes werden Kugel für Kugel selbst gerollt. Da verwundert auch das Rezeptvideo der DIY-Sonnencreme nicht. Butter, Öl und Bienenwachs mischt die dreifache Mutter vor einem Millionenpublikum (und im Designer-Outfit) zum schnellen UV-Schutz. Geht das so einfach?

Nein, denn Öle oder andere Fette bieten keinen ausreichenden Schutz vor UVA- oder UVB-Strahlung; hierfür sind laut dem Dermatologen spezielle chemische oder mineralische Filter notwendig, wie sie in handelsüblichen Sonnencremes enthalten sind. Diese Filter sind weder krebserregend noch anderweitig gesundheitsschädlich, wie auch mehrere wissenschaftliche Studien bestätigen.

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Mythos 7: Die Haut ist in der Lage, mit der Zeit eine UV-Toleranz aufzubauen. Durch richtiges "Training" kann man so lange in der Sonne bleiben, wie man möchte.

Kurze Antwort: Das kommt darauf an.
Lange Antwort:  Das Hautpigment Melanin wandelt die UV-Lichtenergie der Sonne in Wärmeenergie um und schützt damit die Hautzellen vor DNA-Schäden. Dass sich die Haut nach einiger Zeit in der Sonne bräunt, ist also einfach gesagt ein Schutzmechanismus. Dieser Prozess erklärt aber auch, wieso Menschen mit dunkler Hautfarbe länger unbeschadet in der Sonne bleiben können, als Personen mit heller Hautfarbe. 

"Solch eine UV-Toleranz kann selbstverständlich im Rahmen der menschlichen Evolution über viele Jahrtausende aufgebaut werden, bedarf dann aber auch einer kontinuierlichen Exposition gegenüber diesem speziellen Umwelteinfluss", bestätigt OA Dr. Stepan. "Eine vermehrte Sonnenexposition über zwei bis drei Monate, wie sie in unseren Breiten im Sommer üblich ist, reicht dafür nicht aus". 

  • Zur Person: Andreas Stepan ist Oberarzt an der Universitätsklinik für Dermatologie im AKH Wien und ist als Wahlarzt in der Ordination Medizin Neubau tätig. Er verfügt über umfassende Erfahrung in der Diagnostik und Therapie dermatologischer Erkrankungen. Nach seiner Promotion an der Medizinischen Universität Wien spezialisierte er sich auf die Erkennung und Behandlung von Hautkrebs. In diesem Bereich hat er sich durch zahlreiche wissenschaftliche Beiträge und Vorträge einen renommierten Namen gemacht.

Andreas StepanAndreas Stepan
ribbon Zusammenfassung
  • Sonnencreme steht unter Beschuss: Statt zu schützen, soll sie angeblich schädlich sein.
  • TikToker:innen verbreiten den Mythos, Sonnenschutz wäre krebserregend.
  • Doch wie viel Wahrheit steckt in diesen Gerüchten? Kann man sich noch mit gutem Gewissen gegen UV-Strahlen schützen?
  • PULS 24 hat darüber mit einem Experten gesprochen.