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Mutter wegen Kindesentführung zu Haftstrafe verurteilt

Eine 32-jährige Frau ist am Donnerstag am Wiener Landesgericht wegen Kindesentziehung und Körperverletzung zu zehn Monaten Haft, davon drei Monate unbedingt, verurteilt worden. Sie hatte am 27. August 2023 ihren drei Jahre alten Sohn, der ihr wegen grober Vernachlässigung abgenommen und in Obhut der Kinder- und Jugendhilfe (MA 11) gegeben worden war, gemeinsam mit dem Vater des Kindes gekidnappt und nach Frankreich entführt.

Die Angeklagte stammt aus der Ukraine und war gemeinsam mit ihrem ursprünglich aus dem arabischen Raum stammenden Partner und dem gemeinsamen Kind nach dem kriegerischen Überfall Russlands auf ihre Heimat nach Österreich geflüchtet. In der Flüchtlingsunterkunft, in der sie unterkamen, fiel alsbald auf, dass sich die Eltern ungenügend um ihren im Oktober 2020 zur Welt gekommenen Sohn kümmerten. Der Kleine war weitgehend unbeaufsichtigt, auffällig ungepflegt, mehrere Interventionen der MA 11 fruchteten nicht. Speziell die Mutter zeigte sich uneinsichtig und nahm die ihr angebotenen Unterstützungsmaßnahmen nicht in Anspruch, so dass dem Paar Anfang Oktober 2022 das Kind abgenommen und der MA 11 die vorläufige Obsorge übertragen wurde.

"Der österreichische Staat hat mir mein Kind gestohlen", stellte die 32-Jährige dazu nun im Grauen Haus fest. Den Einwand seitens der Richterin, ihr Kind sei körperlich und emotional unterversorgt und daher Gefahr im Verzug gewesen, ließ die Mutter nicht gelten. Mehrfach drohte die Verhandlung zu entgleisen, die Angeklagte fiel der Richterin immer wieder ins Wort und wurde unter Androhung des Saalverweises zur Ruhe ermahnt. "Ich bin nicht Ihre Geisel. Sie können mir nicht die Bedingungen diktieren", reagierte die Frau darauf trotzig.

Die MA 11 hatte den kleinen Buben in einer betreuten WG untergebracht, wobei dem Vater zunächst ein wöchentlicher Kontaktbesuch gestattet wurde. Bei einem solchen Termin tauchte am 10. August 2023 dann aber auch die Mutter auf, die kein Besuchsrecht hatte, lief auf ihren Sohn zu und versuchte diesen einer Betreuerin zu entreißen, indem sie die junge Frau am Haarschopf packte und zu Boden drückte. Es kam zu einem Gerangel zwischen den Frauen, bei dem die Betreuerin leichte Verletzungen erlitt. Letztlich gelang es der Mutter aber nicht, mit ihrem Sohn - wie offenbar geplant - davonzulaufen.

Knapp drei Wochen später kam es dann in der Einrichtung zu einem dramatischeren Zwischenfall. Ein Betreuer kehrte mit dem drei Jahre alten Buben und zwei weiteren Kindern von einem Waldspaziergang zurück, als er am Gartentor vom Vater des Buben angegriffen wurde. "Die Person hat das Kind geschnappt und wollte weg", schilderte der 23 Jahre alte Betreuer als Zeuge. Er habe das verhindern wollen, der ihm unbekannte Mann habe ihn darauf zu Boden gestoßen und zu beißen versucht: "Da ist dann auf ein Mal die Mutter aus dem Gebüsch gesprungen und hin zum Kind und ist mit ihm in den Wald gelaufen." Der Bub habe "geweint und geschrien", während er mit dessen Vater am Boden gekämpft habe. Schließlich lief auch der Vater davon.

Bis Mitte September fehlte von den Eltern, nach denen mit internationalem Haftbefehl gefahndet wurde, und dem verschwundenen Kind jede Spur. Dank Interpol konnte man die drei schließlich in Paris ausfindig machen. Die Eltern wurden festgenommen, der Bub nach Wien rücküberstellt, wobei das bürokratische Prozedere derart viel Zeit in Anspruch nahm, dass es bis Ende Oktober dauerte, bis der Dreijährige wieder in Wien in seiner WG war, "wo er sich zu Hause fühlt", wie Irene Oberschlick, die Rechtsvertreterin des Buben, in der Verhandlung darlegte.

Die Eltern landeten in Auslieferungshaft, wobei der Vater dem vereinfachten Auslieferungsverfahren zustimmte und daher recht rasch den österreichischen Behörden übergeben werden konnte. Er wurde daher separat von der Staatsanwaltschaft Wien angeklagt, der 30-Jährige ist bereits Mitte Jänner am Wiener Landesgericht rechtskräftig wegen Kindesentführung zu einem Jahr unbedingter Haft verurteilt worden. Die Mutter weigerte sich dagegen, mit den Behörden zu kooperieren, sie wurde daher erst deutlich später nach Wien gebracht.

"Wir wollten das Land verlassen. Das Land, in dem mir mein Kind gestohlen wurde. In dem Land, aus dem ich komme, herrscht Krieg. In dem friedlichen Land, wo ich jetzt bin, wurde mir das Kind gestohlen", sagte die Angeklagte zum Vorfall vom 27. August. Und weiter: "Wir wollten die Sache juristisch lösen. Aber das hat nicht geklappt." Die Verfahrenshelferin der Angeklagten bezeichnete die Kindesentführung als "Verzweiflungstat". Die Frau habe zu diesem Zeitpunkt zu ihrem Sohn seit elf Monaten keinen Kontakt mehr gehabt.

Am Ende wurde bei einer Strafdrohung von bis zu drei Jahren über die bisher unbescholtene Angeklagte eine teilbedingte Freiheitsstrafe von zehn Monaten verhängt. Seit ihrer Festnahme befand sie sich durchgehend in Haft, zuletzt in U-Haft in der Justizanstalt Josefstadt, so dass sie nach der Verhandlung auf freien Fuß gesetzt wurde. Der unbedingt ausgesprochene Strafteil - drei Monate - lag deutlich unter dem Zeitraum ihrer Inhaftierung, der ihr auf die Straße angerechnet wurde. Die 32-Jährige war dessen ungeachtet mit dem Urteil nicht einverstanden. Sie legte dagegen Rechtsmittel ein.

Der Rechts- und Interessensvertreterin des Dreijährigen zufolge hat die Kindesentführung bei dem Buben deutliche Spuren hinterlassen. Er leidet unter Schlafstörungen, ist in therapeutischer Behandlung, "und es gibt ganz massive Anzeichen, dass er Angst vor der Mutter hat", wie Opfer-Anwältin Oberschlick abschließend bemerkte.

ribbon Zusammenfassung
  • Eine 32-jährige Frau aus der Ukraine wurde in Wien wegen Kindesentführung und Körperverletzung zu zehn Monaten Haft verurteilt, drei davon unbedingt.
  • Das Kind, geboren im Oktober 2020, wurde ihr wegen Vernachlässigung entzogen und später mit dem Vater nach Frankreich entführt.
  • Nach einem internationalen Haftbefehl wurden die Eltern im September in Paris festgenommen, das Kind kehrte Ende Oktober nach Wien zurück.
  • Der Vater des Kindes wurde bereits zu einem Jahr unbedingter Haft verurteilt, während die Mutter Rechtsmittel gegen ihr Urteil einlegte.
  • Der entführte Bub leidet unter Schlafstörungen und hat laut seiner Rechtsvertreterin Angst vor der Mutter.